Kapitel 12

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Emma

Mittlerweile war ich seit drei Wochen auf Bali und hatte ganz gut an mir gearbeitet. Ich begann jeden Morgen um sechs Uhr direkt mit einer 90 minütigen Yogastunde bei Sanja. Was für eine inspirierende Frau! Sie kam vor über 30 Jahren ganz alleine hier her mit genau dieser Vision, Menschen auf den richtigen Weg zu bringen bzw. den Menschen eine Basis zu geben, dass sie sich selbst auf den richtigen Weg bringen konnten. Und wie sie sich bewegte- Wahnsinn! Jede ihrer Bewegungen war so sanftmütig und elegant, dass ich mir schwor, auf jeden Fall auch Zuhause weiter Yoga zu praktizieren. Es brachte mich runter, ließ mich mich selbst spüren und bei mir ankommen. Und zudem sah es wahnsinnig gut aus. Danach gab es immer leckeres Frühstück und obwohl die Versuchung da war mit anderen zu quatschen, blieb ich immer stets bei mir selbst. Ich ging vormittags meist an den Strand, las ein Buch oder surfte, wenn der Wind günstig stand. Manchmal fühlte sich all das ziemlich surreal an und ich hatte Angst mich würde jeden Moment jemand aufwecken, aber das war nicht der Fall. Ich hielt jeden Tag hier in meinen Instastories fest und postete so viel, wie noch nie. Es fühlte sich an, als würde hier die Weisheit an den Bäumen wachsen. Pünktlich am Abend lud ich mein abschließendes Posting für den heutigen Tag hoch. Ich wählte ein Bild von mir in der klassischen Baum-Asana im Sonnenuntergang- ich weiß, kitschig und mainstream, aber mir gefiel es so. 

>Es gibt Wichtigeres im Leben, als beständig dessen Geschwindigkeit zu erhöhen- Mahatma Ghandi. #yogaaufbali #loveyourself #findyourself< 

Dass ich kurz darauf bereits eine Benachrichtigung über ein Like bekam, überraschte mich, erstrecht als ich sah von welchem Profil das kam.

wincentweiss gefällt dein Foto.

Das erste Mal seit Wochen, dass eine Reaktion von ihm kam. Was ich davon halten sollte, wusste ich noch nicht. Es herrschte Funkstille zwischen uns und ja, die ging von mir aus. Ich beschloss das Ganze nicht zu sehr aufzubauschen, sondern hakte es einfach als gesehen ab. Ich war noch nicht soweit, um weiter darüber nachzudenken. Das würde noch einige Gedanken und Meditationen- oder Gespräche- brauchen. Die einzigen Gespräche, die ich hier führte, waren mit Sanja. In den drei Wochen hatten wir einiges voneinander erfahren und sie war es auch, die mich an diese Erkenntnis brachte, dass ich tief in meinem Herzen genau wusste, was ich wollte. Dass ich mir mein Leben unnötig schwer gemacht hatte. Und dass ich mutig sein musste meinen Mund aufzumachen. „Nur du alleine musst glücklich mit deiner Entscheidung sein und sonst niemand", hatte sie gesagt. Es war so einfach und doch so wahr. Am Abend schrieb oder telefonierte ich immer mal mit Linda und erzählte ihr, was mich so bewegte. Ich war mir sicher, sie war nach jedem unserer Gespräche emotional völlig ausgelaugt. Weswegen ich alle paar Tage mich selbst zurückschraubte und mich nach ihrem Leben erkundigte. Sie arbeitete wie immer wahnsinnig viel und hatte gerade einen großen Job bei Maybelline angenommen- ich war wahnsinnig stolz auf sie.

„Das ist großartig, ich freu mich für dich", sagte ich und schickte ihr tausend Luftküsse über Facetime. Ich fand es so schön, meine beste Freundin so vorfreudig erzählen zu sehen. „Aber bevor ich fliege, muss ich Marco nochmal sehen", beendete sie ihren Monolog. Ich grinste sie nur vielsagend an. „Guck nicht so...nur weil sonst drei Wochen echt lang sind", jammerte sie. Kopfkino, halt, stopp! „Oh Linda...hör auf", stöhnte ich und warf mich lachend in die Kissen, „das will ich nicht hören". Sie hielten nach wie vor an ihrer Affäre fest und ich bewunderte sie dafür. Und ich war vielleicht auch ein bisschen neidisch, dass sie das hinkriegten und ich das mit Wincent so versemmelt hatte. Aber ich war einfach ein anderer Typ als Linda. Und Wincent erwischte mich in einem emotional schwachen Moment. Langsam verstand ich das. Und langsam verstand ich, wie viel er mir eigentlich bedeutete. „Ihm gehts richtig beschissen, sagt Marco. Er ist verzweifelt, weil er nicht weiß, was er noch tun soll", sagte Linda irgendwann und senkte ihren Blick. Automatisch schaute ich auch weg. Ich hatte mir schon sowas gedacht, aber es tat weh, wenn sie das so sagte. Das wollte ich schließlich nicht.

Aber ich musste mich erstmal um mich selbst kümmern, bevor ich das wieder bei anderen tun konnte. Es war sicher nicht fair ihn zu blockieren, aber ich dachte nur so könnte ich mich selbst schützen. Mittlerweile sah ich einiges ein bisschen anders und ich sah auch ein, dass ich Fehler gemacht hatte. Und trotzdem war ich noch nicht gefestigt genug. „Ich wollte das nicht", murmelte ich nur. Lindas Stimme wurde sanft. „Ich weiß, Emma. Das wollte ich damit auch nicht sagen. Ich wollte dir nur sagen, dass er leidet. Dass er weiß, dass er Fehler gemacht hat und dass das mit euch wohl doch was Besonderes war", sagte sie leise. Ich musste seufzen. „Ich bin noch nicht soweit, um einen klaren Gedanken fassen zu können. Ich will nicht wieder eine vorschnelle Entscheidung treffen", sagte ich. Wir schwiegen daraufhin eine ganze Weile. „Du musst dich nicht rechtfertigen und ich will dich auch zu nichts drängen. Ich wollte nur, dass du es weißt", schaltete sich Linda nochmal ein, bis wir das Thema beendeten. Es war einfach immer noch schwere Kost für mich. Die Sache mit Wincent ging mir einfach immer noch unglaublich nah. 

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