Nacheinander nahm sich jeder eine Handvoll Erde und eine Rose, die in einigen Behältern bereitstanden, und trat an das Grab heran.
Ich beobachtete, wie die Leute vor mir Worte murmelten, manchmal gefasst und manchmal unter Tränen, bevor sie die Erde und die Blume in das Grab warfen.
Ich realisierte erst, dass ich nun an der Reihe war, als James mich sanft in die Seite stupste.
„Soll ich mitkommen?", fragte er leise.
Ich schüttelte stumm den Kopf. Langsam ließ ich seine Finger los und trat an das Grab heran.
Hineinzusehen wagte ich nicht, zuerst nahm ich ein bisschen Erde in meine linke Hand. Die andere streckte ich nach den Rosen aus. Meine Finger zitterten.
Erst dann machte ich die letzten Schritte und schaute nach unten.
Ich wusste nicht, was ich erwartet hatte. Offene Särge? Die Möglichkeit, die Gesichter meiner Eltern zum letzten Mal zu erblicken?
Aber so war es nicht.
Zwei große Särge lagen geschlossen auf dem Boden des Grabes.
Sie waren schlicht und aus dunklem Holz – ich wusste, dass es meiner Mutter gefallen hätte.
Auf der anderen Seite der Öffnung im Boden stand ein Grabstein.
Durch den Tränenschleier vor meinen Augen versuchte ich, die Inschrift zu lesen:Hier ruhen
In Frieden
George und Linda EvansSonst waren keine Worte zu entziffern und ich wollte schon enttäuscht sein, dass man ihnen nichts persönliches mehr mit auf den Weg gegeben hatte, als ich ein kleines Lama unter der Inschrift entdeckte.
Es war in Stein gemeißelt und schaute in einen Sonnenuntergang.
Ich musste lächeln. Meine Mum war überzeugt davon gewesen, dass die Inkas Lamas angebetet hatten und ihnen zu Ehren das Ruinendorf Machu Picchu errichtet hatten.
In jungen Jahren waren sie und mein Dad den gesamten Inkawanderweg abgelaufen, nur um das damals noch recht frisch entdeckte Dorf zu besichtigen.
Es war schön zu wissen, dass diese kleine romantische Reise sie nun für immer begleiten würde. Und irgendwie hatte es auch etwas Symbolisches: So, als wäre der Tod auch nur ein weiterer Weg zum Machu Picchu.
Wenn das irgendwie verständlich klang.
Ich kniete mich vor dem Grab ins feuchte Gras und schloss die Augen.
Ich war nie eine gläubige Person gewesen – vielleicht lag es daran, dass ich eine Hexe war. Aber dieses eine Mal betete ich, und zwar für meine Eltern.
Ich wünschte mir, dass es einen Himmel gab, in dem die beiden sich weiter lieben konnten, und in dem sie über mich wachen würden.
Und ich dankte ihnen im Stillen für alles – sie waren die mutigsten, liebevollsten und besten Menschen gewesen, die ich gekannt hatte.
„Ich bin so glücklich, eure Tochter zu sein", flüsterte ich.
Mit gesenktem Kopf erlaubte ich mir, zu weinen.
Erst nach ein paar Minuten stand ich mühsam auf und warf die Rose und die Erde auf die geschlossenen Särge.
Dann drehte ich mich um und atmete einmal tief durch, das Gesicht gen Himmel gestreckt.
Ich hatte Abschied genommen.
Ich hatte losgelassen.Unschlüssig standen wir vor dem Friedhofsgelände herum – Petunia, Vernon, James und ich.
Diesmal verbot es mir mein Trotz, das Gespräch in die Gänge zu leiten.
Petunia hatte sich heute sehr ungerecht mir gegenüber verhalten. Nicht ich war diejenige gewesen, die einen Waffenstillstand, wenigstens für heute, abgelehnt hatte.
Nein. Das war sie gewesen.
Und im Anbetracht dessen, dass wir unsere Eltern zu Grabe getragen hatten, fand ich das sehr kindisch – sogar für unsere Verhältnisse.
Andererseits fühlte ich mich meinen Eltern gegenüber verpflichtet, das Band zwischen Petunia und mir nicht zerreißen zu lassen.
Wir waren immer noch Schwestern.
Und so war es doch wieder ich, die sich räusperte und begann zu sprechen, mit holpriger und heiserer Stimme.
„Tuni – Du weißt, ich habe bald Weihnachtsferien. Wäre es dir recht, wenn ich dann nach Hause komme?" Gegen Ende hin wurde ich sehr leise.
Petunia reckte ihr Kinn in die Höhe. „Geht nicht", sagte sie knapp.
Ich runzelte die Stirn. „Wieso nicht?"
„Ich verkaufe das Haus. Bereits morgen ist es weg."
Ich schnappte nach Luft. Das reichte.
„Und du hast mir nichts davon gesagt?!"
„Nein. Du wohnst doch sowieso nicht mehr darin." Sie funkelte mich an. Sobald ich in Rage war, kam auch ihr Temperament zum Vorschein. „Du bist das ganze Jahr über an dieser Schule. Nur zu deiner Info – von dem Geld bekommst du auch nichts!"
In meinen Augen brannten mal wieder Tränen. Doch diesmal wusste ich nicht, ob es Tränen der Wut oder der Enttäuschung waren.
„Wie kannst du nur! Das ist auch mein Zuhause, Petunia! Und was ist mit Mum und Dads Sachen? Was hast du damit gemacht?"
Ihre Miene sagte alles. Ich sackte fassungslos in mich zusammen. Die Möbel meiner Eltern – alles, was ich seit Jahren kannte – auf dem Sperrmüll.
„Wie konntest du nur", flüsterte ich wieder.
Ich hatte das Gefühl, der Boden wurde mir unter den Füßen weggezogen. James schien es zu spüren, er legte schützend einen Arm um mich.
Am liebsten hätte ich mich mal wieder in seine Arme geschmissen, den Kopf an seine Brust gelegt und tief seinen Geruch eingeatmet. Doch das ging jetzt nicht.
Ich musste irgendwie stark bleiben, auch wenn das zu viel Schmerz für einen Tag war. Vor allem wenn man die letzten Wochen noch mit in Betracht zog.
Für einen kurzen Moment schimmerte Reue in Petunias Augen.
Sie war zwar offensichtlich völlig herzlos geworden, aber ein Gewissen besaß sie noch.
Vielleicht war es das, was sie zwang, die nächsten Worte herauszuwürgen:
„Aber wir könnten uns nach Weihnachten treffen. In dem Restaurant."
Mit dem Restaurant war die Lieblingspizzeria meines Dads gemeint. Dort gab es Pizza mit extra viel Käse, etwas, das mein Dad geliebt hatte, da er irgendwie ein Faible für die Käsefäden gehabt hatte, die immer beim Pizzaessen entstanden.
Alles in mir schrie danach, das Angebot abzulehnen.
Doch ich konnte es nicht. Weil ich immer noch blöd genug dazu war, zu hoffen, dass sich etwas ändern würde. Dass Petunia und ich wieder Schwestern werden könnten, wie wir es einst gewesen waren.
Also nickte ich stumm.
„Bring von mir aus deine ... ähm ... Begleitung mit." Petunia bedachte James mit einem Blick, mit dem sie sonst auf Kakerlaken herabsah. Sie und Vernon machten Anstalten zu gehen, doch meine ... ähm ... Begleitung hielt Petunia am Arm fest.
„Lassen Sie mich los", keifte Petunia, als James' Finger sich etwas zu fest in den Ärmel ihres Kostüms gruben.
„Hören Sie, bei allem Respekt", zischte James gefährlich leise. Ich konnte ihn nur erschrocken ansehen. So hasserfüllt hatte ich James bisher nur mit einer Person reden sehen, und das war Severus Snape gewesen.
„Ich finde es nicht in Ordnung, wie Sie mit ihrer Schwester umspringen, die Sie offensichtlich liebt, auch wenn ich absolut nicht verstehen kann, warum! Aber eins verstehe ich im Gegensatz zu Ihnen: Es ist ein Privileg, von Lily Evans geliebt zu werden. Und an Ihrer Stelle würde ich nicht so mit einem Menschen umspringen, der erst kürzlich seine geliebten Eltern verloren hat!"
James' Blick glühte, seine Hände waren zu Fäusten geballt.
Petunia blickte drein wie ein verängstigtes Kaninchen. „Ich habe auch meine Eltern verloren!", quiekte sie, mehrere Oktaven höher als sonst.
„Dann sollten Sie ja wissen, wie es sich anfühlt. Gehen Sie besser mit ihrer Schwester um – oder ich zeige Ihnen mal, was für ein Freak ich bin."
Petunia schaffte es nur, mit angstvoll geweiteten Augen zu nicken.Schönen Vatertag euch❤️
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Die Regel - Lily& James Ff ✔️
FanfictionABGESCHLOSSEN Seit Jahren besteht diese eine Regel: Evans hasst Potter, Potter mag Evans. Wenn es nach Lily Evans, Einserschülerin und absoluter Lehrerliebling, geht, wird diese Regel auch niemals gebrochen werden. Doch da hat sie ihre Rechnung ohne...