Kapitel 24

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Ich sah auf, als Mary sich neben mir auf die Bank fallen ließ.
Es war Freitagmorgen und ich hatte mich ans andere Ende des Haustischs gesetzt, weit weg von Marlene, die mit James und Sirius begeistert über die morgen anstehenden Auswahlspiele diskutierte.
Mir hatte schon der Klang von James' Stimme einen solchen Schlag in den Magen versetzt, dass ich lieber gegangen war.
„Lily Evans", begann Mary mit überraschend energischer Stimme. Sie hatte sofort meine volle Aufmerksamkeit, denn mal ehrlich – normalerweise war Mary nicht diejenige, die mit erhobener Stimme sprach.
„Warum schreist du so? Ist was passiert? Hast du mich wieder erwischt, wie ich deinen Keksvorrat aufgegessen habe?", nuschelte ich, den Mund voller Essen.
„Nein, ich- Du warst schon wieder an meinen Keksen?!"
„Scheiße", murmelte ich.
„Lily!"
„Jaja, tut mir leid, blabla. Was wolltest du jetzt sagen?"
Für einen kurzen Moment sah sie aus, als wollte sie nochmal auf das Keksthema zurückkommen, doch meine offensichtliche schlechte Laune hielt sie wohl davon ab.
„Okay", seufzte Mary, stütze ihr Kinn auf die Hände und starrte mich eindringlich aus ihren blauen Augen an. „Was ist los zwischen James und dir?"
Ich verschluckte mich an dem Stück Speck, das ich gerade im Mund hatte, und begann prustend zu husten.
„Jam- Potter? Was sollte schon sein? Ich hasse ihn, er ignoriert mich. Ist doch alles wie immer", brachte ich mit Tränen in den Augen hervor.
Mary zog eine Augenbraue hoch.
Ich senkte den Blick auf meinen Teller und aß, scheinbar ungerührt, weiter.
Verdammt, warum war Mary nur so feinfühlig? Sie war einer dieser stillen Menschen, die trotzdem alles mitbekamen. Man konnte sie auch als gruselige kleine Stalker bezeichnen. Merlin, konnte man denn nicht mal allein mit seinen Problemen gelassen werden?
„Lils, mit sowas wirst du vielleicht Dorcas los, aber nicht mich."
Gott, konnte die nervig sein. Grrr!
Seufzend legte ich meine Gabel zur Seite.
„Mary. Was ist das Problem?"
Sie warf dramatisch die Hände in die Höhe. „Du! Du sagst, du würdest James nach wie vor hassen, aber ich sehe doch, dass irgendwas anders ist. Er ist dir nicht mehr egal. Du starrst dauernd zu ihm rüber und er... er wirft dir nicht mehr diese heimlichen Blicke zu. Es ist fast, als würde er dich jetzt hassen!"
Ihre Worte versetzten mir einen Stich.
Ungewollt zuckte mein Blick zu James, der gerade einen Arm um Marlene legte und herzhaft lachte. Und noch ein Stich. Autsch.
„Wo ist das Problem?", wiederholte ich, und mied Marys Blick.
„Es gäbe vielleicht keins. Vielleicht gäbe es kein Problem, wenn" – hier senkte sie ihre Stimme- „du James nicht mögen würdest. Egal was du sagst Lily- ich weiß, dass es so ist. Also was auch immer passiert ist: Sieh zu, dass du es wieder geradebiegst, so einen wie James Potter findet man nicht alle Tage."
Ich schaute ihr hinterher, als sie die Beine über die Bank schwang und schnellen Schrittes die Große Halle verlies.

Ich musterte unsicher mein Spiegelbild. Ich trug schwarze, enganliegende Sporthosen und dazu ein grünes Top, worüber ich mir jetzt eine schwarze Trainingsjacke zog. Dazu meine roten Chucks und ich war fertig.
Vom Aussehen her war ich bereit, innerlich noch lange nicht.
Ich konnte immer noch nicht glauben, was ich hier tat. Ich musste verrückt geworden sein. Was war aus Lily Evans, der Quidditch abgeneigten Streberin geworden?
Das alles war allein Marys Schuld.
Mary hatte mir das Gefühl gegeben, einen Fehler begleichen zu müssen.
Und so verrückt das auch klingen mag: Ich stand hier und würde gleich zu den Auswahlspielen für die Hausmannschaft Gryffindors gehen.
Ich könnte heulen. Mir stand definitiv eine komplette Blamage bevor. Ich würde einen Bauchklatscher im Matsch landen und mir dabei den Hals brechen. Oder noch schlimmer, ich würde wieder auf James' Schuhe kotzen.
Mir schauderte bei dem Gedanken an diesen abgrundtief peinlichen Moment.
Und dennoch. Nichts und niemand würde mich aufhalten können.
Vielleicht war James beleidigt, verletzt, wütend. Aber das konnte nicht so weitergehen. Wir hatten Schulsprecherkrams zu erledigen. Wir mussten uns ganz einfach wieder zusammenraufen.
Zumindest versuchte ich mir einzureden, dass dies der einzige Grund war, warum ich tat, was ich nunmal tat.
Aus James' Zimmer ertönten Schritte, dann ging seine Tür auf und er trat in den Gemeinschaftsraum, gekleidet in seiner vollen Quidditchmontur und mit geschultertem Besen. Als er mich sah, blieb er irritiert stehen.
„Li- Evans? Was soll das werden?" Kaum war das Überraschungsmoment vorbei, zog er schon wieder missbilligend die Augenbrauen zusammen, wie immer, wenn er mich sah. Die Tatsache, dass er mich beinahe bei meinem Vornamen genannt hatte, ließ mich kurz hoffen. Das war auch der Grund, warum ich die nächsten Worte einigermaßen selbstbewusst rausbrachte: „Ich komme mit zu den Auswahlspielen."
Tja.
Einen James Potter, der beinahe in Ohnmacht fällt, sieht man auch nicht alle Tage. Seine Hand flog sofort zu seinen Haaren und die Brille wäre ihm fast von der Nase gerutscht.
Irgendwie niedlich.
„Vergiss es, Evans, du kotzt nur wieder meine Schuhe voll."
Definitiv nicht niedlich.
Ich verschränkte die Arme demonstrativ vor der Brust. „Tja, tut mir leid, wenn mir bei deinem Anblick mein Mageninhalt hochkommt. Ich komme trotzdem mit, und du wirst mich nicht daran hindern können!"
James' Brustkorb bebte unter seinem tiefen Seufzer. Er vergrub das Gesicht kurz in seinen Händen und rieb sich mit den Daumen über die Schläfen, als wäre er mit den Nerven vollkommen am Ende.
„Warum?", fragte er dann mit resignierter Stimme.
„Ich möchte Treiberin werden, um Sirius mit den Klatschern jagen zu können", antwortete ich beinahe schüchtern. Diese deutliche Demonstration seiner Gefühle hatte mich ängstlich werden lassen.
Ich konnte sehen, wie seine Augen hinter den Brillengläsern kurz amüsiert funkelten, doch sein Blick blieb hart, und zugleich auch müde.
„Einfach nein, Evans. Du hast Höhenangst und wirst nie in mein Team kommen. Ende."
Er drehte sich um, wobei er mir fast das Ende seines Besens ins Gesicht gerammt hätte, und stiefelte durch den Raum, um aus dem Gemälde zu klettern.
Ich folgte natürlich.
Ich wusste, dass James wusste, dass er mich nicht losgeworden war, trotzdem drehte er sich nicht ein einziges Mal nach mir um, als wir nach draußen auf die Ländereien liefen.
Erst kurz vor dem Spielfeld warf er einen Blick über seine Schulter.
„Ein für alle Mal, Evans: Geh wieder rein."
„Nö."
„Warum musst du nur so stur sein?! Wir wissen beide, dass du nicht Quidditch spielen kannst!"
Ich verschränkte die Arme vor der Brust und reckte mein Kinn in die Höhe. Seine Worte kratzten sowohl an meinem Stolz, als auch an meinem Selbstwertgefühl.
„Warum musst du nur so gemein sein?", gab ich zurück.
James große Gestalt schaute auf mich herab, dann drehte er sich wieder um und stampfte weiter. Leise lächelnd gratulierte ich mir zu meinem Sieg.
Wenn ich soeben eine Diskussion gegen James Potter gewonnen hatte, konnte Quidditch ja nicht so schwer sein.

So, Leute, hier Kapitel 24... 
Morgen ist Weihnachten, was haltet ihr von einem Weihnachtsspecial? ;)
Fühlt euch umarmt!

Die Regel - Lily& James Ff ✔️Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt