Kapitel 57

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Dummerweise wurde ich Snapes Worte nicht mehr los.
Den ganzen Tag spukten sie in meinem Kopf rum und ließen mir das Herz schwer werden, und kombiniert mit dem Verlust meiner Eltern, der Gemeinheit seitens Petunia und der Sorge um Mary war ich bald am Tiefpunkt meiner Stimmung angelangt.
Jetzt bitte ein Zug ins Wunderland, aber sofort.
Da sich dieser Wunsch aber selbstverständlich nicht erfüllte, musste ich irgendwie mit der Situation fertigwerden. Und das tat ich, wie immer, indem ich mich ablenkte.
Also stürzte ich mich noch mehr als sonst in den Schulalltag, konzentrierte mich völlig auf die Schulfächer, die ich hatte und ließ das Mittagessen schlichtweg ausfallen, um niemandem – am wenigsten James- für längere Zeit begegnen zu müssen.
Marlene und Dorcas ließen mich glücklicherweise einigermaßen in Ruhe, sie waren den gesamten Tag in eine hitzige Diskussion verwickelt, warum Marlene ihren Freund Hugo besser verlassen sollte.
Normalerweise hätte ich lautstark dafür gestimmt, aber was lief in letzter Zeit schon normal?
Ich fing an, es ein bisschen zu bereuen, dass ich mein Notizbuch weggeworfen hatte. In dem Ding hätte ich meine Gedanken wenigstens einmal ordentlich zusammenfassen können. So aber wirbelten sie in einem wilden Chaos in meinem Kopf herum und ließen sich einfach nicht beruhigen.
Sobald ich mich eine Sekunde lang nicht konzentrierte, hatte ich schon wieder Snapes Stimme im Ohr, wie er mir erklärte, dass ich wertlos sei und niemals an James' wirkliche Aufmerksamkeit gelangen würde.
Das allein wäre ja an sich nicht mal ein Problem gewesen, nur dummerweise hatte ich festgestellt, dass mir doch irgendwie etwas an James' Aufmerksamkeit lag.
So ein Mist.
Ich brauchte einfach mal Ruhe von diesem ganzen verkorksten Leben. Zeit für mich, das wäre toll. Mal ganz intensiv über mein persönliches Drama nachdenken.
Doch wie sollte ich das tun, wenn ein großer Bestandteil meines Dramas jede Nacht neben mir schlief? Jeden Morgen dasselbe Bad benutzte?
Eine verdammte Wohnung mit mir teilte?
Heiliger Kürbiskuchen.
Kein Wunder, dass ich schließlich, gegen neun Uhr abends nach einem ausführlichen Bibliotheksbesuch, völlig durchlaucht vor den Schulsprecherräumen stand.
Innerlich wappnete ich mich, James gleich gegenübertreten zu müssen.
Okay Lily, du musst jetzt deine Emotionen im Griff haben. Nicht heulen, nicht heulen, nicht heulen...
Dieses Mantra wiederholte ich im Kopf, während ich „Alraune" murmelte und durch das Porträtloch ins Innere unserer Wohnung kroch.
James sah auf, als ich hereinkam und lächelte mich genauso müde an, wie ich mich fühlte.
Er saß auf dem Sofa und hatte einen Haufen Blätter kreuz und quer über den Couchtisch verteilt. Seine Arbeitsfläche wurde nur schwach durch eine Stehlampe beleuchtet, was dem Ganzen irgendwie etwas Gemütliches gab.
James' Haare standen wie immer in alle Richtungen ab und seine Brille saß leicht schief. Nur mit Mühe unterdrückte er ein Gähnen, als er mich begrüßte.
„Hallo, Lily!"
„Hey", murmelte ich zurück und warf mein Schulzeug achtlos in eine Ecke. „Was machst du da?" Neugierig kam ich näher, um mich neben ihm aufs Sofa plumpsen zu lassen.
„Ach ... Nur ein bisschen Schulsprecherkram."
Ich schaute ihn erschrocken an. Verdammt, daran hatte ich gar nicht gedacht! Ich vergrub beschämt meinen Kopf in den Händen.
„Oh Merlin, James, es tut mir sooo leid! Du musstest das alles allein bewältigen! Ich hab's einfach komplett vergessen... Ich bin so verantwortungslos!"
„Lily, das macht doch nichts....", setzte James an, aber ich unterbrach ihn, indem ich energisch mit einer Hand vor seinem Gesicht rumwedelte.
„Nein, nein, nein, ich muss das wiedergutmachen. Die nächsten Patrouillen übernehme ich", stellte ich klar.
„Das ist doch...", fing James wieder an, und wieder unterbrach ich ihn, diesmal mit einem erschrockenen Aufschrei.
Ich hatte das kleine schwarze Kätzchen auf James' Schoß entdeckt.
Noch etwas, das ich vernachlässigt hatte.
„Oh, Ve", seufzte ich und nahm sie von James' Oberschenkeln herunter.
Sie guckte mich vorwurfsvoll aus ihren großen Augen an, schmiegte sich aber bereitwillig an mich, als ich sie in die Arme nahm.
„Hast du dich um sie gekümmert?", fragte ich James.
Er nickte und kratzte sich im Nacken. Für einen kurzen Moment sah es so aus, als wolle er etwas sagen, doch er musste stattdessen weit gähnen.
Und auch wenn in meinem Hinterkopf tausende Hintergedanken wie Du bist zu schlecht für ihn er nutzt dich nur aus Du bedeutest ihm nichts lauerten, musste ich grinsen.
„James, du bist total übermüdet. Geh schlafen, ich mach den Rest hier."
Er schüttelte vehement den Kopf. „Weißt du, wie viel das ist?! Du wirst Stunden brauchen. Außerdem siehst du auch müde aus."
„Eben, und du hast das Zeug in letzter Zeit allein machen müssen. Es ist nur fair, wenn ich das jetzt auch mal zu spüren bekomme. Und mir macht sowas Spaß, das weißt du doch. Ich wollte Schulsprecherin werden, du nicht", erinnerte ich ihn.
Zweifelnd blickte James auf den Haufen Pergamente.
„Bist du sicher?", hakte er nach.
„Ja, James."
Ich wusste, dass er nur noch ins Bett wollte, ich sah es an seiner Miene. Aber andererseits wollte er mich nicht alleinlassen ... sprach das nicht gegen Snapes Worte? Oder war es am Ende wirklich nur eine Masche?
„Okay, dann ... bist du echt ganz sicher?" James hatte sich schon zur Hälfte erhoben, kräuselte aber immer noch unsicher seine Stirn.
„Absolut." Ich verpasste ihm einen kleinen Schubser, der ihn vom Sofa wegstolpern ließ. „Geh schlafen."
„Zu Befehl, Evans." Er salutierte, was mir ein Kichern entlockte.
„Wenn du nicht schlafen kannst... ich lasse meine Tür offen", bot er an, mit leiser Stimme, als wäre er sich nicht ganz im Klaren darüber, wie ich seinen Vorschlag aufnehmen würde.
Wenn er wüsste, dass ich keine offenen Türen brauchte, um in sein Zimmer zu gelangen...
„Ist gut. Danke, James." Ich winkte ihm hinterher, bis er in seinem Raum verschwunden war.
Erst dann ließ ich die Hand sinken und wandte meine Aufmerksamkeit wieder Ve zu. „Und was machen wir jetzt, Schätzchen?"
Ve riss das Maul auf und entblößte ein paar spitze, kleine Zähne, bevor sie sich an meine Schuluniform schmiegte und die Augen schloss.
Na super. Alle ließen mich im Stich.
Andererseits hatte ich das ja gewollt. Nur die blöden Aufgaben vor mir hatten nicht unbedingt zu meinem Plan gehört.
Sie störten mein Konzept des ruhigen Nachdenkens erheblich.
Seufzend machte ich mich an die Arbeit.
Das wurde wohl wieder nix, meine Gefühle und Gedanken mussten sich hintenanstellen.

Die Regel - Lily& James Ff ✔️Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt