Kapitel 34

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Der Werwolf winselte ein wenig, als die beiden anderen Tiere immer kleinere Kreise um ihn zogen.
Ich verfolgte gebannt das Geschehen. Mittlerweile jagte so viel Adrenalin durch meine Adern, dass ich keine Angst mehr verspürte, nur noch den absoluten Nervenkitzel, der meine Hände zum Zittern brachte.
Nur eins wollte mir nicht klarwerden: Wie waren die beiden Tiere hierhergekommen? Ein Hirsch gehörte in den Wald und der Hund, so groß und zottelig er auch war, sah eigentlich ganz niedlich aus.
Zumindest hätte ich ihn eher als Haustier bei einer Großfamilie vermutet, und nicht in einer heruntergekommenen Hütte.
Ich kniff die Augen zusammen. Kannte ich diesen Hund nicht irgendwoher?
Doch, ja. Ein großer schwarzer Hund... wo hatte ich ihn nur schon einmal gesehen?
Während ich grübelte, was es damit auf sich hatte, drängten die Tiere den Werwolf in eine Ecke, wo er mit einem leisen Jaulen die Beine einknickte und sich auf den Boden sinken ließ.
Meine Augen weiteten sich. Hatten sie es tatsächlich geschafft, einen Werwolf im Schach zu halten? Was waren das denn für Tiere?
Der Hund bellte kurz und freudig, ein raues Geräusch, das mich ein wenig an Sirius Blacks Lachen erinnerte.
Ruckartig riss ich den Kopf hoch. Oh mein Gott.
Natürlich. Dieser Hund, ich kannte ihn von einem Foto aus James' Haus. Er hatte auf dem Bild die Pfoten auf seine Schultern gelegt und leckte ihm über das lachende Gesicht.
Eine Vorahnung überkam mich. Ohne die drei Gestalten aus den Augen zu lassen, zog ich die Karte wieder hervor. Mit bebenden Fingern entfaltete ich sie so leise wie möglich, um die Aufmerksamkeit nicht auf mich zu lenken. Dann senkte ich vorsichtig, beinahe ängstlich, den Blick auf das Stück Pergament.
Ich sog scharf die Luft ein und klatschte mir im nächsten Moment erschrocken die Hand auf den Mund. Schnell spähte ich wieder in die Hütte, aber keines der drei Wesen hatte mich bemerkt.
Oder sollte ich eher keiner der Rumtreiber sagen?

