Kapitel 83

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„Aua", gab ich zum wiederholten Mal emotionslos von mir, als mein Kopf mit einem dumpfen Geräusch an der Decke des niedrigen Ganges anstieß.
„Sorry", murmelte James konzentriert zurück.
Er war vollauf damit beschäftigt, in einer Hand seinen Zauberstab zu halten und damit unseren Weg zu erleuchten, während er in der anderen die Karte des Rumtreibers hielt und es gleichzeitig irgendwie schaffte, mich auf seinem Rücken zu halten.
Darauf zu achten, dass ich nicht gegen die Steinwand stieß, kam für ihn nicht auch noch in Frage.
Allerdings wollte er ebenso wenig, dass ich ihm behilflich war, wie er mir deutlich zu verstehen gegeben hatte.
„Nein, du machst gar nichts, hast du mich verstanden? Lass mich ein Gentleman sein. So fühle ich mich männlich", hatte er mir ernst erklärt.
Zum Glück hatte er mein Grinsen nicht sehen können. Diese Aussage war nämlich alles andere als männlich gewesen. Aber süß.
Nicht so süß war dagegen die Beule, die sich langsam aber sich an meinem Hinterkopf bildete.
Außerdem fühlte ich mich mehr und mehr wie ein schwerer Sack Kartoffeln auf James' Rücken, vor allem, da ich immer mal wieder runterrutschte.

Umso erleichterter war ich, als James mich endlich absetzte.
Anscheinend endete unser Trip hier, wobei ich in der schwachen Beleuchtung von James' Zauberstab sowieso nichts erkennen konnte.
„Und was jetzt?", flüsterte ich neugierig.
Irgendwie machte mir die Sache doch Spaß, obwohl ich mich anfangs dagegen gesträubt hatte.
Es fühlte sich gut an, mal etwas Verbotenes zutun und über das Adrenalin hatte ich meine Bauchschmerzen längst vergessen.
Aufgeregt schaute ich James zu, wie er über seinem Kopf an der Decke herumtastete, bis er gegen etwas drückte.
Ich hielt kollektiv die Luft an, als die Decke, die sich als Luke herausstellte, sich nach oben bewegte und einen kleinen Spalt Licht freigab.
James bedeutete mir, still zu sein, woraufhin ich eifrig nickte.
Gespannt verfolgte ich jede seiner Bewegungen.
Zuerst stellte er sich auf die Zehenspitzen und warf einen Blick durch den schmalen Schlitz, durch den das Licht hereinfiel. Als er sich vergewissert hatte, dass die Luft rein war, drehte er sich zu mir um und hob mich kurzerhand durch die Luke.

Geradeso unterdrückte ich ein überraschtes Quietschen, als ich mich plötzlich im Vorratskeller des Honigtopfes wiederfand.
Das musste das Paradies sein, beschloss ich, und mein Blick glitt überglücklich über die vielen Fässer, Schachteln und Dosen voller Süßigkeiten.
„Pssst! Hilf mir hoch!", zischte James von unten.
Hastig kniete ich mich vor die Luke und reichte ihm meine Hand. Unter Schwerstarbeit hievte ich ihn durch das Loch.
Daraufhin versanken wir erstmal in beeindrucktem Schweigen.
„So viel Zucker auf einem Haufen!", flüsterte ich begeistert.
„Himmlisch", seufzte James.
Wir schauten uns an und mussten grinsen.
„Lust auf eine Kostprobe?", fragte James schelmisch zwinkernd.
„Sowas von!"

Und so kam es, dass wir uns gegen halb zwölf in der Nacht mit jeglichen Süßigkeiten, die wir finden konnten, vollstopften.
Unser Enthusiasmus wurde erst gebremst, als plötzlich Schritte laut wurden.
„Ernie, hast du schon wieder das Licht in der Kammer angelassen?", keifte eine deutlich verärgerte Frauenstimme.
Eine zweite Person antwortete etwas Unverständliches.
James, der auf der anderen Seite des Raumes gerade damit beschäftigt war, Schokofroschschachteln auseinanderzunehmen, um die eine ihm noch fehlende Karte zu finden, drehte sich erschrocken zu mir um (ich hatte gerade den geöffneten Mund unter einem Schokobrunnen und starrte genauso entgeistert zurück, während die köstliche Masse mir übers Kinn lief).
Weg hier!, formten seine Lippen.
Ich verdrehte die Augen. Nee, James, ich wollte hier jetzt anwurzeln.
James beachtete meinen vor Sarkasmus triefenden Gesichtsausdruck nicht, sondern sah sich suchend nach der Luke um, während die Frauenstimme entnervt rief: „Du weißt doch, dass das die Mäuse anlockt!"
Sie war uns beängstigend nah gekommen.
Ich malte mir bereits aus, wie James und ich mit schokoverschmierten Mündern in Dumbledores Büro gezerrt werden würden und für die nächsten Jahrzehnte Hausverbot beim Honigtopf bekommen würden (eine schreckliche Strafe, wie ich fand), konnte mich aber einfach nicht von dem Schokobrunnen trennen.
Diese süße Flüssigkeit ... es war einfach betörend.

Zum Glück behielt James die Nerven.
Gerade als die Klinke an der Tür zur Vorratskammer hinuntergedrückt wurde, schlossen sich seine Arme um meine Hüfte, und er katapultierte uns mit einem Hechtsprung in die offenstehende Luke.
Klappernd riss er die schützende Klappe hinter uns zu, packte mich an der Hand und rannte mit mir im Schlepptau den Gang hinunter.
Ich hörte nur noch ein lautes „Merlin, Ernie, der Schokobrunnen läuft über!" und dachte mit Bedauern an meinen neuen besten Freund, den Brunnen, zurück. Trotzdem folgte ich James aus eigenen Stücken und jagte mit ihm den dunklen Gang hinunter, bis mir die Puste ausging.

„James", keuchte ich, „wir sind weit genug weg. Bitte, ich brauch ne Pause."
Prompt verlangsamte James seine Schritte, bis wir nur noch in schleppenden Schritten über den lehmigen Boden taperten.
Ich tastete mit einer Hand im Dunkeln nach der Felswand und stützte mich dankbar ab, sobald ich sie gefunden hatte.
Außer Puste legte ich die Hände auf die Knie und starrte zu Boden, auch wenn ich ihn in dem totalen Nachtschwarz kaum ausmachen konnte.
Bestimmt hatte der unbefestigte Weg meine roten Chucks total versaut.
Erst jetzt fiel mir auf, wie kalt es in dem Gang war und wie sehr der Wind hier ging. Durch meine schweißnasse Haut begann ich augenblicklich zu frösteln und rügte mich in Gedanken dafür, dass ich in einer Dezembernacht keine Jacke angezogen hatte.
Fröstelnd rieb ich mir über die Arme, während ich in die Richtung schaute, in der ich James vermutete.
Verdammt, es war einfach zu dunkel! Ich konnte lediglich seine schnellen Atemzüge ausmachen und seinen unverkennbaren Geruch nahm ich überdeutlich wahr.
Als hätte er meine Gedanken gelesen, murmelte James „Lumos" und entzündete damit seinen Zauberstab.
Wir zuckten beide zusammen; wir standen uns näher als erwartet.
Genauer gesagt war meine Nasenspitze nur Zentimeter von James' Brust entfernt. Das erklärte auch, warum ich ihn so genau gerochen hatte.
Unwillkürlich atmete ich seinen Duft nach Pfefferminze, Sommer und Schokolade tiefer ein.
Unglaublich, wie nah ich ihm gerade war.
Ich schaute zu ihm auf und musste lächeln.
„Das war das verrückteste, was ich jemals um null Uhr gemacht habe", murmelte ich vor mich hin.
„Na ja, bei mir nicht ganz das Verrückteste." James lächelte verschmitzt. „Aber definitiv mit der besten Gesellschaft."

Irgendwo registrierte ich, dass er eine Hand neben meinem Kopf abstützte, der Rest meines Gehirns war vollauf damit beschäftigt, auf seine Lippen zu starren.
In dem Dämmerlicht hatten sie einen ganz besonders rosigen Glanz.
Oh, bei Merlins linker Schuhsohle.
„Wirklich?", murmelte ich, weiterhin komplett fixiert auf seinen Mund.
„Wirklich." Eine kurze Pause entstand. „Lily Evans, starrst du mir gerade auf die Lippen?"
Mein Herz begann einen Marathon zu laufen. Wie so oft stieg mir die Hitze ins Gesicht, aber ich flüsterte trotzdem „Vielleicht" zurück.
Er lachte leise. „Du hast Schokolade um den ganzen Mund rum", teilte er mir anschließend mit rauer Stimme mit.
„Und warum machst du sie dann nicht weg?"
Keine Ahnung, was mich mutig genug machte, James herausfordernd mein Kinn entgegenzuschieben, aber ich spürte keine Angst mehr und genoss das berauschende Gefühl seiner Anwesenheit.
„Bist du sicher, Lily?", fragte James ernst und die Tatsache, dass er sich Sorgen machte, dass er an meine Angst dachte, löste ein wohliges Kribbeln in mir aus.
„Ja", murmelte ich atemlos.
James machte noch einen halben Schritt auf mich zu.
Er war mir jetzt so nah, dass ich deutlich spüren konnte, wie schnell sich seine Brust hob und senkte.
Die Hand, die er eben noch an der Wand abgestützt hatte, wanderte über mein Haar, strich eine lose Strähne hinters Ohr und streichelte schließlich meine Wange.
Ich hielt die Luft an.
„Das wollte ich schon seit der vierten Klasse tun", raunte James mit den Lippen direkt an meinem Ohr.
Und dann küsste er mich.

Hehehe.
Fieser Cut: Check!
Jaja, schlagt mich doch 😉
Ich mag euch trotzdem alle, ihr seid die besten Leser überhaupt und ich bin jedem einzelnen von euch mega dankbar, dass ihr an der Story dranbleibt und mich immer so lieb motiviert ❤️
Karla🌻

Die Regel - Lily& James Ff ✔️Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt