Kapitel 112

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Endlich!
Seufzend ließ ich mich in James' und meiner Wohnung auf das Sofa plumpsen.
Ich hatte den anstrengendsten Schultag seit Anbeginn der Zeiten hinter mir und genoss es in vollen Zügen, einfach mal nichts zu tun.

Die ganze Lernerei und die Lehrer mit ihrem „Das ist auch seeeehr prüfungsrelevant..." zerrten an meinen Nerven, dazu kam noch Marlenes Problem und die anhaltende Abwesenheit von James.

Ich hasste es, ihn so selten zu sehen.
Klar, wir hatten beide unser eigenes Leben und man sollte für eine Beziehung nicht gleich alles andere in den Wind schießen.
Doch je länger ich ihn nicht sah, desto mehr bekam ich das Gefühl, dass irgendetwas nicht stimmte.
Es fühlte sich so an, als hätten wir uns gestritten, dabei hatten wir lediglich ein wenig Abstand zueinander.
Vielleicht war James aber auch einfach nur meine Lieblingsdroge und ich auf Entzug.

Ich seufzte erneut und streckte alle Viere von mir.
Ein Blick auf die Uhr sagte mir, dass James Quidditch- Training vor zehn Minuten beendet worden war.
Er müsste also demnächst hier aufkreuzen – vorausgesetzt, er hatte es nicht wieder aus einer Laune heraus verlängert.

„Sport ist Mord", knurrte ich, und erlaubte es mir, mich kurz in meinem Hass auf Quidditch gehen zu lassen.
Erst nach ein paar Minuten führte ich mir vor Augen, dass Quidditch nur eine Sportart war, die gar nichts dafür konnte, dass mein Freund sie so gerne ausübte und somit auch an nichts die Schuld trug.
Die Schuld hatte in diesem Fall einzig und allein James.
Äußerst zufrieden mit meiner Schlussfolgerung verschränkte ich die Arme vor der Brust und wartete auf die Rückkehr des Übeltäters.

Ich wartete. Und wartete. Und wartete. Und schlief fast ein. Und wartete.
Zwischendurch ging ich ins Bad und machte mich bettfertig, wobei ich mir James' Lieblingspulli krallte und mir überzog.
Frustpullikonsum.

James tauchte erst gegen halb elf auf – wie immer ziemlich durchgefroren und dreckig und müde.
Ich versuchte, eine finstere Miene zu wahren (denn ich hatte jedes Recht, sauer zu sein!), doch als James bei meinem Anblick anfing, breit zu lächeln, schmolz meine harte Schale einfach dahin.
„Hey du Engel, das ist mein Pulli", begrüßte er mich.
Ich konnte nicht antworten, da ich ein Grinsen unterdrücken musste.
James warf seinen Besen in eine Ecke und schlüpfte aus seinem nassen Quidditchumhang.
„Schläfst du heute Nacht wieder in meinem Bett?", fragte er dabei beiläufig.
Ich schüttelte erst den Kopf und reckte beleidigt das Kinn, dann überlegte ich es mir anders und nickte, aber weiterhin mit kühler Miene.

„Du bist die Beste."
James umarmte mich und zwickte mich dabei sanft in den Rücken, was mich zum Lachen brachte.
„Geht doch." Er zwinkerte mir zu. „Ich dusche noch schnell. Wir sehen uns in meinem Bett!"
„Aber brauch nicht wieder drei Stunden, sonst bin ich weg", warnte ich.
„Jaja. Und jetzt geh und wärm die Decke vor."
Das ließ ich mir nicht zwei Mal sagen.

Am nächsten Morgen überlegte ich zum ersten Mal ernsthaft zu schwänzen.
Wie viel entspannter mein Tag verlaufen könnte, hier, eingekuschelt in James' Bettdecke in seinem Arm ... aber nein, ich war eine Streberin und konnte gerade jetzt meinen Status als Lehrerliebling nicht aufs Spiel setzen.
Wir befanden uns quasi auf der Zielgeraden zum Abschluss.
Das machte ich auch James klar, der sogar noch weniger Motivation zum Aufstehen an den Tag legte als ich.
Im Nachhinein wünschte ich mir, wir wären wirklich liegen geblieben.

Hand in Hand betraten James und ich die Große Halle.
Unser Auftauchen als Paar erregte schon seit ein paar Monaten keine große Aufmerksamkeit mehr, inzwischen zogen eher Mary und Dorcas die Blicke auf sich.
Doch heute war das anders.
Mehrere Köpfe drehten sich in unsere Richtung, bevor ein großes Getuschel seinen Lauf nahm.
Am Slytherintisch brach Gelächter aus.

Ich runzelte die Stirn und sah an mir herab.
Hatte ich irgendein Kleidungsstück vergessen?
Nein, es war alles an Ort und Stelle, die Krawatte war korrekt gebunden und meine Schuhe hatte ich auch nicht vertauscht.
Ich zog unauffällig eine Haarsträhne in Betracht, doch auch diese war genauso dunkelrot wie immer.
Ich musterte James, der allerdings so gut wie eh und je aussah.

Wir tauschten einen ratlosen Blick.
„Meinst du, es steht vielleicht irgendetwas im Tagespropheten?", fragte ich vorsichtig.
„Wegen meinen Eltern?" James' Miene verhärtete sich augenblicklich.
Ich stellte mich auf die Zehenspitzen und glättete die Falten auf seiner Stirn, dann gab ich ihm einen kleinen Kuss.
„Ich dachte eher an etwas Lächerliches über meine Schwester und ihr Walross."

Mit gerunzelter Stirn warf ich einen Blick über die Schulter.
Während sich die allgemeine Aufmerksamkeit inzwischen etwas gelegt hatte, starrten uns weiterhin auffallend viele Slytherins an.
Und jeder hier wusste, dass ich ihre beliebteste Zielscheibe war.
James drehte mich an den Schultern herum und schob mich direkt in die gaffende Menge.
„Finden wir's raus", murmelte er, und bugsierte mich zum Gryffindortisch.

Wir ließen uns neben Sirius, Peter und Marlene nieder, die gerade ihr Frühstück einnahmen.
Mary und Dorcas klapperten wohl noch ein paar Besenkammern ab, und Remus war, wie ich ihn kannte, schon längst in der Bibliothek.

„Morgeeeeen", warf ich munterer, als ich mich fühlte, in die Runde.
Sirius griff sich dramatisch an die Ohren und starrte mich mit einer Leidensmiene an.
„Au", flüsterte er. „Zu früh am Morgen, Evans."
Ich betrachtete ihn kritisch. „Black, du siehst aus, als hätte dich ein Lastwagen überrollt."
„Wohl eher James und sein beschissenes Horrortraining", erwiderte Sirius.
Er und Marlene starrten James aus dunkel umrandeten Augen böse an.
Ich setzte mich begeistert zwischen die beiden und machte mit.

„James", begann Marlene ruhig, „siehst du diese Augen? Weißt du, wie sehr sie sich nach Schlaf sehnen? Weißt du, wie erschöpft sie sind? Und ich sag dir, dass kommt nicht vom Hugo – hinterherheulen, nein. Dafür tragen einzig und allein du und dein Ehrgeiz die Verantwortung!"
James zuckte unbekümmert mit den Schultern. Er schaufelte sich haufenweise Rührei auf seinen Teller, ohne etwas zu erwidern.
Als er kurz den Blick hob, musste er in drei vorwurfsvolle Augenpaare schauen.

Seufzend ließ er seine Gabel sinken.
„Okay, ich weiß, wir trainieren viel in letzter Zeit und ihr alle leidet darunter. Aber das ist unser letztes Jahr! Das ist mein letztes Jahr als Kapitän. Und ich will einfach verdammt nochmal dieses Spiel gewinnen."
Wir straften ihn mit noch vorwurfsvollerem Schweigen.
James stöhnte genervt auf. „Jetzt mal ehrlich, es reicht mir schon, dass die Slytherins die ganze Zeit rüber starren, das brauche ich nicht auch noch von euch. Was ist mit denen eigentlich los?"

Als weder Marlene noch Sirius bereit waren, ihr Schweigen zu brechen, wandte James sich an Peter.
„Pet? Hast du ne Ahnung, was da abgeht?"
Peter schien nicht sehr erfreut darüber, beim Essen unterbrochen zu werden, ließ sich aber zu einer Antwort herab.
„Nee, keine Ahnung. Das ging schon so, als wir reingekommen sind."
„Und im Tagespropheten? Stand da irgendwas Wichtiges drin?"
Peter zuckte mit den Schultern. „Nichts Neues, nein."
James nickte und blickte nach dieser Info deutlich gelassener drein.
„Na gut, dann wird's wohl nichts weiter Interessantes sein. Zumindest nicht interessanter als mein Rührei. Lecker!"
James versenkte seine Gabel in dem glibbrigen Haufen.
Wir anderen taten es ihm gleich.

In einvernehmlichem Schweigen frühstückten wir, bis mir plötzlich jemand auf die Schulter tippte.
„Wasch?", machte ich mit vollem Mund, drehte mich um und hätte fast mein Rührei ausgespuckt.
Da stand Mulciber, und hinter ihm ein paar seiner Gefolgsleute.
Mulciber klatschte mit der flachen Hand ein Stück Papier auf die Tischplatte.
„Bist du das, Potter?"

Die Regel - Lily& James Ff ✔️Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt