Kapitel 1

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Wincent

Nun war die Tour drei Tage vorbei und ich lag immer noch in meinem Bett und hatte nichts auf die Reihe gekriegt. Wie jedes Mal nach der Tour verfiel ich in meine after-concert-depression, aber dass Emma auch noch weg war, und das endgültig, war das Schlimmste. Ich fiel- wieder mal- in dieses schwarze Loch und diesmal machte es nicht den Anschein, als würde ich da irgendwann wieder rauskommen. Ich hatte mich die letzten Tage jeden Abend alleine mit Bier und Jägermeister abgeschossen, um irgendwie schlafen zu können. Meine Gedanken hingen einfach permanent an Emma. Dass ich in dem Bett lag, in dem ich so viele Nächte mit Emma verbracht hatte, unterstützte jeden meiner Flashbacks. Ich war so ein Vollidiot. Wie konnte ich nur so blöd sein? Erst jetzt, wo es zu spät war, fiel mir auf, dass ich schon im Sommer hätte merken müssen, dass das mit Emma und mir keine normale Freundschaft Plus war. Wie sie mich angesehen hatte. Wie wir miteinander umgegangen sind. Kein Wunder, dass jeder dachte, wir wären ein Paar. Ich hätte da schon merken müssen, dass sie alles für mich ist. Aber nein, stattdessen verdrängte ich jeden Gedanken daran und behauptete felsenfest, dass das nur Einbildung war. Und zu allem Überfluss ließ ich mich von der wagen Idee, meine langjährige Beziehung wieder zurückzubekommen, leiten und stieß sie noch weiter von mir weg. Und nicht mal, als sie danach wieder für mich da war, konnte ich mich darauf einlassen, dass da wohl auch von ihrer Seite mehr war. Gott, bin ich kompliziert. Wieder überkam mich dieses Druckgefühl in meiner Brust und ich wollte das am liebsten wieder mit einer Menge Alkohol betäuben. Wie jedes Mal, wenn mein Handy klingelte, schreckte ich zusammen. Wie jedes Mal hoffte ich Emma würde sich melden. Aber es war nur Amelie.

A: Ich weiß, dass du grade wahrscheinlich nicht in Stimmung bist, aber du musst dich nochmal bei deinen Fans melden. Ein letzter Kommentar zur Tour und dann kannst du dich ins Frei verabschieden. Ich denk an Dich, Wince! Wenn ich was für dich tun kann, melde dich.

Für einen ganz kurzen Moment schlich sich ein Lächeln in mein Gesicht. Amelie war die beste Freundin, die ich gerade haben konnte. Sie litt mit mir, irgendwie, aber sie wusste genauso, dass sie mir nicht helfen konnte. Und sie hatte Recht. Ich musste mich nochmal melden und vielleicht würde mich das ja auch zumindest für kurze Zeit etwas ablenken. Ich scrollte durch meine Fotos in der Dropbox und durchlebte fast jeden Konzerttag noch einmal. Wie geil diese vier Wochen einfach waren! Das war genau das, was ich liebte. Mein Hochgefühl hielt nur leider genau so lange, bis ich am Abschlusskonzert ankam. Emma, überall Emma. Paul hatte ganze Arbeit geleistet und gefühlt nur sie fotografiert. Wie sie mit Tränen in den Augen da stand, als ich ihren Song ansagte. Wie wir uns danach in die Arme gefallen sind. Sofort stieg mir ihr Duft in die Nase und ich musste seufzen. Wie soll das nur weitergehen? Letztendlich entschied ich mich für ein Foto vom Ende der Tour und verfasste einen Text, der alles sagte, und nichts. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Ich fühlte mich nicht in der Lage, etwas vorzuspielen und außerdem war das bei meinen Fans ein Ding der Unmöglichkeit. Für die war ich ein offenes Buch- die durchschauten immer sofort, wie es mir ging. Also machte es keinen großen Sinn zu versuchen, sie hinters Licht zu führen. Man erkannte nicht viel auf dem Foto- die Sonne war am Untergehen und ich starrte in die Ferne vor mir; also viel besser konnte man meine momentane Verfassung nicht beschreiben. 

>> But if only you could see yourself with my eyes, you'd see you shine, you shine. I know you'd never leave me behind, but I am lost this time. #tourvorbei #wiederzeitfürprivates #großesvermissen #euchunddietourundnochwen << 

Ich hoffte wohl noch immer, dass Emma meine Postings lesen würde. Mir war klar, dass es Spekulationen hageln würde, aber das war mir in dem Moment egal. Ich wollte jeden mir möglichen Kanal dafür nutzen, Emma zu erreichen. Jetzt wo ich privat keinen Kontakt mehr zu ihr hatte. Ich scrollte unseren Chat nach oben, in dem sich meine unzustellbaren Nachrichten stapelten. Und ich schickte die hundertste Nachricht ab, die nicht ankommen würde.

„Fuck", fluchte ich laut und ließ mich zurück ins Bett sinken. Ich starrte an die Decke und dachte ja ich würde müde davon werden, aber das war nicht der Fall. Meine Gedanken kreisten und kreisten und ließen mich wie so oft nicht einschlafen. Es brauchte mittlerweile wohl härteren Alkohol. Ich torkelte durch meine Wohnung in die Küche und holte die Flasche Jägermeister aus dem Kühlschrank. Mit zittrigen Fingern schraubte ich den Deckel ab und suchte nach einem kleinen Shotglas. Dabei stieß ich ungefähr jedes Glas um, dass sich in meinem Schrank befand, bis sich eine ganze Scherbenlandschaft vor mir befand. „Ach scheiß drauf", murmelte ich und setzte die Flasche einfach so an. War ja scheißegal, die würde ich eh mit niemandem mehr teilen. Am nächsten Morgen wurde ich ziemlich unsanft geweckt. In meiner Küche wurde es plötzlich ultralaut und hörte Geschirr klappern und die Kaffeemaschine mahlen. Natürlich hatte ich einen waschechten Kater, aber das war ehrlich gesagt nichts Neues. Ich schälte mich aus dem Bett und tapste in die Küche- ich wollte wissen, wer um diese Uhrzeit so einen Krawall veranstaltete. „Alter, was soll das?", brummelte ich, bis ich meine Schwester erkannte. Sie räumte gerade die Scherben von gestern Abend zusammen. „Hör auf, ich mach das selbst", brummelte ich weiter und wollte ihr helfen. Ich will nicht so bevormundet werden! Aber sie stieß mich zurück. „Lass es, du schneidest dich nur in deinem Zustand. Hast du dich mal angeschaut? Hast du mal geguckt, wies hier aussieht?", redete sie auf mich ein. Wann war sie so erwachsen geworden? Ich folgte ihrem Blick über das Chaos in meiner Wohnung. Es drehte sich alles bei mir. Als mein Blick wieder bei ihr ankam, hielt sie mir einen Kaffee hin. „Hier, trink. Dann duschst du zur Abwechslung mal wieder und dann fahren wir ans Meer", sagte sie und an ihrer Mimik sah ich, dass sie keinen Widerstand dulden würde. Das Koffein drang relativ schnell in jede Zelle meines Körpers vor und ordnete mich.

Shayenne brachte währenddessen Ordnung in mein Chaos, die kalte Dezemberluft durchströmte meine Wohnung und machte mich ebenso wach, als ich aus der Dusche kam. Keine halbe Stunde später saßen wir am Meer, Shayenne an mich gekuschelt und das brachte mich ziemlich runter. „Mir tut es weh, dich so zu sehen...also bitte rede mit mir", murmelte sie an meine Schulter. Das versetzte mir nur noch mehr einen Stich ins Herz, dass sich auch noch meine Schwester um mich sorgte. Ich konnte nichts sagen, mir fehlten die Worte für meine momentane Situation. „Ich bin mir sicher, es wird alles gut werden", versuchte sie mich aufzubauen und sie klang dabei so erwachsen. Ich drückte sie noch fester an mich, um auch mir selbst Halt zu geben. „Emma wird zurückkommen...", hörte ich sie flüstern und dieser Satz traf mich hart. Ich wollte das nicht, nicht vor meiner kleinen Schwester, aber ich konnte nichts dagegen tun. Meine Tränen überkamen mich und ich heulte wie ein kleines Kind. 

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