Kapitel 47

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„Ääähm... pssst! James!"
Ich tippte ihn an der Schulter an. „Wach mal bitte kurz auf. Also nicht kurz. Eigentlich ziemlich lange..."
Was laberte ich da eigentlich?
Kopfschüttelnd unterbrach ich mich selbst und starrte kurz zur Decke hoch.
Sei normal, Lily, sei normal...
„James! Bitte! Wach auf!"
James grunzte und rutschte unter meinen Fingerspitzen weg. Seine Augen waren immer noch fest geschlossen, soweit ich das erkennen konnte.
Offenbar hatte er einen festen Schlaf.
Das war ziemlich positiv, wenn man ihm Streiche spielen wollte. Im Moment fand ich es ziemlich dumm. Außerdem war es eiskalt hier drinnen, James schlief mit angekipptem Fenster.
Ich zitterte sowieso schon vor Angst und Aufregung, und die Temperaturen machten es nicht gerade besser.
„Komm schon, Jaaaaames", knurrte ich und zerrte fest an seinem Arm.
Ein Grummeln seinerseits folgte. Sonst nichts.
Aaaargh!
Ungeduldig krabbelte ich auf sein Bett und kniete mich neben ihn, um ihn ordentlich an den Schultern rütteln zu können.
„James! Wach! Auf!"
„Hmmm", machte James, und es klang ziemlich selbstzufrieden.
Sogar im Schlaf war er ein arroganter Vollhorst.
Dann sagte er ganz plötzlich meinen Namen.
Ich starrte ihn an. War er etwa endlich aufgewacht? Gespannt beugte ich mich vor, um sein Gesicht besser sehen zu können. Aber nein, die Augen waren immer noch geschlossen.
Ach du liebe Güte.
Jetzt schmatzte er. Bei Merlin, wovon träumte er bitte?
Am Ende war er ein Kannibale und verspeiste im Schlaf gerade meine Waden oder sowas.
„Lily", murmelte James nochmal. Dadurch, dass ich mich so weit vorgelehnt hatte, streifte sein Atem meine Wange. Ich gebe es nur ungern zu, aber ich bekam eine Gänsehaut.
Es folgte ein unverständliches Murmeln, woraufhin ich noch ein bisschen näher rückte, weil ich unbedingt wissen wollte, was zur Hölle er da bitte von mir träumte.
Womit ich nicht gerechnet hätte, war, dass James sich ganz plötzlich auf die Seite drehte und dabei beide Arme fest um mich schlang.
Geschockt lag ich für ein paar Sekunden nur stocksteif da und hypnotisierte die muskulösen Unterarme, die sich da um meinen Bauch gelegt hatten.
Das war ja fast wie bei einem Kleinkind, dem man den kleinen Finger hinhielt.
Eventuell hatte ich mich ein bisschen zu weit zu ihm rüber gelehnt.
Andererseits konnte ich ja nicht wissen, dass James im Schlaf zu einer Fleischfressenden Pflanze mutierte.
So oder so, die Situation war seeeeehr unangenehm.
Zumindest war mein Verstand dieser Meinung.
Mein Herz klopfte ganz laut und schnell. Ich hatte die leise Ahnung, dass es Freudensprünge machte.
Ach Quatsch, was dachte ich hier eigentlich.
Wenigstens hatte diese seltsame Umarmung einige Vorteile: Mir war nicht mehr kalt, und irgendwie fühlte ich mich sicherer.
Ich war nicht mehr allein. Ich musste nicht mehr über all die Dinge nachdenken, die gerade absolut nicht schön liefen, weil ich mich einfach nur auf James ruhige, gleichmäßige Atemzüge direkt an meinem Ohr konzentrieren konnte, und schon ging es mir besser.
Das war verrückt. Aber es war so.
Manchmal brauchte es gar keine Worte, keinen Ratschlag. Manchmal reichte eine Umarmung, dann ging es wieder.
Zumindest einigermaßen.
Ich konnte James' Herzschlag an meinem Rücken spüren. Es schlug ganz langsam und gemächlich. Seine Brust hob und senkte sich in einem ähnlichen Takt, und ich passte automatisch meine Atmung an seine an.
Für ein paar Augenblicke erlaubte ich mir, in dieser Haltung zu bleiben.
Das war beruhigend, auch wenn die Tatsache, dass James oben ohne schlief, mich ein bisschen unbehaglich fühlen ließ.
James dagegen brummte zufrieden.
Schlief er etwa immer noch?
Wahrscheinlich sollte ich ihn aufwecken. Sonst würde ich selbst einschlafen und es wäre ein verdammt peinlicher Moment, wenn er aufwachte und mich in seinen Armen wiederfinden würde.
Nicht, dass es mich stören würde... Lily! Was war nur mit mir los?
Vermutlich brauchte ich einfach ein bisschen Zuneigung. Wer bräuchte das denn nicht, nach solchen Ereignissen...?
Ich seufzte traurig.
Ich hatte meinen Eltern nicht mal erzählt, dass ich am Ende der Ferien bei James gewesen war. Ich hatte mich nicht ordentlich von ihnen verabschiedet.
Und nun war es zu spät dafür.
Wieso hatte ich nicht ein einziges Mal meinen Stolz hinter mir lassen können und ordentlich mit Petunia reden können?
Natürlich war es nicht besonders nett gewesen, was sie und ihr Wal von einem Verlobten da über mich gesagt hatten, geschweige denn, dass sie mich von ihrer Hochzeit hatten ausschließen wollen.
Aber ich war auch kein Unschuldsengel.
Vor lauter Verzweiflung, Enttäuschung und Schuldgefühlen fing ich wieder an zu weinen.
Meine Schultern bebten von den Schluchzern, die ich zu unterdrücken versuchte, um James nicht zu wecken.
Allerdings war es dafür wohl zu spät.
Seine regelmäßige Atmung stoppte ganz plötzlich und ich spürte, wie er den Kopf hob.
„Lily?"
Na, das war ja mal wieder typisch.
Den Einbruch einer Herde Elefanten hätte er verschlafen, aber wehe ich fing an zu weinen.
Hatte er einen Lily-Sensor oder sowas?
Ich schluckte schwer. „Ja?", krächzte ich dann, und merkte selbst, wie jämmerlich es klang.
„Ähm... was genau suchst du in ... ich meine... Weinst du?"
Erst jetzt schien er seine Arme um meinen Bauch zu bemerken. Ich könnte schwören, dass er kurz quietschte. „Oh Merlin, es tut mir leid, Lily!"
Augenblicklich wich er zurück, wobei die Matratze schaukelte.
„Meine Mum sagt immer, dass ich alles und jeden sofort umarme, wenn ich schlafe, sobald er oder sie auch nur auf einen halben Meter Nähe kommt... Ich meine, das hört sich jetzt echt jämmerlich an, aber ja und ... was genau tust du nochmal in meinem Bett?"
Zwischen zwei Schluchzern brach ein klägliches Lachen aus mir hervor.
„Schon gut, James, beruhige dich", flüsterte ich.
Er atmete tatsächlich ein paar Mal tief durch.
„Okay", murmelte er dann. „Das war ein Schock, aber es ist nicht unbedingt die schlechteste Art, aufzuwachen."
Allerdings sagte er es so leise, dass ich mir nicht sicher war, ob ich es richtig verstanden hatte.
Ich wollte es nicht, aber ich schluchzte laut auf. Merlin, James musste mich auch für total bekloppt halten. Ständig schmiss ich mich an ihn ran und heulte ihn dann voll.
Ich schämte mich, dass ich so ein kolossaler Jammerlappen geworden war.
Was war denn mit der starken Lily Evans passiert?
Die lag jetzt hier und vergrub peinlich berührt ihr Gesicht in einem Kissen, das zufälligerweise James Potter gehörte.
Ich konnte nicht anders, ich weinte bitterlich in James' Bettwäsche.

Die Regel - Lily& James Ff ✔️Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt