Kapitel 105

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Wie erwartet nahmen Effie und Fleamont uns überaus herzlich in Empfang.
Effie bedeckte die beiden Jungs mit Küssen, Liebkosungen und auch ein paar Predigten, deren Inhalt größtenteils daraus bestand, dass die zwei mehr lernen sollten.
Ich stand daneben und nickte bekräftigend, bis ich plötzlich selbst an der Reihe war und von James' Mutter fest in die Arme geschlossen wurde.
„Herzchen!", rief sie entzückt. „Es ist so schön, dass du und James endlich zusammengefunden habt! Der Junge erzählt ja schon seit Jahrzehnten von dir."
Sie strahlte mich an. „Deine Haare hättest du aber nicht passend zum Partner färben müssen."
Ich fuhr mir verlegen durchs Haar. „Das ist nur Ruß", murmelte ich. „Ich wasche später Haare."
„Oder du entfernst es mit einem Zauberspruch", schlug Sirius vor.
„Benutzt du etwa Zaubersprüche für deine Haarpflege?", hakte ich misstrauisch nach.
Mir war das viel zu heikel.
Die meisten Dinge erledigte ich gerne auf dem Muggel-Weg.
Sirius schüttelte sein glänzendes Haar. „Nein, meine Haare sind einfach naturschön."
„Klar." Ich rollte mit den Augen.

Nachdem wir Fleamont ebenso freudig, aber nicht ganz so körperbetont begrüßt hatten, kam die kleine Hauselfe Holly vorbei und nutzte ihre Haushaltsmagie, um unsere Koffer verschwinden zu lassen.
Ich freute mich, das kleine Wesen wiederzusehen, auch wenn ich bei der Erwähnung ihres Namens immer wieder etwas abkühlte.
Meine Meinung über Hollys war sehr geteilt.

Effie befahl Holly schließlich, ihr bei der Zubereitung einer heißen Schokolade für jeden behilflich zu sein, während sie uns zurück ins Wohnzimmer lotste.
Zwischen James, Sirius und Fleamont entflammte sofort ein hitziges Gespräch über Quidditch.
„Wir sind auf dem besten Weg, wieder den Hauspokal zu holen. Es stehen noch ein paar wichtige Spiele an, doch das sollte eigentlich alles zu bewältigen sein..."
James' Redefluss war nicht zu bremsen, und legte er doch mal eine kurze Atempause ein, warf Sirius sofort einen Kommentar ein.
Ich saß daneben und fühlte mich etwas verloren.
Ich erinnerte mich noch lebhaft an meinen letzten Besuch im Krankenflügel – Fliegen war einfach nicht mein Ding.

Als hätte er meine Gedanken gelesen, sprach Fleamont mich plötzlich an: „Und du meidest weiterhin jedes Fluggerät, Lily?"
Er lächelte mich freundlich an, und mir fiel wieder auf, wie ähnlich er und James sich sahen.
Es war fast gruselig, hier mit der älteren Version meines Freundes herumzusitzen.
Sollten James und ich eines Tages heiraten und tatsächlich den Rest unseres Lebens miteinander verbringen, würde er irgendwann genau so aussehen.
Was nebenbei bemerkt nichts Schlechtes war (Wobei ich wirklich keine weiteren Kommentare zu dem Aussehen eines alten Mannes abgeben wollte).

„Ähm, ja", erwiderte ich lahm und hätte mir im gleichen Augenblick gerne eine Kopfnuss gegeben.
Ähm, ja?!
Das hörte sich so an, als hätte ich den IQ eines Gartenschlauchs. 
Hastig fügte ich hinzu: „Ich laufe aber ganz gerne. Mir fällt es leichter, Sport zu treiben, wenn ich festen Boden unter den Füßen habe."
Ich schob noch ein schüchternes Lächeln hinterher.
Merlin, wieso musste ich so unsicher sein?
Ich mochte und kannte James' Eltern doch.
Dennoch kam mir die Situation etwas suspekt vor.
Bei meinem letzten Besuch war ich nicht als James' feste Freundin hier gewesen, eher im Gegenteil.
Damals hatte es nicht ganz oben auf meiner Liste gestanden, seinen Eltern zu gefallen. Inzwischen sah die Sache schon ganz anders aus.

Ich warf einen neidischen Blick in Richtung Sirius, der sich einfach aufs Sofa lümmelte und sich pudelwohl fühlte.
Warum konnte ich nicht genauso hier zu Hause sein wie er?
Lily Evans, zieh verdammt nochmal den Stock aus dem Arsch!, verfluchte ich mich gedanklich selbst.
Ich versuchte mich ein wenig mehr am Gespräch zu beteiligen, bis Effie schließlich mit der heißen Schokolade ins Zimmer trat.

„Es tut mir leid, dass ich euch nicht mehr anbieten kann, aber wir sind auch eben erst nach Hause zurückgekehrt", entschuldigte sie sich ein wenig durcheinander, und stellte jedem von uns eine Tasse mit dampfendem Inhalt hin.
„Deine heiße Schokolade ist absolut perfekt, Effie", schwärmte Sirius. Er nahm einen Schluck und seufzte zufrieden, bevor er sich räkelte und wieder aufs Sofa plumpsen ließ.
„Freut mich, Sirius, Schatz." Effie kniff ihn liebevoll in die Wange und wischte mit der anderen Hand seine Füße vom Couchtisch.
Sirius warf ihr einen schmollenden Blick zu, den sie gekonnt ignorierte.
Ich konnte nicht verhindern, dass mir diese Vertrautheit wieder einen Stich versetzte.
Verdammt, wieso zur Hölle war ich denn jetzt eifersüchtig auf Sirius?
Ich hatte absolut kein Recht dazu; ich wusste, wie Sirius' eigene Familie mit ihm umging und sollte mich freuen, dass die Potters ihn so gut aufnehmen.
Und dennoch kam ich nicht umhin mir zu wünschen, selbst die Person zu sein, die sich hier so zu Hause fühlte.
Immerhin war ich James' Freundin ... sollte ich nicht auch zur Familie gehören?
Oder war das einfach nur der verzweifelte Wunsch nach meiner eigenen Familie, dass ich hier so unbedingt dazugehören wollte?
In meine Augen stiegen Tränen.
In diesem Moment vermisste ich meine Eltern so heftig wie nie zuvor.

Ich war so sehr in meine eigenen Gedanken vertieft, dass das Gespräch der anderen nur noch als ein dumpfes Rauschen an meine Ohren klang.
Meine Sicht auf das Geschehen war ebenso verschwommen, da die Tränen meine Sicht verschleierten.
Ich starrte vor mich hin und konzentrierte mich darauf, keine Träne über meine Wange rollen zu lassen.

Auf einmal fühlte ich, wie sich ein schwerer, warmer Arm um meine Schulter legte.
Ich hob erschrocken den Blick und schaute in James' warme, sanfte Augen.
Er hatte den Kopf schief gelegt und lächelte mich leicht an.
„Hey", flüsterte er so leise, dass es außer uns keiner hören konnte, „nicht weinen, Krümel. Ist doch alles gut."
Er fuhr mit dem Daumen kurz unter meinen Augen entlang und drückte mich fest an sich.
„Hab dich lieb", murmelte er an meinem Ohr, bevor er seinen Griff wieder lockerte.
Den Arm ließ er auf meiner Schulter ruhen.
Ich drängte die Tränen energisch zurück und lächelte James an.
„Danke", formte ich mit den Lippen.
James zwinkerte mir zu und nickte mit dem Kopf in die Runde.

Effie, Fleamont und Sirius unterhielten sich angeregt und hatten nichts von dieser kleinen Szene mitbekommen, aber mir hatte sie so viel Kraft gegeben.
James war bei mir.
Ich kuschelte mich tiefer in seinen Arm und richtete meine Aufmerksamkeit wieder auf das Gespräch.
Mit der Zeit fiel es mir immer leichter, völlig ungezwungen mitzureden, einige Male lösten meine Kommentare zu James' und Sirius' Erzählungen richtige Lachanfälle aus und als es schließlich Abend war und unsere Kakaotassen längst ausgetrunken waren, fragte ich mich, wieso die Zeit eigentlich so schnell vergangen war.

Die Regel - Lily& James Ff ✔️Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt