Kapitel 43

1.2K 42 0
                                    

Wincent

Ich war völlig überfordert. Was war denn auf einmal mit Emma los? Dass sie ernsthaft zweifelte, an sich selbst, an mir, an uns, an allem. „Ich will einfach nicht euer gutes Verhältnis zerstören, weil du mir das irgendwann vorhalten wirst. So einfach ist das!", sagte sie und stand mittlerweile vor dem Bett. „Nichts daran ist einfach. Willst du grade ernsthaft, dass ich mich entscheide? Zwischen meiner Familie und dir?", fragte ich sie. Ja, ich wurde laut, aber ich war einfach überfordert. Dass sie offensichtlich wirklich darüber nachgedacht hatte. Ich ging auf sie zu, weil sie mich nicht mal mehr ansehen wollte, aber ich wollte das klären. Jetzt, in diesem Augenblick. Schließlich hatte ich mir vorgenommen jeden Streit auszutragen und nicht alles mit mir selbst auszumachen. „Willst du das?", fragte ich Emma nochmal. „Natürlich nicht", schrie sie mich an, „aber ich will genauso wenig, dass ich diejenige bin, die euer gutes Verhältnis kaputt macht, weil du auf meiner Seite stehst". Sie heulte und erst jetzt begriff ich, wie sehr sie all das in den letzten Wochen belastet hatte. Ich versuchte den ruhigen Part zu übernehmen, weil ich spürte wie aufgebracht Emma war. Ich atmete ein paar Mal tief durch und nahm ihre Hände. 

„Ich brech doch nicht direkt mit meiner Familie, nur weil meine Mum grade n Problem mit mir hat...dann hätt ich das schon viel öfter tun müssen", meinte ich. Emma sah mich an und sagte nichts, bis ein Schwall aus ihr herausbrach, der mich fassungslos zurück ließ. „Verstehst dus nicht oder willst dus nicht verstehen? Ich will nicht diejenige sein, die Schuld ist, weil das bin ich nicht. DU hast dich genauso scheiße verhalten, meine Fresse. Du hast mich rumgeschubst, wie es dir gepasst hat und hast immer nur genommen. Weiß sie davon? Ne, sicher nicht. Sie denkt nur an all das, was ICH dir angetan hab...Und sorry, aber das lass ich mir nicht sagen. Hat mich mal einer gefragt, was du MIR angetan hast? Wie ich gelitten hab? Du hast mir mein Herz rausgerissen und bist auch noch mit voller Wucht drauf rumgelatscht...und DAS werd ich ihr jetzt sagen", schrie Emma und zog sich ne Jogginghose und meinen Hoodie über.

Ich konnte überhaupt nichts sagen. Ich wusste all das, aber so hatte sie mir das noch nie an den Kopf geknallt. Ich dachte wir wären uns einig, dass wir beide nicht unbedingt vorbildlich miteinander umgegangen waren. Aber gerade hatte sie ein Battle eröffnet, wem von uns es schlimmer ergangen war.

Ich schreckte zusammen, als ich die Haustür ins Schloss fallen hörte, und erst dann sprintete ich Emma nach. „Jetzt warte, verdammt", schrie ich, als ich auf der Straße stand. In diesem Zustand sollte sie nicht auf meine Mum oder irgendjemanden treffen. „Emma!", rief ich wieder und holte sie gerade so noch ein. Wir standen mitten auf der Straße vor dem Haus meiner Mum. Und wir stritten, nicht unbedingt leise. Bevor sie anfangen konnte wieder auf mich einzureden, schnitt ich ihr das Wort ab. „Nein, jetzt rede ich mal zur Abwechslung. Das hier ist kein Wettbewerb, wer sich beschissener verhalten hat oder wer den anderen mehr verletzt hat. Ich dachte wir waren uns einig, dass wir beide Fehler gemacht haben. Und dass das vorbei ist!", sagte ich und merkte wie fest ich sie eigentlich hielt. 

Ich löste meinen Griff minimal und fokussierte sie mit meinen Augen. „Und als dein zukünftiger Mann sag ich dir jetzt, dass wir in unsere Wohnung zurück gehen.", meinte ich laut. Ohne ein Wort ging Emma wieder rein und ich atmete noch kurz durch, bevor ich ihr folgte. Emma stand noch im Flur und beobachtete mich, als ich die Wohnung betrat. „Reden?", fragte ich. „Später... bekomm ich deinen Gaming PC?", fragte sie viel ruhiger, als eben. „Ähm, ja.", meinte ich etwas irritiert und stellte diesen an. Ich gab ihn Emma und sie verschwand im Schlafzimmer.

Nachdem Emma sich nach zwei Stunden immer noch nicht hatte blicken lassen, schnitt ich ihr ein bisschen Obst auf und wagte mich ins Schlafzimmer. Sie starrte konzentriert auf den Computer und bemerkte mich kaum. „Ich hab dir Obst gemacht.", sagte ich dann. Sie sah mich nicht mal an, aber sie antwortete mir wenigstens. „Danke, spielst du eine Runde mit mir?", fragte sie. Ich sah aufs Laptop und stellte fest, dass sie Call of Duty spielte. „Sollten wir nicht reden?", meinte ich leise. Sie konnte doch nicht wirklich der Meinung sein, dass sich unser Problem von alleine löste. „Dabei?", erwiderte Emma nur. Mit dieser Antwort gab ich auf. Ich würde sie nur noch weiter von mir weg treiben, wenn ich sie jetzt zu irgendetwas zwingen würde. Also holte ich mir einen Controller und mein iPad und zockte eine Runde mit ihr.

Wir spielten eine ganze Weile und entgegen ihres Vorhabens redete Emma doch nicht mit mir. Ich war echt schon wieder kurz davor, dass mir die Hutschnur riss, als sie plötzlich anfing zu reden. „Weißt du, ich will dich nicht gehen lassen, aber so wie es momentan ist kann ich auch nicht weitermachen. Es ist deine Familie...", sagte sie leise, starrte aber konzentriert auf den Bildschirm. „Emma, ich kann nur mit dir leben. Es geht nie wieder ohne dich und ich bin mir sicher, wir bekommen das hin.", beteuerte ich. „Ich kann mir aber nicht ständig vorwerfen lassen, wie schlecht es dir wegen mir ging. Ich bin Schuld an einem der dunkelsten Kapitel deines Lebens. Das wird mir doch immer vorgehalten werden, das kann ich nicht ertragen.", machte sie weiter und langsam konnte ich nicht mehr nebenbei spielen. Ich ließ mich mit Absicht abschießen und drehte mich zu Emma.

„Aber ich liebe dich. Die dunkle Zeit ist vorbei, seitdem du bei mir bist. Bitte, wir klären das mit meiner Mum irgendwie, aber lass mich nicht nochmal alleine. Glaub mir, könnte ich es rückgängig machen, hätte ich dich schon beim ersten Mal nicht gehen lassen.", beteuerte ich nochmals und langsam gingen mir wirklich die Argumente aus. Emma schwieg wieder und ich konnte das nicht mehr länger ertragen. Ich stand auf und ging ins Wohnzimmer, um mich mit lauter Musik auf den Ohren auf die Couch zu knallen. Ich schloss die Augen und versuchte ruhig zu bleiben. Emma brauchte einfach Zeit, irgendwie bekommen wir das wieder hin, redete ich mir immer wieder ein. Ich war nicht fähig sie nochmals zu verlieren. Irgendwann musste ich über meinen ganzen Gedanken eingeschlafen sein und ich wurde wach, als ich Gewicht auf meinem Körper spürte und sich Arme um mich schlangen. Ich nahm die Kopfhörer raus und öffnete meine Augen. Emma hatte sich an mich gekuschelt und ihr Gesicht an meinem Hals vergraben. „Wir zwei gegen den Rest der Welt?", murmelte sie. „Wir zwei gegen den Rest der Welt.", erwiderte ich und sorgte dafür, dass sie mich ansah. „Und heute Abend fangen wir bei meiner Mum an, aber ruhig und sachlich. Sie will nur das Beste und du bist das Beste.", flüsterte ich und legte meine Lippen sanft auf ihre. Während des Kusses seufzte ich leicht. Katastrophe gerade so abgewendet.

Nur mit DirWo Geschichten leben. Entdecke jetzt