Kapitel 84

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Emma

Innerlich hätte ich ausflippen können nach dem, was mir Linda erzählt hatte, aber äußerlich bemühte ich mich ruhig zu bleiben. Ich bewunderte sie für ihre Ansicht wirklich, ich hätte niemals so reagieren können, wenn Wincent das mit mir abgezogen hätte. Zu viel Verantwortung? Dass ich nicht lache. Meine Güte, der soll sich mal nicht so anstellen. Das Leben ist halt nicht immer nur Ficken und Pommes, manchmal ists schwierig, manchmal kompliziert und manchmal ist man auch unzufrieden. Wer konnte das besser wissen, als wir? „Was hast du jetzt vor?", fragte ich Linda, während Wincent ihre Sachen ins Auto räumte. Sie zuckte nur mit den Schultern. „Ich hab keine Ahnung. Ich geh erstmal wieder heim und dann sehen wir weiter. Ich hatte gehofft wir kriegen das irgendwie geregelt, und können Adam eine vernünftige Familie bieten, aber das wird wohl nix. Warum sollte es bei mir auch anders laufen als bei meiner Mum? Ich hab halt doch viel von ihr", redete sie drauf los und ich musste sie direkt bremsen. „Hör bloß auf, dir die Schuld zu geben! Er kommt grad nicht klar. Du hast nichts falsch gemacht", sagte ich energisch. Was hatte dieser Typ nur mit ihr gemacht, dass sie so an sich zweifelte? So war sie nie. Ich wollte meine beste Freundin nie so sehen. Sie war weicher geworden seit Adams Geburt, natürlich, aber sonst hatte sie immer die große Klappe und stand für sich ein. „Ich will nicht, dass er so verkorkst wird wie ich", murmelte sie. „Du bist doch nicht verkorkst, Linda", fügte ich direkt an. „Du bist die beste Mutter für Adam und Marco ist der beste Vater für ihn. Nur ihr zusammen müsst vielleicht mal in Ruhe miteinander reden und klären, was ihr voneinander wollt oder erwartet. Ihr passt wie Arsch auf Eimer, das müsst ihr nur noch einsehen", sprach ich ihr gut zu. Auch wenn ich tierisch sauer auf Marco war, bemühte ich mich in Optimismus. Es war nicht alles schlecht. Und ich war mir sicher, dass sie so oder so gute Eltern für ihn sein können, wenn Marco sich wieder eingekriegt hatte. Ich merkte auch, wie rasend Wincent war, dass er seinen besten Kumpel nicht verstand und dass er ihm eine fette Ansage gemacht hatte.

Er hatte offenbar alles im Auto verstaut und ging ein paar Schritte auf und ab, um sich runter zu bringen. Dann schnaufte er tief durch und nahm die Babyschale. „Ich hab alles. Sollen wir fahren?", fragte er ruhig und Linda nickte. Sie packte Adam in ihr Auto und wir fuhren hintereinander her bis zu Linda nach Hause. Wir schwiegen die ganze Zeit, mir war klar wie emotional angespannt Wincent war. Es war genau das passiert, was er nicht wollte- nicht für Linda, nicht für Marco und erstrecht nicht für Adam. Als wir angekommen waren, packte Wincent wortlos allen Kram wieder aus und verteilte ihn auf Lindas und Adams Zimmer. Sie hatten hier bei Lindas Mum immer ihre Zimmer behalten, als ob Bea wusste, dass sie irgendwann zurück kommen würden. Ich saß mit Linda im Wohnzimmer und während sie stumm aus dem Fenster sah, wiegte ich Adam in den Schlaf. „Wie soll ich das schaffen?", fing sie irgendwann wieder an. „Auch wenn Marco viel gearbeitet hat, war er zumindest abends und am Wochenende viel da und hatte mir Adam abgenommen. Wir brauchen einen Plan, wann er ihn nimmt. Wie soll das überhaupt funktionieren? Über Nacht kann ich ihn nicht abgeben...", murmelte sie wild, dass ich sie bremsen musste. „Mach mal halblang. Ihr kommt jetzt erstmal hier an und Marco braucht vielleicht grade mal gar keinen Kontakt um sich zu sortieren. Du weißt, wie schwer mir das gerade fällt, weil ich es unmöglich von ihm finde, aber gib ihm die Zeit, sonst dreht er vielleicht völlig hohl", meinte ich. Nachdem Adam eingeschlafen war, redeten wir den ganzen Nachmittag, oder besser gesagt redete Linda und ich hörte zu. Wincent fuhr irgendwann wieder und ließ uns Mädels alleine. Ob er noch mal zu Marco ging oder sich selbst erstmal bei einer großen Joggingrunde sortieren musste, wusste ich nicht.

Ich wusste am Ende des Abends nur, dass ich meine Pläne für die kommenden Wochen irgendwie umschmeißen musste. Als Linda unser bestelltes Essen abholte, rief ich Amelie an und erklärte ihr die Sachlage. „Ich kann also nur an den Wochenende mit auf Tour kommen", sagte ich abschließend. Amelie seufzte. „Ich versteh dich und natürlich bleibst du Zuhause. Ich hab das vorher auch alleine geschafft. Und du kannst mir trotzdem auch so zuarbeiten, egal wo du bist", erwiderte sie und mir fiel ein Stein vom Herzen, dass sie so cool war. Aber sie wusste, dass Linda und ich einfach besonders waren. Ob Wincent das ähnlich cool sah wie Amelie wusste ich nicht; in seiner momentanen Situation könnte das Gespräch so oder so enden. Da musste ich echt viel Fingerspitzengefühl beweisen. Und das ganze eröffnete ich ihm direkt noch am gleichen Abend. Mit allen Abwimmelungsversuchen von Linda und dass sie das nicht bräuchte und ich fahren sollte. „Aber ganz ehrlich? Ihre Mum ist unter der Woche kaum Zuhause, sie hat überhaupt keine Zeit sich mal zu sortieren, was sie eigentlich will", beendete ich meine Rede und wartete auf eine Reaktion von Wincent. Gespielt seufzend sah er zu mir auf und zog mich zu sich auf die Couch. „Mir war so klar, dass du das sagen wirst", sagte er und konnte erst nicht richtig einschätzen, wie er das meinte. „Aber ich versteh das, ich würds an deiner Stelle wohl nicht anders machen". Ich fiel ihm um den Hals und drückte ihm einen langen Kuss auf die Lippen. „Du bist der Beste, weißt du das?", sagte ich und er nickte nur.

„Und es ist ja dann auch immer nur eine Woche und dann am Freitag komm ich dazu", sagte ich nochmal, „und es sind ja eh nur drei Wochen insgesamt". Er drehte sich auf die Seite, sodass wir direkt gegenüber voneinander lagen. „Drei Wochen, die uns bei unserem Vorhaben fehlen", flüsterte er und dann musste ich seufzen. Es war einfach immer irgendwas, was uns so in Beschlag nahm und Zeit raubte. Ich fühlte mich schlecht. Er hob mein Kinn, bis ich in ansah. „Wir müssen wohl schnell ganz viel vorarbeiten", grinste er. „Du weißt, dass das so nicht funktioniert, oder?", lachte ich und zog ihn zu mir. „Wer nicht wagt, der nicht gewinnt", zuckte er mit den Schulter und kam mir näher. „Und wer nicht vögelt, kriegt kein Kind", nuschelte er an meine Lippen, bevor er mich küsste. Ich musste etwas schmunzeln und je länger er mich küsste, desto mehr entspannte ich mich. Ich war froh, dass er das auch so locker nahm wie ich. Dass er entspannter geworden war seit dem letzten Jahr. Und irgendwo auch erwachsener. Nicht, dass er das vorher nicht gewesen ist, aber diese ganze Kindersache damals war schon auch mit viel kindlichem Bockverhalten gepaart. Zum Glück war das mittlerweile vorbei und wir uns sicher und vor allem einig. „Hey, hier spielt die Musik", riss mich Wincents Stimme aus meinen Gedanken. Leicht ertappt sah ich ihn an. „Wo bist du mit deinem Kopf?", fragte er mich. „Bei dir, sorry. Ich musste nur kurz daran denken, wie viel Glück ich mit dir hab", sagte ich leise und strich über seine Wange. Sanft lächelte er mich an. „Ich liebe dich, Emma", flüsterte er, bevor er mich wieder küsste. Und dieses Mal war ich wieder bei der Sache und konnte mich voll und ganz auf uns einlassen. 

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