Kapitel 6

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Meine Freunde hatten oft gemeint, dass ich mit meiner Abneigung gegenüber den Rumtreibern übertrieb. Besonders in der Zeit, in der Marlene mit Sirius gegangen war, hatte ich nicht ein Wort gegen die vier Freunde sagen dürfen.
Nicht, dass mich das daran gehindert hatte, es trotzdem zu tun.
Auch wenn es für Marlene, Mary und Dorcas unbegreiflich war, mein Hass, besonders auf Potter, war nicht einfach so aus der Luft gegriffen. Um ehrlich zu sein... ich hatte sogar eine Liste mit Gründen in meinem Tagebuch, warum ich James Potter einfach auf den Tod nicht ausstehen konnte.
Die sollte ich mir unbedingt mal wieder anschauen. Dieses Haus hatte einfach keinen guten Einfluss auf mich. Ich musste unbedingt verhindern, dass ich anfing, Potter zu mögen. Oh Gott. Allein die Vorstellung bescherte mir eine Gänsehaut.
Nein, soweit durfte ich es absolut nicht kommen lassen.
Also kramte ich eine Weile in meinem Koffer herum, bis ich das hübsche rote Buch in der Hand hielt. Die Stelle mit der Liste war mit dem Lesezeichen markiert und jederzeit aufschlagbar. Ich hatte schon oft genug meine Wut abreagiert, indem ich mir die Liste durchgelesen oder etwas hinzugefügt hatte.
Voller Vorfreude klappte ich das Buch auf:

Gründe, warum man James Potter HASSEN sollte:
1. Er hat mir zu meinem vierzehnten Geburtstag eine Kröte geschenkt, weil er meinte, sie würde gut zu meinen Augen passen
2. Er ist arrogant und selbstgefällig, verhext jeden, nur weil er es eben kann, und verwuschelt ständig seine blöden Haare, weil er denkt, es wirkt cool. Außerdem spielt er ständig mit diesem dämlichen Schnatz
3. Er denkt er wäre der totale Quidditchheld und hätte deswegen die Erlaubnis, Partys im Gemeinschaftsraum zu schmeißen
4. Wenn er mich nicht gerade nach einem Date fragt, nennt er mich eine Streberin und sagt, kein Wunder, dass ich fast keine Freunde habe, wenn ich nur in der Bibliothek hocke
5. Er hat bestimmt jede Schulregel schon einmal gebrochen, weil für Prinz Potter natürlich keine Regeln gelten
6. Er hält sich für total toll, nur weil diese ganzen Mädchen auf sein (zugegeben) hübsches Äußeres hereinfallen
7. Er ist indirekt der Grund dafür, warum Severus und ich nicht mehr befreundet sind
8. ...

Ich schlug das Buch wieder zu. Severus Snape war der letzte, an den ich jetzt erinnert werden wollte. Eigentlich könnte ich Punkt sieben streichen. Denn ich bereute es nicht, die Freundschaft zu dem ehrgeizigen Slytherin beendet zu haben.
Snape und ich waren Nachbarn und durch ihn hatte ich noch vor meinem Hogwartsbrief von meinem Dasein als Hexe gewusst.
Er war lange mein bester Freund gewesen, obwohl er ein Slytherin war und ich eine Gryffindor. Dafür hatte ich mich vor Freunden häufig rechtfertigen müssen, immerhin interessierte er sich für die dunklen Künste und hing ständig bei den kleinen Todessern rum. Dann im fünften Jahr hatte es endgültig geknackt.
Er hatte mich als Schlammblut beschimpft, wie alle seine Freunde auch, und dass, obwohl ich ihn nur gegen Potter verteidigt hatte.
Seitdem war es nie wieder das selbe zwischen uns gewesen, auch wenn Snape oft genug darum gebeten hatte.
Doch wir standen auf zwei verschiedenen Seiten. Es war seine Entscheidung gewesen: Ich oder die dunkle Magie.
Das Ergebnis war nicht mein Problem.
„Eva-hans!", schrie Potter von unten. „Wo bleibst du denn?"
Die Augen verdrehend kramte ich meine Badesachen aus den Tiefen des Koffers. Ein Handtuch, Sonnencreme... Als nächstes hielt ich den Bikini in der Hand, den meine Mutter mir dieses Jahr gekauft hatte, als ich noch in Hogwarts gewesen war.
Er war ein Geschenk gewesen, doch ich hatte ihn nicht ein einziges Mal getragen. Nicht dass er mir nicht gefiel oder stand, eher im Gegenteil. Der rote, schlichte Bikini zeigte meiner Meinung etwas mehr als ich wollte.
Meine Kurven wurden in dem Ding perfekt betont, ebenso meine langen Beine.
Für den See in Hogwarts definitiv zu sexy.
Warum hatte ich das Teil überhaupt eingepackt? Ich durchwühlte meine Sachen weiter nach meinem grünen Badeanzug, blieb aber erfolglos.
Mich beschlich eine böse Vorahnung. Stöhnend ließ ich mich auf den Boden sinken. Ich wusste genau, wo der Badeanzug war: auf der Wäscheleine vor unserem Haus in Cokeworth.
Scheiße.
Jetzt hatte ich genau drei Optionen: Nackt ins Wasser (klares NEIN), erneute Kitzelattacke (bitte nicht), oder ... resigniert schnappte ich mir den roten Bikini.
Ich zog den Bikini unter meine Sommerkleidung, sammelte meine restlichen Sachen auf und machte mich dann mit einem etwas mulmigen Gefühl auf den Weg zum Garten der Potters.
Wie seltsam das doch alles war. Gestern noch hätte ich es für unmöglich gehalten, mal das Anwesen der Familie Potter zu besuchen und nun wohnte ich hier.
Das Leben war schon echt merkwürdig. Und nicht selten spielte es mit unfairen Karten.
Ich trat hinaus in den großen, wunderschönen Garten der Potters. Einen kurzen Moment blieb ich fasziniert stehen.
Meine Mutter, die Gärtnern vergötterte, hätte alles für eine solche Gartenanlage gegeben. Bäume, exotische Pflanzen, natürlich Wasserfälle ... das alles drängte sich hier dicht an dicht.
Das absolute Highlight stellte aber unbestreitbar der weite See dar, zu dem ich in lockerem Tempo joggte.
Black und Potter waren schon da, sie breiteten gerade ihre Handtücher am Ufer aus, wobei sie herumalberten und lachten. Bei ihrem Anblick musste ich an Marlene denken. Wie gern hätte ich sie jetzt hier gehabt. Meinetwegen auch mit ihrem nervigen Freund Hugo. Hauptsache sie ging mit mir schwimmen.
„Hallo Lils!", rief Black mir entgegen und winkte wie wild. Sein tückisches Grinsen verriet mir, dass ich von diesem Spitznamen wohl nicht mehr wegkommen würde.
Dafür kassierte er ein genervtes Anfunkeln.
Ich tat so, wie als wäre ich vollkommen vertieft darin, mein Handtuch auszubreiten und meine Arme mit Sonnencreme einzureiben. In Wahrheit schielte ich allerdings ständig zu den Jungs herüber, wie ich leider zugeben musste.
Die beiden zogen sich gerade ihre T-Shirts über den Kopf und standen nur noch in Badehosen vor mir.
Zwar hatte ich die beiden schon ohne ihre Shirts gesehen - nicht nur gesehen... oh Merlin, ich wurde schon rot, wenn ich nur an gestern Abend dachte-, doch irgendwie schienen meine hormongesteuerten Augen nicht genug von ihren leider seeehr ansehnlichen Körpern zu kriegen.
Beide waren auf eine schlanke Art muskulös, ihr Bizeps und Trizeps wölbte sich deutlich hervor, wodurch wohl jeder erkannte, dass sie beide auf der Position des Jägers spielten. Noch dazu waren Brust und Bauch perfekt trainiert und gut proportioniert. Wobei mir Blacks Oberkörper schon fast wieder etwas too much war, falls das überhaupt ging. Sein Sixpack wirkte schon nicht mehr natürlich.
Er im Vergleich zu Potter war in etwa so, wenn man eine natürliche Schönheit neben ein Mädchen, dass mehr Schminke als Gesicht hatte, stellte.
Hatte ich Potter eben als natürliche Schönheit bezeichnet?! Merlin, es ging bergab mit mir.
„Evans, behalt deine Augen bei dir, bevor du noch anfängst zu sabbern", riet mir Potter aus dem Nichts. Erschrocken fuhr ich hoch. Er und Black hatten sich mir zugewandt und grinsten selbstgefällig.
Bei Merlins Unterhose. Ich lief puterrot an und konnte meine Hand gerade noch davon abhalten, mir über den Mund zu wischen.
Ertappt leckte ich mir über die trockenen Lippen.
Gleich würden sie mich wieder auslachen, ich sah es schon in ihren Mundwinkeln zucken. Um sie nicht länger ansehen zu müssen, beugte ich mich schnell nach unten und stieg aus meinen Shorts. Auch das T-Shirt zog ich mir liebend gern über den Kopf, solange es mich nur davor bewahrte, Blacks und Potters arrogantes Grinsen anschauen zu müssen.
Verlegen hob ich meinen Blick wieder. Black war bereits ins Wasser gewatet und drehte sich nun wieder zu mir um.
Er pfiff durch die Zähne. „Uuuh, Evans, warum ziehst du sowas denn nicht mal am Schwarzen See an?" Anzüglich wackelte er mit den Augenbrauen.
Oh Gott, der Bikini! Den hatte ich komplett vergessen.
„Wobei, tut mir leid", fuhr Black gespielt nachdenklich fort, „ich steh mehr auf Mädchen, die weniger Leibesfülle, dafür aber mehr Oberweite haben, wenn du weißt, was ich meine." Er zwinkerte mir zu.
Mir klappte der Mund auf. Was sollte das denn heißen? Fand er mich in dem Bikini etwa dick? Und ich hatte gedacht, er würde mir stehen ... Die typischen Teenagermädchen Gedanken suchten mich heim.
Black hatte recht. Mein Busen war zu klein, meine Beine für die eines Mädchens zu muskulös. Womöglich sollte ich doch nicht so viel Joggen gehen.
Gerade wollte ich mir wieder mein T-Shirt nehmen, da begegnete ich Potters Blick. Er schien mich überhaupt nicht zu dick zu finden. Er starrte mich an, und in seinen Augen lag etwas wie Bewunderung ... und Sehnsucht. Ich sah, wie er schlucken musste, dann rückte er seine Brille zurecht.
Normalerweise hätte ich ihn jetzt angepflaumt, er solle gefälligst seine Augen von mir nehmen, oder ihn als perverses ... na, ihr wisst schon was, bezeichnet.
Aber im Moment war ich dankbar für seine männlichen Hormone. Er gab mir das Gefühl, schön zu sein.
„Potter?", konnte ich mir dennoch nicht verkneifen. „Ist was?"
Schockiert hob Potter seinen Blick wieder zu meinen Augen. Augenblicklich fuhr seine Hand zu seinen Haaren, und er zerwuschelte sie wie so oft. Ob sie deswegen so vom Kopf abstanden?
„Ich ...äh", stammelte Potter. Mit hochgezogenen Brauen schaute ich zu ihm hoch. Mir fiel auf, wie groß er war. Bestimmt fast 1,80m.
„Hast du mir gerade auf die Brüste gestarrt?", brachte ich die peinliche Situation auf den Punkt, wobei ich gespielt empört meine Hände in die Hüften stemmte. Ich korrigiere: die für ihn peinliche Situation. Bewusst beugte ich mich noch ein kleines Stückchen vor, was noch bessere Sicht auf mein Dekolleté gewährte.
Er räusperte sich. Von allen Dingen, die Potter hätte tun können, wählte er das aus, was mich am meisten überraschte: Er beugte sich zu mir herunter, bis seine warmen, haselnussbraunen Augen auf meiner Höhe waren.
Dann flüsterte er so leise, dass ich es fast nicht verstanden hätte: „Sirius hat Unrecht, Evans. Du bist viel schöner als all die Supermodels."
Irritiert blinzelte ich, da war er auch schon weg. Hatte James Potter mir soeben ein Kompliment gemacht?
So viel zu meinem Statement: Das Leben war merkwürdig.

Es machte Spaß, mit Black und Potter im Wasser herumzualbern. Klar, es gab Menschen, deren Gesellschaft ich vorgezogen hätte, aber alles in allem fühlte ich mich schon fast wohl. Und das war in Potters Nähe eher seltener vorgekommen.
Die beiden hatten das Floß hervorgekramt, das ich schon von den Fotos im Esszimmer kannte. Anfangs hatte ich mich noch dagegen gesträubt, mit ihnen so über das Wasser treiben, doch Black hatte mich kurzerhand mit einem Aufrufezauber an Deck geholt. So ein Mistkerl. So richtig böse war ich ihm allerdings nicht, denn wie sich herausstellte, war es ganz witzig mit den beiden „auf hoher See", wie sie es nannten. Eigentlich benahmen sie sich fast wie kleine Kinder. (Ich durfte ihre „Piratenprinzessin" sein. Wenn das nicht schon alles sagte!)
Inzwischen sonnte ich mich alleine auf besagtem Floß, die beiden anderen zogen irgendwo im Wasser ihre Bahnen.
Mir fiel ein, dass ich Marlene unbedingt mal eine Eule schicken musste. Sie würde bestimmt nicht glauben, was mir passiert war.
Zufrieden gestattete ich mir ein kleines Lächeln. Das war zwar kein Urlaub in der Karibik wie manche meiner Freunde ihn hatten, aber dennoch überraschend schön. Die Sonne schien und ihre Strahlen saugten nach und nach die Blässe aus meiner Haut, das Wasser wiegte mich sanft hin und her, bis ich eindöste. Nur noch am Rande meines Bewusstseins nahm ich war, wie jemand „Accio!" rief.
Erst, als mir langsam aufging, dass das feuchte Gefühl meines Bikinioberteils auf meiner Brust plötzlich fehlte, richtete ich mich auf.

Die Regel - Lily& James Ff ✔️Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt