Kapitel 85

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Emma

Der Abschied von Wincent zerriss mir fast das Herz. Es war das erste Mal seit Ewigkeiten, dass wir uns mal für eine ganze Woche trennen mussten. Eigentlich hatte es das fast noch nie gegeben; wir waren seit immer nie so lange voneinander getrennt. Ich fand es furchtbar. Ich schlief schlecht, ich hatte keinen Hunger und selbst meine tägliche Runde Joggen machte alleine keinen Spaß. Als ich am zweiten Abend mit Carlos und Netflix im Bett lag, fühlte ich mich wie zu unserer Anfangszeit, als er mich wieder mal alleine zurückgelassen hatte. Was natürlich kompletter Quatsch war, schließlich waren wir mittlerweile seit zwei Jahren richtig zusammen und fast verheiratet. Ich musste fast ein bisschen über mich selbst lachen. Und trotzdem verbrachte ich die folgenden Tage und Nächte bei Linda. Wir konnten beide ganz gut Gesellschaft vertragen und außerdem dauerte so die Bettgehaktion bei Adam nur halb so lang. Wir gönnten uns auf der Terrasse das ein oder andere alkoholfreie Bier und redeten über alles und jeden, nur nicht über uns. Ich wollte ihr so gerne von unserem Kinderwunsch erzählen, aber ich konnte es nicht. Bei ihr war gerade alles etwas kompliziert und ich kam ihr mit unserer rosaroten Babyblase- das konnte ich ihr nicht antun. Also ließ ich dieses Thema aus. Dass ich ihr zuliebe auf richtiges Bier verzichtete, kam ihr nicht mal komisch vor. Wir sprachen viel über die Hochzeit, mittlerweile waren es nur noch knapp acht Wochen. Ich hatte natürlich längst ein Kleid, was Lindas Verdienst war, denn die schleppte mich ins Brautgeschäft kaum hatten wir einen Termin festgelegt. Sie blühte richtig auf in der ganzen Organisation. Was mir natürlich zu Gute kam, denn ich musste mich somit um recht wenig kümmern. Ich suchte mit Wincent die Location aus und die Ringe und das wars schon fast. Manche mögen das komisch finden, aber ich gab die Organisation gerne in die Hände meiner besten Freundin, weil ich mir sicher war, dass es gut werden würde. „Aber wenn dir das alles zu viel wird, weil du grad andere Probleme hast, sagst dus, ja?", sagte ich dennoch zu Linda.

Mich ließ das Gefühl nicht los, dass sie meine Hochzeit nur zu gut von ihrem eigenen Privatleben ablenkte. „Quatsch, das ist ne ganz gute Ablenkung", erwiderte sie und ich sah sie an. „Eben. Ablenkung. Habt ihr nochmal geredet?" Es war mittlerweile fast zwei Wochen her, dass Linda ausgezogen war und ich wusste nicht, wie die Lage zwischen den Beiden aussah. Ich wollte Wincent nicht ständig ausfragen, wobei ich ja nicht mal wusste, ob er Kontakt zu Marco hatte. Ich hätte mir auch gut vorstellen können, dass er sich komplett abschottet und erstmal ein, zwei, sieben Nächte darüber feiern muss. „Ne, also nicht über uns, nur über Adam. Aber ich hab das Gefühl es geht ihm besser, er freut sich auf ihn", erzählte sie. Das klang ja jetzt nicht ganz schlecht. Auch wenn ich gerne noch was anderes gehört hätte. „Vielleicht haben wir uns da auch irgendwie verrannt. Ich mein, wir hatten nicht ohne Grund nur was Lockeres. Wir wollten keine Beziehung und für Liebe hats vielleicht nie gereicht. Wir dachten wohl wir müssten zusammen sein, um Adam eine gute Familie sein zu können, aber ich denke wir haben so mehr davon. Das war die letzten Wochen alles so angespannt und gezwungen. Wir konnten das mal besser", sprudelten die Worte nur so aus ihr raus. Ich hatte Mühe mitzukommen. „Und, ähm, war oder ist da sowas wie Liebe?", fragte ich direkt gerade raus. Linda zuckte wieder mit den Schultern und sah mich an. „Ich weiß, dass das alles total komisch in deinen Ohren klingen muss, Emma", fing sie an, „aber ich glaube selbst wenn, dann hab ich mir das eingeredet. Natürlich liebe ich ihn, er ist der Vater meines Kindes und Adam ist das Beste, was mir passiert ist. Aber ohne diese ungeplante Schwangerschaft wären wir niemals zusammengekommen geschweige denn zusammengezogen. Es ist schade, keine Frage, aber irgendwie ist es doch auch gut, dass er das erkannt hat, bevor ich es getan habe. Und das zu einem Zeitpunkt, wo ich ihn noch nicht hassen muss", redete sie weiter.

Auch wenn es für mich unverständlich klang, machte es irgendwo auch Sinn. „Okay wow", war alles was ich rausbrachte. „Das ist wirklich...also...macht Sinn?", sah ich sie fragend an und sie lachte. „Es ist okay, dass du das nicht verstehst, aber es ist die Wahrheit. Ich will nicht, dass es komisch zwischen uns wird und deswegen reden wir am Wochenende, wenn ich ihm Adam vorbeibringe. Ich will ihn nicht verlieren, nicht für mich und erstrecht nicht für Adam. Er braucht seinen Vater und eigentlich macht Marco das auch ganz gut", sagte sie. Ausgerechnet am Wochenende, wenn ich Wincent besuchen fahren wollte. Dann war sie alleine nach diesem Gespräch. „Das macht nix, Emma", beteuerte sie, „ich bin schon groß, ich komm zurecht". Sie würde eh keine Widerworte dulden, also versuchte ich es erst gar nicht und fuhr wie geplant am Freitagmittag zum Konzert. Schon die ganze Fahrt über war ich hibbelig, weil mir die Tourzeit riesig fehlte. Ich klickte mich durch die Instastories der Fans und postet selbst auch einige, während ich in der Bahn saß. Wincent wusste eigentlich, dass ich auf dem Weg war, aber scheinbar hatte er das vergessen. Zumindest schrieb er mir irgendwann, dass er gleich zum Soundcheck müsste und wir später telefonieren könnten. Oder wir reden nachher richtig, dachte ich, aber ging auf seine Antwort gar nicht weiter ein. Als ich am Zielbahnhof ausstieg und mir meinen Weg zum nächsten Taxi suchte, spürte ich, dass ich beobachtet wurde. Das hatte in den letzten Jahren natürlich zugenommen, gezwungenermaßen, schließlich war ich meistens an Wincents Seite. Ich versuchte das Getuschel zu ignorieren, ich hatte keine Zeit und wollte einfach nur meinen Freund sehen.

Ich ging einen Schritt schneller und hechtete ins nächstbeste Taxi, dann atmete ich erstmal tief durch, bevor ich dem Fahrer die Adresse mitteilen konnte. Je näher wir der Location kamen, desto aufgeregter wurde ich. Ich fühlte mich wie so n Groupie, dabei hatte ich das schon viel öfter gemacht, nur war da immer Wincent dabei. Zielstrebig ging ich auf die Security zu und ging in Gedanken meinen Text durch. Ich hatte die Firma selbst beauftragt, es war immer die Gleiche, und mittlerweile sollten mich alle kennen. Trotzdem musste ich mich beruhigen. Ich lächelte den Türsteher vor dem Backstagebereich an und wollte schon an ihm vorbei, als er nickte, aber dann schob er sich doch vor mich. „Na na na, wo wollen wir denn hin?", fragte er und hob eine Augenbraue. Der Typ war riesig und ich miniklein. Ich stammelte ein bisschen vor ihm rum, bis er grinste. „Nur Spaß, Emma", lachte er, „ich kenn dich doch. Viel Spaß!", wünschte er und öffnete mir die Tür. Was ein...., dachte ich und machte mich kopfschüttelnd auf den Weg zu meiner Crew. 

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