Kapitel 3

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Emma

Zum Schluss blieben meine Augen an dem klassischsten aller Familienportraits am Kopfende der großen Tafel hängen. Die Eltern in der Mitte auf Stühlen sitzend, die drei Kinder und Enkelkinder außenrum drapiert, im Hintergrund der Weihnachtsbaum. Mir kam fast mein Frühstück wieder hoch bei der Überdosis an Kitschigkeit. „Ist es nicht toll geworden? Das haben wir letztes Jahr machen lassen", schwärmte Elisabeth. Ich nickte lächelnd. Ja, wirklich toll. Ich hätte wohl irgendwas sagen sollen, aber so hielt Elisabeth direkt einen Vortrag über ihre Familiengeschichte. Dass Felix' älterer Bruder Johann mit Frau und den Kindern natürlich das Weihnachtsfest alleine Zuhause verbringt. Und dass Sarah, die kleine Rebellin, momentan durch die Weltgeschichte reist. Sympathisch, dachte ich. „Aber morgen sind zumindest unsere Buben zusammen. Paula und Lotta werden Augen machen, wenn sie den Baum sehen", schwärmte sie weiter. Das waren wohl die Töchter von Johann. „Das ist ja toll, wenn ihr an Weihnachten immer zusammen seid", meinte ich. Mittlerweile hatten wir unsere Plätze eingenommen und Elisabeth servierte die Weihnachtsgans. Also noch mehr Klischee kann diese Familie auch nicht bedienen. „Wie ist das bei dir, Emma? Feiert ihr das Weihnachtsfest auch mit der ganzen Familie?", fragte Thomas. Ich spürte Felix' Blick auf mir und seine Hand an meiner. Als wollte er mir sagen ich müsste das nicht beantworten. Aber warum nicht gleich die Wahrheit sagen? Kurz und schmerzlos, dann würden uns in Zukunft kaum unangenehmere Situationen überraschen können. „Ja also...meine Mama lebt leider nicht mehr. Und meinen Vater kenne ich nicht", antwortete ich wahrheitsgemäß und trank einen großen Schluck von meinem Wein. Felix' Eltern starrten mich an. Thomas mit diesem mitleidigen Blick und dem Wunsch mich umarmen zu können und Elisabeth fragte sich wohl, was für eine Person meine Mama gewesen sein muss, wenn es mein Vater nicht mit ihr ausgehalten hatte. „Das tut mir leid", durchbrach Thomas die Stille. Ich lächelte ihn an. „Danke, aber...ich komm klar. Ich hab eine Familie der etwas anderen Art, das ist auch gar nicht so schlecht", erwiderte ich. Hoffentlich wechselt gleich irgendjemand das Thema, flehte ich.

„Und was machst du so? Beruflich, mein ich?", fragte Thomas, während er mir Wein nachschenkte. „Ich hab doch erzählt wir kennen uns von der Uni", klinkte sich Felix ein. „Ach, du meintest das ernst? Ich dachte das wäre nur eine Umschreibung dafür, dass du sie über dieses...wie heißt das? Tinder? kennengelernt hast", meinte seine Mum und dachte wohl sie wäre witzig. Mir fiel fast alles aus dem Gesicht, dass sie scheinbar dieses Bild von mir hatte. Dass man mich über Tinder klarmachen könnte. „Ähm, nein, ich studiere tatsächlich Jura", verteidigte ich mich. Sowohl Thomas, als auch Felix hatten direkt durchschaut, dass das mit uns Frauen schwierig werden könnte, aber sie bemühten sich die Kontrolle zu behalten. „Und was willst du dann machen? Es wird ja sicher schwierig mit Kindern als Juristin zu arbeiten...", warf sie ein. Okay, wow. Perplex sah ich sie an. „Wer sagt, dass man mit Kindern nicht auch arbeiten kann? Es gibt genügend Angebote der Fremdbetreuung. Und im besten Fall gibt es ja einen Vater dazu", entgegnete ich. Ich war durchaus bereit zu diskutieren, über dieses ferne Weltbild, was sie scheinbar hatte. Sie nippte an ihrem Glas, bevor sie mich ansah. „Ja, aber der Vater muss ja wohl arbeiten und das Geld verdienen. Es ist deine Aufgabe für die Kinder zu sorgen...Felix, diese Diskussion wäre dir mit Anja erspart geblieben". Ich kochte innerlich und bekam keinen Bissen mehr runter. Ich würde viel Alkohol für diesen Abend brauchen. Felix legte beruhigend seine Hand auf meinen Oberschenkel.

„Mama, vielleicht sehen wir das anders? Vielleicht teilen wir uns einfach beides, wie man das heutzutage tut? Und bitte lass doch endlich Anja da raus, das ist Jahre her", versuchte er sie zu besänftigen. Skeptisch sah sie ihn an, aber sie kniff sich jeden weiteren Kommentar. „Ein Glück können die Kinder das so machen, wie es für sie passt", meldete sich Thomas zu Wort. Ich schätze, er war immer für die Schadensbegrenzung zuständig. Und dafür, seine Frau unter Kontrolle zu halten. Ich nutzte den kurzen Moment der Stille, um durchzuatmen. Das war genau das, was ich befürchtet hatte. Hätte Felix nicht ein bisschen Vorarbeit leisten können? Es tat mir leid, dass er zwischen die Stühle gerutscht war. Das wollte ich nicht. Aber ich konnte mir diese Ansichten nicht anhören. Das war für mich so weltfremd. So war ich nicht erzogen worden, logischerweise. Als ich brav mit Felix den Tisch abräumte, traute ich mich kaum ihn anzusehen. „Es tut mir leid", murmelte ich, während ich die Teller abtrocknete. Felix lächelte mich an. „Schon okay. Sie ist einfach manchmal unmöglich", erwiderte er und rollte mit den Augen. Ein Glück wusste er, dass die Situation nicht nur meine Schuld war.

Ich führte mir doch noch dein ein oder anderen Wein zu Gemüte und mit Thomas konnte man sich auch wirklich gut unterhalten, aber Elisabeth hatte mich wohl gefressen. Ein Glück wohnen wir weit genug voneinander entfernt, dachte ich. Als wir uns in Felix Kinderzimmer verzogen, war es gerade kurz nach Mitternacht, und das fand ich sehr früh für den Weihnachtsabend- und ich war viel zu nüchtern. Wenn ich da an letztes Jahr Weihnachten dachte... Wir lagen nebeneinander in diesem engen Bett und starrten an die Decke. „Meine Mutter kann einfach nicht die Klappe halten", stöhnte Felix und drehte sich zu mir. „Sie ist einfach sehr...altmodisch". Das war die Untertreibung des Jahrhunderts! Ich legte mich ebenso auf die Seite, bis ich ihn ansehen konnte. „Es ist ja eigentlich egal, was sie denkt. Hauptsache wir sind uns einig und zufrieden so. Und das sind wir doch, oder?", meinte ich. Wenn das auch seine Vorstellung von einem Eheleben wäre, wäre jetzt der richtige Moment um mir das zu sagen- bevor ich bei ihm einziehen würde. „Klar, sind wir das. Meinst du ich will sowas? Guck doch mal wie verbittert die is deswegen...ich will, dass meine Frau zufrieden und glücklich ist, weil nur so der Rest der Familie glücklich sein kann", philosophierte er. Ich musste schmunzeln. „Also jetzt wirst du aber sehr poetisch", lachte ich. Felix grinste und zog mich näher zu sich. Ich ließ meine Fingerspitzen über seinen Rücken gleiten, bis ich am Bund seiner Shorts ankam. Ich schaute zu ihm auf und blickte in sein schelmisches Grinsen. „Das willst du echt tun? Wenn meine Eltern nebenan schlafen?", meinte er und war wohl wirklich überrascht. „Ist der Ruf erst ruiniert...", erwiderte ich nur schmunzelnd und kletterte auf seinen Schoß. Ich zog mir mein Shirt über den Kopf und sah ihn wieder an. Felix schüttelte mit dem Kopf, während er sich zu mir hoch streckte. „Normalerweise würde ich sagen, sei leise, aber nach DIESEM Abend...sei es bloß nicht", nuschelte er an meine Lippen.

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