Kapitel 25

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„Ahm, Lily, was zur Hölle machst du hier?"
Danke für diese Ermutigung, Marlene, wirklich. War es denn tatsächlich so abwegig, dass ich das Quidditchfeld besuchte?
Wahrscheinlich schon.
„Ich ... Ich wollte zu den Auswahlspielen."
„Du meinst, du setzt dich auf die Tribüne und schaust zu?"
Grrr. Ernsthaft?!
„Nein. Ich werde fliegen", sagte ich mit so viel Selbstbewusstsein, wie ich aufbringen konnte.
Marlene wären fast die Augen aus dem Kopf gefallen.
„Du – was? Das letzte Mal warst du gezwungenermaßen hier und da musste Mme Hooch dich von der Spitze des Ostturms..."
„Jaha, wir kennen die Geschichte", unterbrach ich meine Freundin schnell, mit einem kurzen Seitenblick zu James. Er starrte mit ausdrucksloser Miene vor sich hin, aber ich sah es in seinen Mundwinkeln zucken.
Was für ein Idiot.
Marlene fiel anscheinend nichts mehr ein, was sie noch hätte Erniedrigendes sagen können, sie klappte nur noch ihren Mund ein paar Mal auf und zu, wie ein Fisch auf dem Trockenen.
Dann wandte sie sich um und stapfte zum Rand des Spielfelds, wo ihr Freund Hugo hockte und kurz von irgendeinem Blatt Pergament aufsah, als Marlene auf ihn zukam. Vermutlich heulte sie sich jetzt bei ihm aus, weil ihre beste Freundin komplett durchgeknallt war.
Ja, das tat sie wohl tatsächlich, denn Hugos Augen zuckten kurz entsetzt zu mir. Ich seufzte tief.
„Evans, hol dir einen Besen aus der Besenkammer. Alle anderen haben einen eigenen", wies James mich an, ohne auch nur kurz in meine Richtung zu schauen.
„Und beeil dich, ich möchte gleich anfangen."
„Aye aye, Sir", grummelte ich. Hatte der seine Tage oder was?
Wenigstens wusste ich, wo die Besenkammer war. Als ehemalige Vertrauensschülerin und jetzige Schulsprecherin war es wohl unvermeidlich, nicht mindestens ein knutschendes Pärchen darin zu erwischen. Ich hatte zwar keine Ahnung, was am Geruch von nassem Holz und durchgeschwitzten Trikots so romantisch war, aber nun ja. Jedem das seine.
Ich schnappte mir den erstbesten Besen, da ich sowieso katastrophal sein würde, egal ob ich nun einen erstklassigen Rennbesen oder ein Holzpferd ritt.
Als ich wieder auf dem Spielfeld stand, wartete schon eine ganze Gruppe ungeduldiger Teenager auf mich. Im Gegensatz zu mir schienen sie es kaum erwarten zu können, in die Luft hinaufzusteigen.
Allen voran Marlene und James waren total aufgekratzt. Marlenes Augen leuchteten und sie hüpfte auf und ab wie ein Gummiball, während James dem zusammengewürfelten Haufen begeistert seinen Plan unterbreitete.
Es ging irgendwie um Taktik und sowas, ich hörte jedenfalls nicht zu. Zu meiner Verteidigung: ich sprach nun mal keine Sprache, in der die Bedeutung des Wortes Wronski-Bluff eine Rolle spielte.
Irgendwann unterbrach Sirius, den ich bis dahin gar nicht bemerkt hatte, da er ungewöhnlich still gewesen war (vermutlich hatte er die meiste Zeit damit verbracht, Hugo in Grund und Boden zu starren), den schwafelnden Kapitän genauso gelangweilt wie ich mich fühlte.
„Können wir dann langsam mal anfangen?"
Okay, diese Worte entsprachen dann doch nicht so meinem Geschmack. Da sollte James lieber weitererzählen.
„Ich- was? Ach so, ja natürlich. Wir fangen mit den Kandidaten für die Position des Jägers an. Da ich eine von den drei Positionen bereits übernehme, sind logischerweise nur noch zwei Plätze übrig."
Bei diesen Worten schielte James zu Sirius rüber. Es war klar, dass er ihn unbedingt im Team haben wollte.
Meiner Meinung nach musste er sich da keine Sorgen machen. Sirius spielte fantastisch.
Soweit ich wusste war Marlene auch an dem Posten interessiert. Und ich sollte recht behalten: Zusammen mit noch ein paar Fünftklässlern und einer Viertklässlerin machte sie sich fröhlich auf und ab hüpfend auf den Weg zum Mittelpunkt des Spielfelds.
Ich beobachtete, wie James wild gestikulierend auf seine Mitschüler einredete, dann holte er einen roten Ball hervor – soweit ich wusste war das der Quaffel, nicht zu verwechseln mit einer Waffel, wobei ich diese bevorzugte- und stieg auf seinen Besen. Gemeinsam hob die Gruppe vom Boden ab. So gut es in der Dunkelheit ging, schaute ich zu, wie der Ball hin und her flog, wie James als improvisierter Hüter die meisten Treffer verhinderte und dabei nie seine Kameraden aus den Augen ließ.
Ich bewunderte jeden einzelnen Spieler. Die Viertklässlerin spielte sehr gut, doch Sirius hob sich mit seinem lässig- schnellen Flugstil deutlich von ihr ab. Marlene hatte ein wenig gegen sie zu kämpfen, aber am Ende hatte sie sich doch einen deutlichen Vorsprung erkämpft, einfach, weil ihre Technik besser war aufgrund jahrelanger Erfahrung.
Ein gellender Pfiff unterbrach das wilde Konkurrenzspiel, und die drei Jäger waren gewählt: James, Sirius und Marlene.
Murrend verzogen sich die Fünftklässler, die Viertklässlerin setzte sich ein wenig enttäuscht, aber scheinbar zufrieden mit sich an den Rand.
Entgegen meiner Erwartung waren nun die Hüter an der Reihe, danach die Sucher, wobei besonders zwischen diesen Spielern eine schwere Entscheidung anstand. Schließlich gewann eine kleine Drittklässlerin.
Kam es mir nur so vor, oder hatte James die Auswahlspiele für die Treiber mit Absicht nach hinten geschoben? Dachte er wirklich, ich würde es mir anders überlegen?
Dann kannte er mich aber schlecht.
Wobei ich zugeben musste, dass meine Konkurrenz mir durchaus Angst einflößte. Allesamt breitschultrige Jungs mit harten Gesichtern.
Ach du liebe Güte, ich würde eines matschigen Todes am Boden der Tatsachen sterben.
„Als nächstes die Kandidaten für den Posten des Treibers!", rief James schließlich vom Spielfeld aus.
Ich schluckte schwer.
Heiliger Kürbiskuchen, das würde die Blamage meines Lebens werden.
Die Schlägertypen (ja, so hatte ich sie insgeheim getauft) setzten sich in Bewegung. Ich folgte, was einen von ihnen dazu veranlasste, stehenzubleiben und mich ungläubig anzustarren.
„Was?", fauchte ich ihn an. Die Angst vor meiner nächsten Tat ließ mich aggressiv werden.
Er schüttelte nur den Kopf und stapfte weiter, bis er vor James stand. Dort fing er an zu reden.
„Was macht die denn hier?", fragte er, wobei er nicht mal versuchte seine Missbilligung zu verbergen. Ich glaubte mich vage zu erinnern, dass er reinen Blutes war. Nicht nur Slytherins hatten etwas gegen Muggelstämmige.
Ich wagte nicht, zu James aufzuschauen. Natürlich würde er dem Kerl zustimmen und mich gleich darauf vom Platz verweisen.
Ich wäre vielleicht sogar ein kleines bisschen froh darüber.
Doch mal wieder überraschte James Potter mich vollkommen.
„Sie hat genau das gleiche Recht hier zu sein wie du, Malcolm", entgegnete er kühl.
„Jeder weiß, dass sie nicht spielen kann", schnaubte Malcolm. „Guck dir halt an wie weiß sie im Gesicht ist! Die hat Schiss wie sonst was."
James warf einen flüchtigen Blick in meine Richtung. Ich schämte mich so sehr für meine um den Besen geklammerten Hände und die vor Nervosität zitternde Unterlippe, dass ich rot anlief.
Malcolm hatte recht. Ich gehörte hier nicht hin.
James gehörte hier hin. James mit den breiten Schultern und der schief sitzenden Brille und den immer zerzausten Haaren. James war quasi geboren worden, um auf einem Besen zu sitzen.
Malcolm gehörte hier hin, Malcolm und all seine grobschlächtigen Freunde.
Und dann war da ich, klein, schmal und zitternd wie Espenlaub.
„Vielleicht kann sie wirklich nicht spielen", sagte James.
Meine Schultern fielen in sich zusammen.
Er hasste mich. Natürlich. Hatte ich ernsthaft daran geglaubt, er würde mich gegen Malcolm verteidigen?
Bei Merlin, ich war so naiv.
„Aber sie ist hier. Und das spricht doch für ihren Mut, oder nicht? Und wie jawohl jeder hier weiß ist das die wichtigste Charaktereigenschaft eines Gryffindors. Ich wüsste nicht, was dagegenspricht, eine wahre Gryffindor in meinem Team spielen zu lassen. Und jetzt halt die Klappe und steig auf deinen Besen."
Ich konnte nichts tun als James anzustarren.
Meinte er das ernst?
Das war so ziemlich das Schönste, was mir seit den Ferien passiert war.
Mary sei Dank, zum Glück war ich zu diesem blöden Quidditchzeug gekommen.
Malcolm knurrte, tat aber wie geheißen. Die Jungs stiegen die Höhe.
Nur noch James und ich blieben am Boden zurück.
„Danke", sagte ich, allerdings so leise, dass ich nicht sicher war, ob er es gehört hatte.
James drehte den Kopf zu mir.
„Los, Krümel, hoch mit dir."
Und auch wenn sein Tonfall barsch und seine Miene unerbittlich war, die Tatsache, dass er mich „Krümel" genannt hatte, erwärmte mein Herz.
Ich nickte und schwang ohne zu Zögern ein Bein über meinen Besen.
Ich hatte keine Angst mehr.
James Potter, der Junge, der Grund hatte mich zu hassen und den eigentlich auch ich hasste, glaubte an mich.
Was war Quidditch dagegen schon?


Die Regel - Lily& James Ff ✔️Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt