Kapitel 27

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„Bist du dir sicher, dass wir von ein und derselben Lily Evans sprechen?"
„Dor, ich weiß es ist schwer zu glauben, aber es ist so."
„Niemals. Meine Lily kann ganz sicher keinen Besen bedienen, geschweige denn auf einem Besen ihren Erzfeind retten."
„Ich würde es nicht unbedingt retten nennen. Bei einer richtigen Rettung landet man hinterher nicht mit einem Schädelbruch im Krankenflügel."
Zu laut. Die Stimmen waren viel zu laut.
Mir tat alles weh.
Mein Kopf. Meine Arme, meine Beine, sogar meine Zehen.
Ich wollte, dass die Stimmen verschwanden. Es hörte sich an, als würden sie mir direkt ins Ohr brüllen.
„Und das alles für James? Für James Potter?"
„Ich hab euch doch gesagt, irgendwas ist anders zwischen den beiden."
Worüber redeten sie? Irgendwas sagte dieser Name mir.
Aber mein Kopf tat zu sehr weh, als dass ich weiter darüber nachgedacht hätte.
Konnte nicht irgendwer diese Stimmen verjagen?
„Vielleicht sollte ich mal Sirius fragen, was meint ihr?"
„Spinnst du? Hugo hat mich gestern schon wieder vollgeheult, dass du viel zu viel Zeit mit deinem Ex verbringst. Er denkt, du hättest Gefühle für den, Achtung, Zitat: „elendigen Köter". Meine Güte, deinen Jungsgeschmack versteh mal einer."
Zu laut, zu laut, zu laut.
Nun kam eine andere, noch lauter keifende Stimme hinzu. Ich presste schmerzhaft die Augen zusammen.
Am liebsten hätte ich mir die Ohren zugehalten, aber ich hatte das Gefühl, dass mir dann die Arme wehtun würden.
„Mädchen, verschwindet sofort aus dem Krankenflügel! Was fällt euch ein, einfach so hierher zu schleichen? Und dann auch noch Süßigkeiten mitbringen! Na wartet, das erzähle ich eurer Hauslehrerin!"
Stühle scharrten und ich glaubte hastige Schritte zu hören, danach ein missbilligendes Grummeln.
Jemand legte vorsichtig eine Hand an mein Kinn und träufelte mir eine warme Flüssigkeit auf die Lippen. Ich schluckte automatisch.
Langsam blendete ich alles um mich herum aus.

Seit ein paar Minuten starrte ich jetzt schon die Decke an.
Das einzige, was zu hören war, war das kontinuierliche Ticken einer großen Uhr über den Flügeltüren des Krankenflügels.
Kein anderes Bett war belegt, bis auf meines und das neben mir.
Die Vorhänge waren zugezogen, aber ich wusste auch so, dass James dahinter lag.
Mir ging es gut, was ich dem Schmerzmittel auf meinem Nachttisch zuschrieb, und ich konnte wieder einigermaßen klar denken.
Ob das nun gut war, war die andere Frage.
ich war komplett verwirrt.
Was war nur los mit mir? Ich zog mir einen Schädelbruch und zwei gebrochene Handgelenke und einen angeknacksten Unterkiefer (das alles hatte ich in meiner Krankenakte gelesen, sie lag ebenfalls auf meinem Nachttisch, neben einer Schachtel Schokofrösche) zu, und warum?
Weil ich James Potter retten wollte. Oder sogar gerettet hatte.
Wie war das nur passiert? Was war mit der Regel, die besagte, dass Evans Potter hasst und James Lily mag, und nicht andersrum?
War ich etwa dabei, meine erste Hogwarts- Regel zu brechen?
Merlin.
Ich wollte mehr von dem Schmerzmittel, bis mein Gehirn betäubt war und aufhörte, so einen Mist zu produzieren.
Was war nur los mit mir?

Krankenflügel: Personalakte
Name des Patienten: Potter, James
Verletzungen: angebrochener Kiefer
Ursache der Verletzung: ist nachts mit seinem besten Freund das Geländer einer sich bewegenden Treppe runtergerutscht

Name des Patienten: Potter, James
Verletzungen: überdimensionaler Kopf
Ursache der Verletzung: Zauberspruch einer Mitschülerin

Name des Patienten: Potter, James
Verletzungen: gebrochener Arm
Ursache der Verletzung: Quidditch

Name des Patienten: Potter, James
Verletzungen: gerissener Bizeps
Ursache der Verletzung: Quidditch

Name des Patienten: Potter, James
Verletzungen: gebrochene Nase
Ursache der Verletzung: Quidditch

Anmerkung der Aktenführerin: Die nächsten 218 Verletzungen wurden aufgrund Überfüllung der Akte und sich wiederholender Ursache entfernt.


Name des Patienten: Potter, James
Verletzungen: Gequetschter Brustkorb, Gehirnerschütterung
Ursache der Verletzung: Dasselbe wie immer


Tja, da konnte man mal sehen, wie oft James im Krankenflügel gewesen war, im Vergleich zu mir. Und dass ich hier vor Langeweile verrückt wurde, sonst hätte ich niemals angefangen Personalakten zu klauen und dann auch noch zu lesen.
Ich erinnerte mich noch gut an James' überdimensionalen Kopf, denn selbstverständlich war ich diejenige gewesen, die ihm den Fluch verpasst hatte.
Zu meiner Verteidigung: James und Sirius hatten damals versucht, mir ein paar Feuerkröten unterzuschieben, weil sie meinten, deren rotes Haupt würde zu meinen Haaren passen.
Wie schmeichelhaft die beiden doch immer gewesen waren.
Wie war James überhaupt irgendwann auf die Idee gekommen, mich um ein Date zu bitten, wo er mich doch vorher nur gehänselt hatte?
Jungs waren einfach dämliche Schwachköpfe.
Bevor ich mich weiter darüber aufregen konnte, kam eine rundliche, weiß bekittelte Frau in mein Blickfeld. Ihre Augen suchten mich und ein kleines, wenn auch strenges Lächeln erschien auf ihrem Gesicht.
„Kind, was soll man nur mit dir machen? Die ganze Schule weiß, dass Sie Höhenangst haben, Miss Evans, und das erste was Sie machen, ist 40 Meter in die Höhe fliegen. Was ihr Gryffindors euch nur immer dabei denkt!"
Miss Pomfrey seufzte theatralisch. Ich rang mir ein Lächeln ab und ließ James' Personalakte dabei unauffällig unter der Packung Schokofrösche verschwinden.
„Nun ja, wenigstens sind Knochenbrüche nicht allzu schwierig zu heilen. Ich behalte Sie noch bis zum Abend da, dann können Sie auch schon wieder gehen und sich in Ihre ganzen Pflichten stürzen."
Kopfschüttelnd reichte sie mir noch ein kleines Glas, gefüllt mit einer bitter riechenden Flüssigkeit.
Mit einem letzten Lächeln verschwand sie Richtung James' Bett.
Ich kippte das Glas hinunter und lauschte dann angestrengt auf das, was sich hinter dem Vorhang abspielte.
„Oh, Mr Potter, Sie sind wach. Sehr, schön, sehr schön. Wie fühlen sie sich?"
James' Antwort konnte ich nicht verstehen.
„Nein, ich muss sie leider noch etwas länger hierbehalten. Quetschungen sind etwas anspruchsvoller, das sollten Sie aber mittlerweile wissen. Wann geben Sie diese schrecklich brutale Sportart endlich auf? Wenn ich nur daran denke, wie Sie beide aussahen, als sie hereingebracht wurden..."
Wieder sagte James etwas, das ich nicht verstehen konnte.
„Glauben Sie mir, ihre Partnerin wird das auch allein schaffen. Um Ihre Schulsprecherpflichten müssen Sie sich nun wirklich nicht sorgen, die sind bei Miss Evans bestens aufgehoben. Und nun schlafen Sie eine Runde."
Schnell schloss ich die Augen und stellte mich schlafend, als Miss Pomfrey wieder vorbeieilte.
Sobald ihre Schritte verklungen waren, öffnete ich die Augen wieder.
„James?", fragte ich gedämpft, aber so laut, dass er es hören konnte.
Stille. Dann:
„Was ist, Evans?" Seine Stimme klang rau und erschöpft. Ich konnte nichts machen, ich bekam Schuldgefühle.
„Warum hast du das gemacht?"
Er hasste mich doch im Moment. Oder?
„Lass mich schlafen, Evans."
Oh, der Herr war beleidigt. Na gut, sollte er doch.
Was hatte ich ihm eigentlich jetzt schon wieder getan?


Die Regel - Lily& James Ff ✔️Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt