Kapitel 5

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Wincent

Die ganze Nacht arbeiteten sowohl Emmas Nachricht als auch die Worte meiner Mum in mir. Sie hatte Recht. Es muss weitergehen. Ich muss weitermachen. Ich konnte mich nicht den Rest meines Lebens hier in meiner Bude verkriechen und einer Frau nachheulen, die ich so vergrault hatte. Ich war an all dem selbst Schuld. Und nur ich konnte irgendwas an meiner Situation ändern, und das sollte ich dringend. Ich schrieb Marco, dass wir mal wieder feiern gehen sollten. Ich musste raus hier. Raus aus dieser Wohnung, raus aus meinem Trott und raus aus diesem schwarzen Loch. Aber ich wollte das alleine schaffen. Das hatte ich schon mal geschafft, als Yvonne mich verlassen hatte, und da dachte ich auch noch mir könnte nichts Schlimmeres passieren. Ich schaff das, redete ich mir zu. Und ich brauchte auf keinen Fall einen Seelenklempner dafür. Marco war natürlich perplex, als er meine Nachricht gekriegt hatte, aber natürlich unterstützte er mich. Wir zogen nach den Feiertagen fast jeden Abend los und machten uns schöne Abende in diversen Bars und natürlich tat der Alkohol sein Übriges mir die Situation leichter erscheinen zu lassen. Silvester fuhren wir zur Abwechslung mal nicht nach Hamburg, sondern nach Berlin, aber es war ja sowas von egal in welcher Stadt wir uns abschossen. Ganz anders im letzten Jahr, hielt er sich diesen Abend immer an mich- keine Frau konnte sich zwischen uns drängen. Es gab immer mal wieder welche, die uns schöne Augen machten, aber dafür hatte ich erst Recht keinen Kopf. Auch wenn Marco immer sagte, man sollte Gleiches mit Gleichem bekämpfen, funktionierte das bei mir mit Sicherheit nicht. Ich hatte das nach der Trennung von Yvonne schließlich probiert und das stürzte mich nur ins nächste Chaos. Ich schüttelte mich und nahm einen großen Schluck von meinem Bier. Schon wieder schlich sich mein Frauenchaos in mein Hirn. Die startenden Feuerwerksraketen ließen mich zusammenzucken. „Frohes neues Jahr 2019", hörte ich es um mich rufen und kurz darauf umarmte mich mein bester Kumpel. „Auf dass es besser wird, als das letzte geendet ist", meinte er und schlug mir auf den Rücken. Das sollte ja wohl kein Problem sein, dachte ich.

„Danke, dass du immer da bist", sagte ich und hielt ihm mein Bier zum Anstoßen hin. Genug Sentimentalität. Wie immer, wenn wir zusammen unterwegs waren, feierten wir heftig und fielen erst frühmorgens in unsere Hotelbetten. 2019. Ein Jahr, dass schon in seinem ersten Monat einiges an Arbeit für mich mitbrachte. Ich fuhr nur zwei Tage später nach München zu Kevin ins Studio, um den letzten Feinschliff ans Album zu legen. Wir tauschten nochmal die Songs, da ich den Fokus einfach nicht nur auf Yvonne legen wollte. Klar, wir schrieben viele Songs über sie und unsere Trennung, aber auch nicht unbedingt wenig über die Zeit mit Emma. Es war super persönlich, ja, aber irgendwie therapierte ich mich damit auch ein Stück weit selbst. Mir fiel es schon immer schwer über meine Gefühle zu reden, beim texten konnte ich das einfach besser. Gefühlt tausend Mal hatte ich mit den verschiedensten Leuten darüber philosophiert, ob ich mit den daraus resultierenden Fragen umgehen könnte. Und ich war mir sicher, ich könnte das. Dieses Album war mein Leben, offen und ehrlich, mal schön, mal traurig- so wie es eben war bis zu diesem Punkt. Wir waren so stolz, als wir die finale Fassung abschickten. Ich sah zu Kevin rüber, der zufrieden nickte. „Das sollten wir feiern, oder?", schlug er vor und er klang unsicher, ob ich dafür in Stimmung war. „Unbedingt", erwiderte ich und klatschte bei ihm ab.

Wir hatten eben mein zweites Baby auf die Reise geschickt und dass sollten wir auf jeden Fall alkoholreich begießen, bevor wir in der darauffolgenden Woche auch schon auf Promotour gehen mussten. Wir aktivierten beide alle Bekannten hier in München und trafen uns spät am Abend in unserer Stammbar. Wir waren ne reine Männerrunde und das war auch gut so. „Die erste Runde geht auf mich", rief ich, als ich mit dem ersten Tablett Bier und Shots an unserem Tisch ankam. Jubel und Gröhlen kam mir entgegen und ich freute mich auf diesen Abend. Wir blödelten wie immer, wenn wir unter uns waren, und es war klar, dass wir uns zu später Stunde beim Bierpong wiederfinden würden. Mein Team war irgendwie richtig schlecht und wir mussten richtig viel trinken, aber ich steckte das um Längen besser weg als meine Kollegen. Das hätte mir schon zeigen müssen, dass ich es in den letzten Wochen eindeutig übertrieben hatte. Aber das sah ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht. „Was is los mit euch?", rief ich aus, als Kevin schon wieder daneben warf. Er konnte kaum mehr geradeaus schauen und auch Fabi und Matti fiel es schwer sich auf den Beinen zu halten. Ich war immer noch an dem Punkt, alles unglaublich witzig zu finden. „Digga, hast du ne zweite Leber, oder trinkst du nur jeden zweiten Becher?", machte mich Kevin an. „Pff, du wirst nur alt", zog ich ihn auf. Aber bei der Gurkentruppe hier war tatsächlich nicht mehr viel zu holen, also wollten wir uns auf den Weg nach Hause machen. Ich ging zur Bar, um die Rechnung für den Abend zu bezahlen, und während ich so wartete, stellte sich irgendwann jemand neben mich. Ich spürte Blicke auf mir und ich bekam schon wieder schlechte Laune, weil ich dachte ich würde erkannt werden. Das hat mir gerade noch gefehlt, dachte ich. Ich drehte meinen Kopf, aber zu meiner Überraschung lächelte mich eine hübsche blonde Frau an.

„Hi", sagte sie und ich peilte direkt, dass sie mich musterte, „ganz alleine hier?" Ich grinste sie an, selten so einen schlechten Anmachspruch gehört. „Tatsächlich nicht", erwiderte ich, „siehst du die Truppe da drüben? Die gehört zu mir.", erklärte ich und deutete mit meiner Hand ans andere Ende des Ladens. „Oh....", machte sie nur und strich sich eine Strähne hinter ihr Ohr. Ich verstand jeden ihrer Moves, aber ich musste zugeben, dass ich das gar nicht übel fand. „Ich bin übrigens Wincent", stellte ich mich vor und hielt ihr meine Hand hin. „Vera", erwiderte sie lächelnd und legte ihre Hand in meine. Wir unterhielten uns eine Weile und gerade als es ganz gut lief, kam der Barkeeper mit meiner Rechnung. Ich legte ihm das Geld auf den Tresen, bevor ich mich wieder Vera zuwandte. „Schade, dass du gehen musst", meinte sie und schrieb mir ihre Nummer auf einen Bierdeckel. Ich stand ja auf solche Klassiker. Etwas unsicher schauten wir uns an. Was hast du zu verlieren?, fragte mich meine innere Stimme. Eigentlich nichts. Ich musste grad mal an nichts denken, also... „Willst du mitkommen?", fragte ich Vera deshalb gerade heraus. Der Alkohol ließ mich schon immer selbstsicherer wirken, als ich eigentlich war. Sie zögerte. Oder sie wollte mich hinhalten. Jedenfalls überlegte sie. Bis sie mich angrinste. „Warum eigentlich nicht?", meinte sie und griff ihre Tasche und ihre Jacke. Sie nahm meine Hand und zog mich nach draußen, wo die Jungs schon warteten. Ein Glück waren die zu besoffen, um irgendwas zu peilen, denn auf Diskussionen hatte ich grad echt keine Lust. Ich hatte nur Lust Vera mit nach Hause zu nehmen- dachte ich zumindest.

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