Stumm sah ich auf das mittlerweile schwarze Handy hinab, welches mein Gesicht spiegelte. Weitere kleine unscheinbare Tränen rollten über meine Wange, welche ich fast ein wenig genervt wegstrich. Warum? Womit hatte ich so etwas verdient...?
"Gehts?", fragte mich Yugyeom besorgt worauf ich nur nickte, ohne meine Augen von Nuris Handy zu nehmen. Sicher... natürlich war alles in Ordnung. Ich lag ja auch nur zehn verdammte Jahre im Koma und verpasste dadurch gefühlt mein halbes Leben.
Meine Jugend war am Arsch. Mit siebzehn war ich nicht wirklich auf Partys unterwegs oder hatte gross mit irgendwelchen Leuten gefeiert. Einfach schon daher, dass ich keine wirklichen Freunde hatte... Ich wusste ja nicht mal, ob ich meinen Abschluss in der Tasche hatte. Zwar schrieb ich vor dem Unfall bereits alle Prüfungen, aber ob ich diesen bestanden hatte war auch nur eine kleine Hoffnung Richtung Normalität.
"W-was ist... mit meinen H-hyungs? S-sind sie bei... mir g-geblieben?" Mit hoffnungsvollen Augen sah ich die beiden endlich an, obwohl ich die Antwort bereits wusste. Sie waren nämlich nicht hier... Yugyeoms und Nuris Gesichter waren besorgt, aber zugleich auch schmerzverzehrt verzogen. Ich sah genau wie sie ihre Tränen zurückhielten...
"W-was ist mit ihnen?!", fragte ich die Geschwister nun ein bisschen lauter, worauf ich ein Seufzen hörte. "Geht... g-geht es ihnen gut...?" Aufgewühlt kaute ich auf meiner Unterlippe herum, worauf ich die salzigen Tränen in meinem Mund schmeckte. "Wir wissen es nicht...", gab mir nun endlich Nuri meine heissersehnte Antwort, nur um mir mein Herz noch einmal zu brechen.
"Du warst ihnen ganz bestimmt nicht egal!" Wütend starrte ich sie an und ignorierte ihre Hand, welche beruhigend über meine strich. Woher wollte sie das bitte wissen? Sie kannte meine Hyungs doch gar nicht! Sie kannte mich nicht...
"W-woher willst... du das Wissen?!", meinte ich mit zittriger Stimme zu ihr, welche teilweise kurz brach. "Warte Jungkook, beruhig dich kurz und hör uns zu, ja? Sie waren nämlich alle hier..." Mit leicht verschwommener Sicht sah ich verwundert zu Yugyeom, welcher mich nun wieder sanft anlächelte.
"Wir erzählen dir wirklich alles was wir wissen, aber bitte versuch dich nicht zu sehr aufzuregen. Ich weiss wir können uns kein Bild davon machen, wie es gerade in dir aussieht und wie du dich gerade fühlst. Aber bitte... beruhig dich. Ich will nicht, dass du mir hier kollabierst, denn du bist wirklich noch nicht annähernd bei deinen vollen Kräften..."
Ich brauchte einen kurzen Moment, um seine Worte sickern zu lassen, bevor ich vorsichtig nickte. Tief atmete ich einmal ein und aus, drückte kurz Nuris Hand als kleines Danke. "W-weiter bitte..." Ein wenig beruhigter sah der Ältere der beiden Geschwister mich an.
"Okay, also wenn ich die richtigen Personen im Kopf habe, waren sie zu sechst richtig?" Wieder kam ein leichtes nicken von meiner Seite, was ihn dazu veranlasste weiter zu reden. "An dem Nachmittag, als du ins Krankenhaus geliefert wurdest waren wirklich alle Sechs da. Einer aufgelöster als der andere. Teilweise kamen sie weinend hinein, oder einfach nur komplett durcheinander."
