Kapitel 79

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Emma

Ich blieb wie angewurzelt stehen und hielt die Luft an, gefühlt minutenlang. Ich wünschte mir die Aufzugtüren würden sich wieder schließen und wir würden in das richtige Stockwerk fahren. Die Luft im Fahrstuhl wurde langsam dünn. „Emma?", hörte ich Wincents Stimme und als ich blinzelte tauchte sein Gesicht vor meinem auf. „Alles gut?", fragte er weiter. Ich sah an ihm vorbei, aber da stand niemand mehr- sah ich jetzt schon Gespenster? „Schatz? Alles gut?", sprach Wincent weiter und langsam wirkte er besorgt. Ich schüttelte mich und schaute ihm in die Augen. Ich schluckte und nickte. „Alles gut", presste ich hervor. Wahrscheinlich glaubte er mir nicht, aber er hielt mir seine Hand hin und zog mich aus dem Aufzug. Ich blickte ständig um mich, ob ich sie nochmal sehen würde, aber wir waren alleine auf dem Flur unterwegs. Ich wusste gar nicht warum ich so panisch war, wahrscheinlich weil ich nicht mit ihr gerechnet hatte, aber mein Kopfkino ließ mich nicht los. 

Bevor wir an unserem Raum angekommen waren, hielt ich Wincent am Arm fest. Ich wusste, wenn ich jetzt nichts sagen würde, müsste ich die nächsten zwei Stunden mit mir alleine klar kommen. Und das erschien mir unmöglich. Fragend sah er mich an. „Halt mich jetzt nicht für völlig bekloppt, aber das war doch Yvonne, oder?", flüsterte ich. Ich wollte nicht, dass dieses Gespräch irgendjemand mitbekam, vor allem nicht sie. Wincent wirkte etwas unbeholfen, wahrscheinlich überlegte er was und wie er es mir sagen sollte. Schließlich hatten wir keine Zeit für ein großes, ausführliches Gespräch. „Ja, war sie", antwortete er, „sie arbeitet auch hier. Aber das weißt du doch." Noch bevor ich weitere Nachfragen stellen konnte, wurde er in die Maske und kurz darauf vor die Kamera geschleppt. Ich suchte mir meinen Platz möglichst ab vom Schuss, um nicht im Weg zu stehen und ihn trotzdem beobachten zu können. Wie zur Hölle kam er darauf, dass ich das wusste? Wir hatten nie wieder über seine Ex geredet. Aber ich ging mal davon aus, dass sie dachte ich wäre der Grund für die Trennung und sein Hin-und-Her. Und sie jetzt nach all der Zeit so unvorbereitet zu sehen, war mir mehr als unangenehm.

Wahrscheinlich ging es ihr nicht anders, sie war schließlich direkt verschwunden, als sie uns entdeckt hatte. Hätte er mir das nicht sagen können? Wie kam er darauf, dass ich wusste wo seine Ex arbeitet? Ich wusste auch nicht, was sie sonst tat, wie sie überhaupt zu Wincent stand, ob sie nen Neuen hatte- keine Ahnung. Aber bislang spielte das ja auch keine Rolle. Bis wir ihr beinahe bei einem Job in die Arme liefen. Mich schüttelte es. „Wie wir sehen ist deine Freundin anstelle deines Managements dabei, wird das in Zukunft immer so sein?", hörte ich Wincents Interviewpartnerin sagen und schreckte hoch. Ertappt sah ich Wincent an. Wie viel hatte ich wohl verpennt? Ich betete, dass keiner mitgekriegt hatte wo ich mit meinen Gedanken war. Aber Wincent blieb professionell wie immer. „Ne ne, normalerweise macht das ja Amelie und das bleibt auch so. Aber wir kommen gerade von der Releaseparty in München und besuchen Freunde hier, deswegen ist sie dabei. Ihr gefällt es im Hintergrund eigentlich besser, stimmt's Emma?", meinte Wincent und sah zu mir rüber. Ich nickte lächelnd und versuchte mich dann wieder zu konzentrieren. Schließlich war es diesmal eigentlich mein Job darauf zu achten, was er gefragt würde und vor allem, was er antworten würde. Aber die Fragen drehten sich hauptsächlich um die Songs, natürlich, und Wincent kämpfte sich da so durch, um nicht zu viel zu verraten. „Und gibt es denn einen Song für deine Freundin auf dem Album?", wurde er zum Ende hin gefragt. Er lachte nur. „Ne, nicht direkt, das würde nicht jugendfrei werden", meinte er und ich wäre am liebsten im Erdboden verschwunden. Musste er sowas wirklich in einem Interview sagen?

„Und ganz ehrlich: sie weiß, was sie mir bedeutet und selbst wenn es einen Song für sie gäbe, bleibt der schön zwischen uns Beiden", rettete er sich und zwinkerte mir zu. Mir stieg die Röte in die Wangen, weil mir das Thema so unangenehm war. Ich wusste, warum ich bei Interviews lieber nicht dabei war. Wincent störte das nicht, er war immer authentisch, selbst wenn es um sein Privatleben ging und genau das liebten die Leute auch an ihm. Aber trotzdem musste niemand auch nur irgendwas über unsere Beziehung wissen. Wincent kriegte glücklicherweise irgendwie die Kurve und lenkte das Gespräch wieder in die richtige Richtung, dass ich weder etwas zu meckern noch zu beanstanden hatte. Ich schaute auf die Uhr, weil mir die vergangene Zeit schon ewig vorkam. Just in dem Moment kam die letzte Frage. 

„Abschließend interessiert die Fans ja wohl am meisten, wie es mit der Musik weitergeht. Sind Konzerte in Planung oder willst du für die Familie nun kürzer treten?" Sofort sah ich zu Wincent rüber, der nur grinste. Bitte, halt dich zurück, betete ich in Gedanken. „Also nächsten Monat startet ja die Festivalsaison, da werd ich schon auf dem ein oder anderen zu sehen sein, aber die richtige Tour zum Album gibts erst Anfang nächsten Jahres. Die Albumphase war heftig für uns alle und deswegen haben wir uns ab Spätsommer mal ne Auszeit verdient", antwortete er. Ich war mal wieder stolz, dass er es schaffte jede Frage vernünftig und wahrheitsgemäß zu beantwortet, und nur das zu erzählen, was er erzählen wollte. Profi eben, das wurde mir nach solchen Terminen immer mehr bewusst. „Ich bewundere das, wie du jedes Mal reagierst. Ich hätte mich so manches Mal wohl nicht im Griff", meinte ich zu ihm, als wir wenig später wieder im Aufzug standen. Wincent grinste mich schief an. „Langsam bin ich da ganz gut reingewachsen. Auch wenn das das eine oder andere Mal nicht so aussieht, ich weiß schon was ich sagen muss und was nicht. Und meine Beziehung geht Niemanden etwas an", erklärte er und legte seinen Arm um mich. 

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