Alles ergab nun Sinn.
Remus Lupin- Moony. Er war der Werwolf. Deswegen wirkte er immer blass und kränklich, deswegen machte er sich solche Sorgen um seine Zukunft, deswegen fehlte er zu bestimmten Zeiten im Unterricht.
Sirius Black- Padfoot, Tatze. Er war der Hund. Er war ein Animagus! Wie hatten die Rumtreiber das nur angestellt? Das war Magie auf ihrer höchsten Stufe! Es war einfach nur beeindruckend. Ich konnte nicht widerstehen, ich musste noch einen Blick auf die drei werfen. Der Werwolf, der so traurig und unglücklich schien. Der Hund, der mit dem Schwanz wedelte und die Aufregung sichtlich genoss.
Und er stattliche Hirsch, stolz und anmutig. James Potter. Der verdammte Idiot war ein Animagus.
Ich konnte es nicht glauben. James Potter- Prongs.
Fehlte nur noch ... Peter. Ich dachte an die Ratte, die vorhin an mir vorbeigehuscht war. Ja, das ergab durchaus Sinn. Der Junge, der immer nach Käse roch und eine spitze Nase hatte.
Das war einfach nur unglaublich.
Während mir all das durch den Kopf ging schlich ich mich langsam und darauf bedacht, kein Geräusch zu machen, wieder von der Hütte weg.
Ich konnte darauf verzichten, dass Remus mich entdeckte und beschloss, einen kleinen Nachtisch einzunehmen.
Und James war sowieso schon wütend genug auf mich, ich konnte mir nicht vorstellen, dass er sonderlich begeistert wäre, wenn er wüsste, dass ich das wohl größte Geheimnis der Rumtreiber nun kannte (und ihre Karte geklaut hatte).
Nur eines ergab für mich nicht viel Sinn: Warum?
Warum hatten die drei sich die Fähigkeit erworben, ihre Gestalten zu ändern?
Kamen sie jeden Vollmond mit in die Hütte und riskierten ihr Leben?
ich wollte gar nicht daran denken, was den dreien alles zustoßen könnte.
Oh mein Gott.
Wie gern würde ich James dafür zur Rede stellen ... und all meine Fragen loswerden. Aber er würde sie mir nicht beantworten.
Die Zeiten, in denen er alles für Lily Evans getan hätte, waren vorbei.
Ich hörte ein Jaulen hinter mir und automatisch beschleunigte ich meine Schritte.
Nein, ich hatte nun wirklich kein Bedürfnis, als Werwolffutter zu enden.
Das anfangs klägliche Jaulen schien kein Ende zu nehmen, es wurde nur lauter und schmerzerfüllter und sogar aggressiver.
Unschlüssig blieb ich stehen und drehte mich um. Ich war noch nicht wirklich weit gekommen, da ich leise und vorsichtig gehen musste, und so konnte ich das unheimliche Leuchten, das den Eingang zur Hütte darstellte, immer noch am Ende des Ganges erkennen.
Schnelle Schatten huschten an der Wand entlang, allesamt groß und mit hastigen Bewegungen, bis ein lautes Knurren erklang und zwei Schatten miteinander zu verschmelzen schienen.
Ein lautes Röhren war zu hören. Ich zuckte zusammen. Meine Hand verkrampfte sich um meinen Zauberstab und automatisch fing ich an, zurück zu rennen.
Ich konnte keinen klaren Gedanken fassen, das einzige, was sich wieder und wieder in meinem Kopf abspielte war der gequälte Laut eines Tiers, das Röhren des Hirschs.
Der Werwolf heulte triumphierend, ich hörte ein Rascheln, wie Pfoten, die schnell durch den Staub rutschten, dann lautes Bellen und Jaulen, das sich miteinander vermischte und ein schauriges Duo bildete.
Es waren die Laute eines Kampfs.
Anscheinend hatten James und Sirius die Kontrolle über die Situation verloren.
Angst umklammerte mein Herz wie eine eiskalte Faust, während es in meiner Brust raste, als wolle es schneller zum Eingang der Hütte gelangen.
Ich rannte, ohne den Boden unter meinen Füßen zu spüren, stolpernd und keuchend und mit nicht genug Luft in den Lungen, aber es war mir egal.
Endlich hatte ich die Öffnung erreicht und knallte noch mit vollem Schwung gegen die Wand, meine Finger krallten sich in die Türöffnung und ich riss den Kopf zur Seite, um wieder in den Raum spähen zu können.
Das wütende Geheul von Sirius und Remus hatte sich entfernt. Ich dankte Merlin im Stillen dafür, dass Sirius schlau genug gewesen war, Remus von dem verwundeten Hirsch wegzuführen.
James – oder besser gesagt Prongs- hatte sich in der Ecke zusammengekauert, in der Remus zuvor eingekesselt gewesen war.
Der Brustkorb des schönen Tiers hob und senkte sich hastig und das Fell glänzte schweißnass im Mondlicht. Er lag seitlich, mit dem Bauch in meine Richtung, und so konnte ich die klaffende Wunde dort sehen.
Ich musste schlucken. Es sah aus, als hätte Remus nicht nur seine Zähne dort hineingegraben, nein, er hatte auch noch daran gezerrt, bis die Haut gerissen war.
Mir wurde schlecht. Ich schloss kurz die Augen und suchte Halt an der kalten Mauer.
Ganz ruhig, Lily, atmen.
Ich gönnte mir diesen kurzen Augenblick der Ruhe, bis vom Hirsch ein leises Wimmern kam, dann ein herzzerreißendes Schnaufen.
Sofort öffnete ich die Augen wieder.
Prongs erwiderte meinen Blick aus großen braunen Augen, die ich sonst so oft hinter den Brillengläsern gesehen hatte.


Die Regel - Lily& James Ff ✔️Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt