Kapitel 39

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Die Zeit in Hogwarts verging wie immer schnell.
Es dauerte nicht lange, bis Remus und ich ein langes, anfangs schwieriges aber dann immer vertrauteres Gespräch führten, in dem ich ihm erklärte, dass er für mich immer noch einfach Remus war, der Bücherwurm, der gute Zuhörer, der Junge mit der Schokolade und dem Ehrgeiz, und keine Bestie.
Unsere Freundschaft vertiefte sich dadurch und ich verbrachte von nun an viele Abende mit ihm in der Bibliothek, wo wir zusammen lernten und redeten und lachten.
Sogar mit Sirius fing ich einigermaßen an, mich zu verstehen, wir grüßten uns im Flur und manchmal grinste er mich auf eine nette Weise frech an, wie er es in den Sommerferien bei James Zuhause getan hatte.
Meine Noten waren natürlich ausgezeichnet und ich stellte lustige Dinge mit meinen Freundinnen an...
Alles war wieder in Ordnung gekommen, nur eines nicht: Das Verhältnis zwischen James und mir.
Nicht, dass wir jemals ein normales Verhältnis zueinander gehabt hätten, aber mittlerweile musste ich eben zugeben, dass ich das gerne ändern würde.
James hatte es verdammt nochmal geschafft, mich neugierig auf die Person, die er wirklich war, zu machen und nun wurde mir das zum Verhängnis.
Wenigstens bekam ich ihn so gut wie nie zu Gesicht, sonst wäre ich wahnsinnig geworden und hätte es vielleicht nicht geschafft, meine Klappe zu halten.
Wir verbrachten so wenig Zeit wie möglich miteinander, was nicht meine Absicht war, sondern James': Er erschien zwar zu unseren Sitzungen mit den Vetrauensschülern und unterhielt sich auch mit mir über diverse Planungen oder ging mit mir auf Patrouille durch das Schlosshaus, aber sobald sich eine Möglichkeit ergab, zu flüchten, nutzte er sie sofort.
Unnötig zu erwähnen, dass ich nicht für Gryffindors Hausmannschaft ausgewählt worden war, aber ich konnte James und sein Team von meiner verglasten Zimmerwand aus beobachten, wenn sie abends ihre Kreise zogen.
Ich wusste nicht, ob James nun sauer auf mich war, oder immer noch einfach nur verletzt und enttäuscht, aber ich hatte auch aufgegeben, ihn darauf anzusprechen.
Vermutlich musste ich akzeptieren, dass James Potter nicht mehr daran interessiert war, sich mit mir zu verstehen.
Das wiederum blieb natürlich nicht verborgen. Spätestens Mitte Oktober hatte jeder mitbekommen, dass James Potter Lily Evans nicht mehr hinterherjagte und erst recht nicht um Dates in Hogsmeade bat.
Und spätestens Mitte Oktober hatte sich eine Art James- Potter- Fanclub gegründet, der – gar nicht erwähnenswert- nur weibliche Mitglieder hatte.
Wobei es mich nicht gewundert hätte, wenn James auch ein paar schwule Verehrer gehabt hätte.
Ich tat so, als würde mich das alles nicht interessieren und als würde James' offensichtliche Abneigung mir gegenüber auf Gegenseitigkeit beruhen, aber im Heimlichen schrieb ich viele Briefe an meine Mutter, in der es viel um James ging und dass ich zwar nicht in ihn verliebt war (Du meine Güte, nein. Also, wahrscheinlich. Höchstwahrscheinlich. Bestimmt ... hoffentlich), aber dass mir die ganze Situation eben trotzdem nicht gefiel.
Zu meinem großen Erstaunen blieben sämtliche Briefe unbeantwortet.
Dabei hatte ich immer gedacht, meine Mum würde sich vor Glück überschlagen, sobald ich auch nur ansatzweise Interesse an einem Jungen zeigen würde (Ich war natürlich nicht an James interessiert ... wahrscheinlich.).
Doch anscheinend war dem nicht so.
Während ich mir sehnlichst einen guten mütterlichen Rat ihrerseits wünschte, wartete ich zwei Wochen lang geduldig auf ein Lebenszeichen von ihr, denn vermutlich hatte sie viel zu tun, wenn Vernon und Petunia ihre Hochzeitspläne tatsächlich wahrmachen wollten.
Irgendwann allerdings begann ich mir Sorgen zu machen.
Es war der Abend des 31. Oktobers, Halloween, als ich endlich wieder etwas von ihnen hörte.

„Bei Merlin, ich hab mir den Bauch dermaßen vollgeschlagen, ich komme diese beschissenen Turmtreppen nicht mehr rauf", stöhnte Marlene, die sich ihren Bauch hielt und dramatisch langsam einen Fuß vor den anderen setzte, während wir uns unseren Weg durch das Schloss bahnten.
Wir hatten uns eben tatsächlich übermäßig mit Essen vollgestopft, aber immerhin war das Festessen zu Ehren Halloweens in Hogwarts jedes Jahr wieder besonders gut.
„Beweg deine Wampe gefälligst ein bisschen schneller voran, ich habe einen Rausch auszuschlafen", schnaubte Dorcas missbilligend.
Sie sah wirklich ein wenig angetrunken aus und musste sich alle paar Meter an der Wand abfangen, da sie wie durch ein Wunder immer wieder nach links torkelte. Ich fragte mich, wer diesmal ein wenig Feuerwhiskey in die Schlossmauern geschmuggelt hatte.
Bestimmt Sirius.
„Selbst schuld, wenn du dich jedes Mal aufs Neue auf diese blöden Saufspiele einlässt", grummelte Mary. Sie beschleunigte ihre Schritte, um Dorcas davon abzuhalten, gegen eine Rüstung zu laufen.
„Li- lyyyhyhyhyyyy", jammerte Marlene, die weiterhin ihrer Rolle als Drama- Queen treu blieb, und legte einen Arm um meine Schulter. Ich ächzte, als sie sich mit ihrem ganzen Gewicht auf mich stemmte.
„Wahahahaaas", gab ich in genauso quengeligem Ton zurück.
„Kann ich nicht heute bei dir in der Wohnung schlafen? Biiiitte! Ich kann diese blöden Treppen nicht raufsteigen, wirklich nicht!"
Ich kicherte und schubste sie zur Seite.
„Kannst du wohl, stell dich nicht so an. James wird dich morgen ganz sicher wieder aufs Feld jagen, also kannst du schonmal anfangen, deine Speckschicht wieder runter zu trainieren."
Mit einem Klaps auf den Po schickte ich sie Richtung Gryffindorturm.
„Sadistin", grummelte Marlene.
„Das hab ich gehört", grinste ich.
„Solltest du ja auch."
Das brachte ihr gleich noch einen Klaps ein, der sie theatralisch aufheulen ließ, aber wenigstens dazu führte, dass sie so schnell es ging durch das Porträt der Fetten Dame kletterte.
Das Gemälde klappte hinter ihr zu und man konnte einen dumpfen Aufprall hören, gefolgt von einem Stöhnen: „Merlin, ich glaub ich bin schwanger."
Mary und ich sahen uns an und begannen zu kichern.
„Das wird höchstens ein Food-Baby", prustete Mary.
„Haha", kam es von hinter dem Porträt.
Die Fette Dame musterte uns mit einer Mischung aus Neugierde und Missbilligung, und ich wusste, gleich würde sie den Mund aufmachen und einen Kommentar zu uns abgeben. Schnell nannte ich das Passwort und half Mary dabei, die beschwipste Dorcas in den Gemeinschaftsraum zu hieven.
„Du wiegst so viel wie ein Nilpferd- Baby, Dor", jammerte Mary, deren Gesicht schon ganz rot vor Anstrengung war.
„Sei still, du bist nur neidisch auf meine sexy Kurven", sagte Dorcas' Kopf, der sich schon im Gemeinschaftsraum befand.
Mary rollte mit den Augen. „Na klar."
Ich stelle mich auf die Zehenspitzen und mit einem letzten kräftigen Schub schlitterte Dorcas in den Gryffindorturm. Mary seufzte und strich sich eine blonde Haarsträhne aus dem Gesicht. Sie sah sehr müde aus.
In letzter Zeit machte sie sich ununterbrochen Sorgen um ihre Familie, die ebenfalls allesamt Muggel waren und in einem Gebiet lebten, wo die Todesser regelmäßig ihr Unwesen trieben.
Ich glaubte, bei ihrem Seufzen ein wenig Feuerwhiskey herausgerochen zu haben.
„Soll ich dich noch runter in deine Wohnung bringen?", unterbrach Mary meine Gedanken.
„Nein, leg dich lieber schlafen. Du hast Augenringe in Vampirausmaßen."
Mary grinste erschöpft. Mit einer letzten festen Umarmung verabschiedeten wir uns voneinander, dann trat ich einen Schritt zurück und schaute ihr zu, wie sie Dorcas und Marlene hinterher krabbelte.
Das Porträt der Fetten Dame schwang wieder zu. Ich wurde von einer tiefen Sehnsucht ergriffen, als ich hinter dem Bild die gedämpften Stimmen meiner Freundinnen hörte, die sich immer weiter entfernten, und dann ein kurzes Kreischen („Bei Merlin, warum steht hier ein Spiegel?!") gefolgt von Gelächter.
Am liebsten wäre ich auch durch das Loch in der Mauer gestiegen, die Treppe hoch zum Schlafsaal, um mit den drei anderen wie in den letzten Jahren eine Nacht voller geflüsterter Gespräche zu verbringen.
„Möchtest du hier Wurzeln schlagen?", erkundete die Fette Dame sich resolut.
Ich erwachte aus meiner Starre. „Nein", seufzte ich, und meinte eigentlich ja.
Ich drehte um und machte mich auf den Weg zu den Schulsprecherräumen.
Im Nachhinein wünschte ich mir, ich wäre wirklich den anderen gefolgt.

Als ich zurück in James' und meiner Wohnung war, lag ein Briefumschlag auf dem Tisch vor dem Sofa.
Er war schneeweiß und nicht aus Pergament, und ich stürzte sofort hin, denn es war klar, dass der Brief für mich war, dass er von meinen Eltern kommen musste.
Ich erwartete die etwas gekritzelte Schrift meiner Mutter auf dem Umschlag, die Adresse hastig geschrieben, wie immer, wenn sie lieber schnell mit dem Schreiben an sich anfangen wollte, aber sich dazu zwang, den Umschlag zuerst fertig zu machen.
Doch die Adresse war nicht in einer liebevollen Handschrift auf das Papier gebracht worden, sie war gedruckt.
Und es stand nicht Hogwarts darin, es war die Adresse meines Hauses.
Mir wurde schlecht.
Ich öffnete mit zitternden Fingern den Briefumschlag.

Die Regel - Lily& James Ff ✔️Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt