Kapitel 33

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Emma

Mein Kater am nächsten Morgen war nur halb so schlimm wie erwartet, was wohl am Bier gelegen haben muss. Mit Hochprozentigem wäre ich am Arsch gewesen, mit Sicherheit. Ich drehte mich auf die andere Seite und blickte schon in Wincents waches Grinsen. „Was is denn mit dir los? Du siehst so frisch aus...", witzelte ich. Er zog mich in seine Arme. „Du hast ja sowas von zugelangt, da hätte ich niemals mithalten können", stichelte er. Das klang gar nicht gut für mich. „Ey", meinte ich und kniff ihm in die Seiten. Es war zu früh für Kabbeleien. Ich schloss nochmal meine Augen und döste etwas vor mich hin. „Steht irgendwas an heute?", fragte Wincent, als er mit Kaffee und Carlos wieder zu mir ins Bett stieg. Carlos legte sich auf meinen Bauch und schnurrte wie verrückt, während ich über sein Fell strich. „Ich will nur mal zum Friedhof, sonst nix. Wir könnten bei deiner Mum auf einen Kaffee vorbei?", schlug ich vor. Wincent grinste. „Das wollt ich dich auch fragen...sie würden dir wenigstens gern gratulieren", meinte er. Ich nickte. Ich hatte keine Ahnung, wie viel sie wussten, aber Mamas Tod sprach sich in ihrem Bekanntenkreis natürlich schnell rum, ich konnte mir also schon gut vorstellen, dass Angela sich erinnerte. 

Nach meinem ersten Kaffee genehmigte ich mir eine ausgedehnte Dusche und malte mir ein Gesicht, bevor ich bereit war das Haus zu verlassen. Wincent tingelte ständig um mich rum, was mich kurz ein bisschen wahnsinnig machte. „Was is mit dir?", fragte ich ihn, als ich meine Schuhe anzog. Ertappt sah er mich an. „Ich weiß nicht...", druckste er rum, „soll ich mitkommen? Willst du alleine gehen? Ich hab keine Ahnung, was grad das Richtige ist." Mein Herz schmolz dahin. Schon süß von ihm. Ich stand auf und nahm seine Hände. „Du bist süß!", meinte ich und strich durch seine Haare. „Mir gehts gut, okay. Du brauchst keine Angst haben, dass ich gleich am Grab meiner Mum zusammenbreche, das ist vorbei", erklärte ich ihm. Er versuchte sich an einem Lächeln, aber die Situation war ihm einfach nicht geheuer. Verständlich eigentlich. „Aber ich würde mich freuen, wenn du mich begleitest. Ich muss ihr doch meinen Verlobten vorstellen", sagte ich abschließend und da musste er doch etwas grinsen. „Okay", machte er, schlupfte in seine Schuhe und zog seine Jacke über.

Hand in Hand schlenderten wir durchs Dorf und ich merkte wie seine Schritte schwerer wurden, je näher wir dem Friedhof kamen. Ich schloss meine Finger fester um seine und sah kurz zu ihm auf. Alles ist gut, versuchte ich ihm zu sagen. Aber er musste da jetzt durch. Das ist meine Geschichte und wenn er sein Leben mit mir verbringen will, muss er auch durch diese Zeiten mit mir durch. Recht schnell kamen wir an Mamas Grab an und ich ließ Wincents Hand los. Ich zupfte hier und da etwas Unkraut aus der Erde und bewunderte das Blumengesteck, dass sicher von Bea war. Ich sprach schon lange nicht mehr laut aus, was ich los werden wollte, ich war mir sicher, Mama würde meine Gedanken hören. Aber anfangs brauchte ich das. Wie oft ich auf meiner Picknickdecke hier saß und bei dem ein oder anderen Wein von meinem Leben erzählt hatte. Ich musste grinsen und schaute in den grauen Himmel. 

Wincent schlang seine Arme um mich und legte seinen Kopf auf meiner Schulter ab. Er wusste genau, was ich eben brauchte, nämlich nichts. Nichts außer Ruhe und ihn. Er verschränkte unsere Finger miteinander und strich immer wieder über meine Fingerknöchel. Langsam verzog sich eine Wolke und ein Sonnenstrahl schien uns mitten ins Gesicht. Eigentlich glaubte ich nie an sowas, aber seit meine Mum nicht mehr bei mir war, war ich empfänglicher geworden für Spirituelles oder Karma oder Übersinnliches oder wie auch immer man das nennen wollte. „Mama, ich hab dir jemanden mitgebracht", flüsterte ich, „das ist Wincent und ob dus glaubst oder nicht, aber der is so verrückt und will mich tatsächlich heiraten". Ich spürte wie er grinste, als er mich fester an sich drückte. „Ich bin glücklich, Mama, und ich wünschte du könntest das sehen", sagte ich und drehte mich zu Wincent um.

Er sah mir in die Augen und kurz bevor ich ihn küssen konnte, verzog sich eine weitere Wolke und erhellte sein Gesicht. „Also jetzt wird es unheimlich", murmelte er und schaute in den Himmel. Ich musste lächeln. Ich wusste irgendwie, dass sie sich für mich freute. Eine einzelne Träne rollte mir über die Wange. „Danke", sagte ich zu Wincent, „dass du mich nimmst, wie ich eben bin. Mit all meinem Chaos und Eigenheiten". Er strich mir über die Wange. „Alles andere wär doch langweilig, Herz", flüsterte er und küsste mich sanft. Langsam machten wir uns auf den Rückweg und als wir an der Straße vor unserer Wohnung standen, hielt Wincent plötzlich an. Wir wollten doch weiter zu seiner Mum. „Willst du erst nochmal heim?", fragte er. Ich schüttelte mit dem Kopf. „Mir gehts gut", sagte ich und griff nach seiner Hand. „Und jetzt komm schon". Ich hatte Angela schon am Küchenfenster entdeckt, wie sie suchend nach draußen sah. Obwohl wir jetzt schon ein paar Wochen hier Zuhause waren, hatten wir uns irgendwie nicht oft gesehen. Sie wollte sicher nicht stören oder aufdringlich sein. „Da seid ihr ja endlich", sagte sie, als sie uns die Tür öffnete. Sofort schloss sie mich in ihre Arme. „Los, kommt rein, Shayenne hat extra nen Kuchen gebacken", meinte sie und verschwand schon in der Küche. Schmunzelnd sah ich Wincent an. „Sorry", flüsterte er und rollte mit den Augen.

Ich fand es süß, wenn sie so ein Staatsbesuchsprogramm auffuhren; wir waren offenbar sehr besondere Gäste. Wir wurden verwöhnt wie früher bei Oma und die Stunden gingen nur so dahin. Wir redeten kurz über Berufliches wegen der kommenden Novembertour, aber das hatten wir schnell abgehakt. Shayenne brachte uns auf den neuesten Stand, was die Schule betraf, und dann sprachen wir tatsächlich Ende September schon über Weihnachten. Mit großen Augen sah Wincent seine Mum an. „Ich dachte jetzt, wo du eine Freundin hast, planst du sicher langfristiger...und vielleicht hüpfst du mal zwischen den Jahren nicht in der Weltgeschichte rum", stichelte sie. Wincent war das sichtlich unangenehm, schließlich hatten wir selbst noch nicht mal über Weihnachten gesprochen. Ich war die letzten Jahre immer bei Linda und scheinbar dachte er das wäre dieses Jahr auch so. „Wir kommen Heilig Abend gern her", antwortete ich und kam ihm damit zuvor. „Wir gehen einfach am ersten Feiertag zu Linda", schob ich noch nach. Angela strahlte uns an. „Wie schön! Ich freu mich...und Oma und Opa werden erst staunen", sagte sie. Wincent drückte meine Hand und grinste mich an. „Ach Mama, wir müssen Euch noch was sagen", fing er plötzlich an. 

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