Kapitel 4

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Verdammt. Meine blöden Hormone wollten sich sofort auf diesen muskulösen Oberkörper werfen. Miese kleine Verräter. Das war Potter, verdammt! Wobei sich dieser Bizeps echt sehen lassen konnte... Evans! Hör auf zu sabbern!
„So", sagte Potter, mit verschränkten Armen vor der Brust. „Und jetzt erklär mir mal, was hier eigentlich los ist."
„Erst, wenn du dir ein T-Shirt angezogen hast", sprudelte ich hervor, bevor ich es verhindern konnte. Super. Ich konnte mir seine Reaktion genau ausmalen.
Nur Sekunden später bestätigte sich meine Vorahnung.
Ein idiotisches, selbstbewusstes Grinsen breitete sich auf seinem Gesicht aus. „Wieso das denn? Verwirre ich dich etwa?" Er wackelte anzüglich mit seinen Augenbrauen.
„Potter!", zischte ich. Oh verdammt! Ich spürte schon, wie ich rot anlief.
Zu allem Überfluss begann er nun, mit seinen Muskeln zu spielen.
Ich vergrub mein Gesicht in einem Kissen vor Scham.
„Komm schon, Evans!", lachte er. „Sei doch nicht so prüde."
„Ich bin nicht prüde", grummelte ich in mein Kissen. Nein, ich war nicht prüde. Höchstens ein bisschen unerfahren. Aber das ging Potter einen feuchten Dreck an.
„Bist du wo-hol!", flötete er schadenfroh. Seine Schritte kamen dem Sofa näher, und er zog sanft aber bestimmt an meiner Schulter. Ich versetzte ihm einen gezielten Tritt, der ihn aufstöhnen ließ.
Jetzt grinste ich schadenfroh und hob sogar mein Kopf aus dem Kissen.
Ein offensichtlicher Fehler. Anscheinend hatte ich gar nicht Potters ... ähm, Kronjuwelen getroffen, sondern lediglich sein Schienbein. Sein Schmerz war nur gespielt gewesen, um mich aus der Reserve zu locken.
„Du siehst bescheuert aus, wenn deine Haare verwuschelt sind", teilte er mir mit.
„Das sagt gerade der Junge, der durchgehend so aussieht", konterte ich.
Er verzog das Gesicht. „Dafür werde ich wenigstens nicht so schnell rot."
Böse Falle, Potter, böse Falle.
„Ach, und was war das dann vorhin am Esstisch?"
Er schwieg. Dann kam er wieder zum Punkt. „Lily, was ist los mit dir?"
Ich sollte das Ganze auf die Verwendung meines Vornamens von idiotischen Erzfeinden schieben. Immer wenn Black oder Potter mich Lily nannten, kamen mir die Tränen, verflucht nochmal!
Solche Blödmänner. Konnten sie mich nicht wieder für meine „krötengrünen Augen" (Zitat Potter, dritte Klasse) hänseln, wie früher? Auf sowas hatte ich wenigstens Antworten parat.
Sobald sie allerdings einigermaßen nett zu mir waren, fehlten mir die Worte.
So wie jetzt.
Ich konnte Potter nur durch einen Tränenschleier anstarren.
Oh nein. Ich würde wieder heulen, ich wusste es.
Jep. Da kam schon die erste Träne. Und das alles nur, weil ich heute Morgen in einem Blumenbeet gestanden hatte.
Ja- ich meine, Potter, seufzte. Behutsam krabbelte er zu mir aufs Sofa und legte seine Arme um mich. Geschockt starrte ich ihn an.
„Keine Sorge, ich frag dich nicht nach nem Date oder so. Langsam hab' ich begriffen, dass es keinen Zweck hat." Täuschte ich mich, oder schwang da etwas Bitterkeit in seiner Stimme mit?
„Ich dachte einfach nur, dass du ein bisschen Trost gebrauchen kannst", erklärte er. Ein paar Sekunden lang starrten wir uns nur in die Augen, meine Sicht durch die Tränen etwas verschwommen.
„Okay", murmelte er, „brauchst du anscheinend nicht."
Deutlich kühler rutschte er wieder von mir ab.
„Nein", krächzte ich. Ich räusperte mich. „Nein, bitte. Du hast recht, ich brauche Trost. Sogar, wenn er von dir kommt." Ich lachte heiser.
„Ich bin ein fantastischer Tröster", grinste er überzeugt.
Als seine warmen Arme mich fest an ihn drückten, ließ ich den Tränen freien Lauf. Es tat unendlich gut, geborgen in den Armen eines anderen zu liegen.
Das hatte ich vermisst, das wurde mir jetzt klar. Natürlich hätte ich die Arme meiner besten Freundin oder meiner Mutter denen eines großkotzigen Idiots vorgezogen, doch im Grunde war es mir egal.
Es war mir egal, dass das Potter war, den ich eigentlich hassen musste, es war mir egal, dass jeden Moment Black oder Effie oder sonst wer reinkommen könnte.
Ich wollte einfach nur gehalten werden.
Und so schlang ich meine Arme um Potters Hals, drückte mein Gesicht an seine breite Brust und konnte endlich all den Schmerz rauslassen.
„Ein besserer Tröster als Black bist du auf jeden Fall", nuschelte ich verlegen an seine Haut. Er lachte leise, und ich konnte die Vibration in seiner Brust spüren.
Auch seinen Herzschlag nahm ich wahr. Der gleichmäßige, wenn auch schnelle Klang hatte etwas Beruhigendes an sich.
Potter begann zuerst zögerlich, dann, als ich mich nicht dagegen wehrte, stetiger über meine roten Locken zu streichen.
„Ich denke, es würde guttun, wenn du darüber redest", murmelte er sanft in mein Haar. „Aber du musst natürlich nicht, wenn du nicht willst."
Ich weiß nicht, was genau mich zum Reden brachte, vielleicht, weil er mir die Wahl ließ, vielleicht, weil ich mich so beschützt und sicher in seinen Armen fühlte.
Jedenfalls brach bald darauf alles aus mir hervor.
Wie alles angefangen hatte, als ich den Hogwartsbrief bekommen hatte, die kleinen Sticheleien, die zu großen Gemeinheiten führten, wie sie mich aus der Familie zu drängen versuchte, meine Briefe bestenfalls ignorierte und sonst sofort in den Müll warf, wie sie Vernon kennenlernte und ihre Beziehung zu mir nun vollends leugnete, bis ich letztendlich bei dem Gespräch vom heutigen Tag ankam.
„Ich vermisse sie", gab ich leise zu. „Ich habe mir immer gewünscht, sie könnte mich akzeptieren – und jetzt hat sie mir das Gefühl gegeben, dass es wirklich meine Schuld ist." Meine Tränen waren längst versiegt, aber das tiefe Gefühl, verlassen, ja, schlimmer noch, weggestoßen worden zu sein, lastete immer noch auf mir.
Jetzt wartete ich nur noch auf Potters Urteil. Würde er mich für schwach halten? Würde er denken, ich dramatisierte das ganze zu sehr?
Das wollte ich nicht.
Wenn ich ganz ehrlich war, wollte ich, dass er einfach hierblieb. Mich weiter festhielt. Auch wenn ich das niemals, niemals zugegeben hätte.
Zuerst tat Potter gar nichts. Er saß einfach nur da und hielt mich. Als ich mich vorsichtig ein Stückchen löste, um ihn ansehen zu können, betrachtete er mich nachdenklich.
Nach einer Weile des Schweigens sagte er endlich etwas. „Wusstest du, dass Sirius in einer ganz ähnlichen Situation steckt?"
Ich erinnerte mich an Blacks Kommentar, kurz nach meinem Erwachen.
„Bisher nicht. Aber er hat es vorhin erwähnt, oder?"
Potter nickte. „Sirius wohnt etwa seit dem Ende des fünften Jahres bei uns. Im Gegenteil zu deiner Schwester hat seine Familie ihn jedoch nicht wegen seiner Magie ausgegrenzt, sondern weil er gegen ihren Rassismus gegenüber Muggeln und Muggelstämmigen war. Die Blacks sind Reinblüter und allesamt Slytherins. Sirius ist eine Schande für sie, nicht nur, weil er Gryffindor und stolz darauf ist, sondern weil es ihm egal ist, dass er reines Blut besitzt. Irgendwann hat er es wie du nicht mehr ausgehalten und ist abgehauen."
Ich schwieg. Potter hatte mir soeben eine völlig neue Seite seines Freundes offenbart, die nicht so ganz zu dem Bild von Black passen wollte, das ich mir gemacht hatte. Ich hatte nie darüber nachgedacht, dass auch Reinblüter Probleme haben könnten. Für mich waren es immer die Muggelstämmigen, die benachteiligt wurden.
„Und deine Familie? Sie haben ihn einfach so aufgenommen?", fragte ich leise.
Er schien meine eigentliche Frage zu verstehen.
„Meinen Eltern ist der Blutsstatus völlig egal", erklärte er fest. „Von ihnen aus könnte ich einen Werwolf, eine Veela, oder ein Muggelmädchen mit ins Haus bringen, solange sie nett und anständig sind, ist ihnen der Rest egal."
„Das ist toll", flüsterte ich.
Er schaute mich an. „Ja."
„Wissen sie, dass ich muggelstämmig bin?" Ich musste einfach fragen, Akzeptanz hin oder her.
Aus irgendeinem Grund wurde er rot. „Ja", antwortete er.
„Was ist?"
„Was ist was?"
„Warum wirst du rot?", wollte ich neugierig wissen. Er schüttelte nur den Kopf.
„Komm schon. Ich habe dir eben mein Herz ausgeschüttet und dir Dinge anvertraut, die kein anderer über mich weiß. Also wirst du jawohl auch etwas zu dem Gespräch beitragen können."
Potter schnaubte. „Was wird das, ein Wenn- ich- dir- was- sage- musst- du- auch- was- sagen- Spiel? Wie alt sind wir, fünf?" Ich kicherte ein bisschen, stieß ihn jedoch dennoch mit dem Ellbogen an.
Mit hochgezogenen Brauen musterte er mich. Ich legte den Kopf schief.
„Na gut", seufzte er. „Es ist nur..." Er stockte kurz. Dann fuhr er leise und hektisch fort, so als wollte er so schnell wie möglich hinter sich bringen.
„Meine Mutter hat die Wahrheit gesagt, als sie meinte, ich würde in den Ferien nur über dich reden."
Er fing meinen überraschten Blick auf.
Abrupt schob er mich von sich und stand auf. „Ich muss jetzt gehen."
„Okay?", sagte ich, doch es klang eher wie eine Frage. War es ja auch.
„Gute Nacht, Lily."
„Gute Nacht ... James."
Ich konnte sein Lächeln sehen, obwohl er blitzschnell die Tür zuzog. 

Die Regel - Lily& James Ff ✔️Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt