Kapitel 90

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Emma

Während Wincent scheinbar den mega Spaß auf den Festivals hatte, hatten auch Linda und ich uns in unserem Frauenhaushalt ganz gut eingependelt. Sie arbeitete vormittags ein paar Stunden, solange ich Adam hütete, und ich den Nachmittag. Das passte zwar meistens nicht mit Amelies Zeitmanagement unterwegs zusammen, aber wir kriegten es trotzdem immer irgendwie auf die Reihe uns abzustimmen. Und die Festivals neigten sich jetzt eh dem Ende entgegen. Aber wir hatten noch einiges an Merch auf der Liste, bevor wir uns für die Hochzeit und den Urlaub danach verabschieden würden. Es brauchte neue Designs für die Tour nächstes Jahr und die war besser gestern als heute im Druck. Solange Wincent noch unterwegs war brauchte ich ihm damit allerdings nicht kommen, der musste das Zeug live sehen und anfassen, um sich entscheiden zu können. Adam zubbelte irgendwann an meinem Bein, was mir zeigte, dass es Zeit war mit dem Arbeiten aufzuhören. 

Ich nahm ihn auf den Arm und direkt rieb er sich die Augen. „Doch schon ins Bett?", fragte ich ihn und linste rüber zu Linda, die ihm gerade sein Gemüse klein schnitt. Adam vergrub sein Kopf an meinem Hals und schob seine kleine Hand in meinen Ausschnitt. „Milch gibts bei mir nicht, Herzi", lachte ich und übergab ihn an Linda. Sie rollte gespielt mit den Augen. „Hat nicht irgendjemand mal gesagt, nach sechs Monaten essen die Kinder? Er ist fast n Jahr und ich stille ihn immer noch in den Schlaf", murmelte sie und setzte sich doch mit ihm auf die Couch. Innerhalb weniger Minuten war er ruhig und eingeschlafen. Sicher grinste ich total debil, wenn ich die Beiden so miteinander beobachtete. Niemals hätte ich dieses Bild für möglich gehalten, nicht in den nächsten zehn Jahren. Linda war immer die Kandidatin für ein Kind, so mit Ende 30, weil man das eben so tut in der heutigen Zeit. Und jetzt? Jetzt saß sie auf der Couch, stillend, und strich ihrem Kind lächelnd über den Kopf. Die Angst vor möglicherweise nicht aufkommender Mutterliebe war völlig unbegründet. „Emma?", riss sie mich aus meinen Gedanken. Ich wusste nicht, in welches Paralleluniversum ich abgedriftet war.

„Ob du ihn ins Bett bringen kannst, hab ich gefragt", wiederholte sie scheinbar ihre Worte. Ich nickte. „Klar, mach ich", antwortete ich ihr und nahm ihr vorsichtig Adam vom Arm. Leise schlich ich in sein Zimmer und legte ihn ab. Ich wartete noch einen Moment, bis ich mir sicher war er würde auch da weiterschlafen, bevor ich sein Zimmer wieder verließ. Linda kam gerade aus dem Bad und ging vor mir ins Wohnzimmer. „Und keiner hat gesagt, dass die Tage nach so ner Geburt so heftig werden...ich glaub ich brauch ne Bluttransfusion", murmelte sie, was mich lachen ließ. „Also jetzt übertreibst du", meinte ich zu ihr. Prüfend sah sie mich an. „Du hast ja keine Ahnung, alles vorher war n Witz dagegen. Wehe du jammerst noch einmal über Regelschmerzen, Madame", meckerte sie weiter. Okay, sollten wir uns jetzt wirklich über unsere Tage unterhalten? Ich mein, klar, wir teilten schon immer alles, aber ob das jetzt gerade das Thema war? 

Schließlich...fuck. Ich grübelte und warf einen kurzen Blick in meinen Kalender, als Linda uns was zu Trinken organisierte. Das kann nicht sein, dachte ich. Viel Zeit meinen Gedanken weiterzuspinnen hatte ich nicht, da kam Linda schon wieder zurück und bombardierte mich mit den neuesten Erkenntnissen in Sachen Marco. Irgendwie hatten sie es doch auf die Reihe gekriegt sich nicht zu hassen und wieder wie früher miteinander umzugehen, bevor sie ihre sogenannte Beziehung begonnen hatten. „Ich mag ihn viel zu gern, er is ja n toller Typ, daran hat sich nichts geändert", schwärmte Linda. Normalerweise wäre ich drauf direkt angesprungen und hätte wild philosophiert, ob da nicht doch mehr ginge, aber gerade hingen meine Gedanken woanders. „Also haben wir beschlossen, alles auf Anfang, nur mit Adam eben", beendete Linda ihre Ausführungen und da wurde ich hellhörig. „Wie? Alles auf Anfang?", fragte ich nach.

„Ihr wollt doch nicht etwa wieder ne Freundschaft Plus oder sonst was?", sprach ich es aus und da klang es noch absurder. Linda lachte. „Emma, jetzt übertreibst du aber. Wir sind Eltern. Aber manchmal hat man vielleicht auch andere Bedürfnisse. Und wir haben genug Material gesammelt, dass das mit uns ganz gut funktioniert, also im Bett, sonst ja eher nicht", grinste sie. Das kann unmöglich ihr Ernst sein! Dieses Hin- und Her; die beiden konnten weder mit noch ohne einander, ganz offensichtlich. „Ihr seid doch nicht ganz sauber", war alles, was mir darauf einfiel. „Aber macht mal, ihr seht ja jeden Tag wo euch das hingebracht hat", konnte ich mir diesen Spruch dann doch nicht verkneifen. Und ich hatte weder Lust noch Kapazität für ein ernstes Gespräch. Sie waren beide erwachsen und in der geistigen Verfassung, um Entscheidungen zu treffen, sollte man meinen. 

„Und bei Euch so?", lenkte Linda dann das Thema schnell und geschickt um. Sollte ich ihr von unserem Vorhaben erzählen? Jetzt wo sie ja scheinbar ihre Beziehung oder wie auch immer man das nennen wollte in den Griff gekriegt hatte, war sie vielleicht offen für meine Pläne? „Es wird Zeit, dass ihr mal nachlegt, ja, aber denk an deine Hochzeit. Wir müssen dein Kleid sonst anders abstecken", philosophierte sie direkt weiter. Normalerweise hätte ich sie ja unterbrochen, um auch irgendwie mal zu Wort zu kommen, aber an diesem Abend ließ ich sie einfach reden. Ich musste mit Wincent reden- dringend- und schickte ihm deshalb direkt eine Nachricht.

E: Bitte ruf mich an, sobald du Zeit hast und alleine bist. Keine Panik, es ist alles gut, aber Linda hält mir gerade einen Vortrag und ich weiß nicht, wie ich da wieder rauskommen soll.

Das war zwar nur die halbe Wahrheit, aber ich wollte ihn nicht unnötig beunruhigen. Wer weiß, was er den Anderen gegenüber sagen würde? Sicher war er noch immer total verkatert.

W: Gib mir 5 Minuten!!!!

Mein Vorhaben ihn nicht zu beunruhigen hatte offenbar wunderbar funktioniert- nicht. Sicher wuselte er wie wild durch die Gegend auf der Suche nach einem einigermaßen ungestörten Platz. Bei diesem Gedanken musste ich schmunzeln. „Du hörst mir gar nicht zu, oder?", holte mich Lindas Stimme ein. Ihr konnte ich nichts vormachen- niemals. Entschuldigend sah ich sie an. „Sorry, ich bin gleich mit Wincent verabredet. Er hat wohl doch einen Kater und das MUSS ich mir ansehen", tischte ich ihr auf. Dass ich auch etwas Ernstes mit ihm zu besprechen hatte, ließ ich aus. Linda grinste nur ebenso. „Dann will ich dich mal gar nicht länger aufhalten. Ich geh hoch, bis Morgen, Liebes", säuselte sie und küsste mich auf die Wange. Ich wartete, bis es oben wirklich ruhig war und schlich mich dann ins Bad. Ich wusste, dass Linda noch immer einen Test im Badschrank hatte und den musste ich ihr wohl klauen. Ich konnte nicht länger warten, bis Wincent wieder nach Hause kommen würde. Ich war gerade in meinem Gästezimmer angekommen und schloss die Tür, als Wincent anrief.

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