"Sie haben sich alle so unglaubliche sorgen um dich gemacht wirklich... Man konnte ihnen ansehen wie viel du ihnen bedeutet hast. Darum können wir uns auch nicht erklären, warum sie jetzt nicht hier sind..."
Vielleicht dachten sie, dass ich meinen Hyungs nicht egal war... aber ich hatte da eine eigene Meinung. Die beiden Geschwister wussten nämlich nicht von unserem Streit. Sie wussten nicht, dass wir im Streit auseinandergegangen sind und sie mich eh verlassen wollten. Also war doch das die perfekte Gelegenheit...
"Nach dem aber ein Arzt vorbei kam, änderte sich ihre Stimmung irgendwie schlagartig. Sie kamen alle so unglaublich verzweifelt hinüber. Man sah ihnen praktisch an wie schuldig sie sich fühlten... Aber danach begannen sie sich heftig zu streiten, beschuldigten sich gegenseitig, worauf sie wirklich fast aus dem Krankenhaus geworfen wurden."
Aufgewühlt sah ich zwischen den Geschwistern hin und her. War ich ihnen vielleicht doch nicht so egal wie ich dachte? Aber warum waren sie jetzt nicht hier bei mir? Wo waren sie und ging es ihnen gut?
"Danach habe ich sie nur noch sehr selten gesehen und wenn immer nur alleine unterwegs", seufzte Yugyeom leicht und stütze seinen Kopf auf seinen Händen ab. "Sie alle kamen dich bestimmt für über ein Jahr besuchen, jedoch nur einzeln. Ich habe sie nie wieder zusammen als Gruppe gesehen."
Yugyeoms Erzählungen sorgten dafür, dass sich meine Brust unangenehm zusammenzog. So wie ich meine Hyungs kannte, hatten sie sich zerstritten. Meinetwegen... und das anscheinend ziemlich heftig. Sie wären sonst nicht alleine hergekommen. Uns gab es immer nur zu siebt. Wenn jemand von uns fehlte, fühlten wir uns nicht mehr vollständig...
"Jungkook schau dich doch mal in deinem Zimmer um. Die Blumen?" Irritiert sah ich mich um. Ja, in meinem Zimmer gab es dezent viele Blumen. Blumen aller Art... aber irgendwie stachen die gelben besonders heraus.
"Seit neun Jahren werden dir täglich anonym Blumen geschickt. Es wurde wirklich nicht ein Tag ausgelassen... Ich könnte mir gut vorstellen, dass dies einer deiner Hyungs war. Denkst du nicht?"
Ein kleines unwillkürliches Lächeln schlich sich auf meine Lippen, bevor ich leicht nickte. Ja es konnte gut möglich sein. Aber trotzdem verstand ich sie nicht. Sie waren schliesslich meine Familie und das alle sechs? Warum haben sie mich alleine gelassen?
"Deine Arztkosten... was denkst du wer diese bezahlt." Grinsend sah Yugyeom zu mir und auch auf das Gesicht seiner Schwester schlich sich wieder ein Lächeln, was auch mein Gesicht wieder erhellte. "Jeden Monat werden pünktlich deine ganzen Kosten bezahlt. Das Geld wird jedoch nicht als eine grosse Summe gezahlt, sondern wurde durch sechs geteilt."
Ein wenig sprachlos sah ich zu meinem Arzt. Trotz allem sind sie auf irgendeine Art und Weise noch bei mir. Obwohl ich sie lieber jetzt gleich alle sechs bei mir hätte... "Wir denken, dass sie sich wirklich noch um dich sorgen. Ich kann dir zwar nicht wirklich erklären warum sie nicht mehr hier sind, aber wenn du willst helfe ich dir beim Suchen. Wir werden sie schon irgendwo finden..."
Dankbar sah ich ihn an, worauf mir schon wieder eine Träne über die Wange hinunterrollte. Lächelnd strich ich mir diese jedoch weg. "Ich danke euch...", hauchte ich den beiden zu, worauf auch sie mich endlich wieder breit anlächelten.
"So ist es gut, bloss nicht die Hoffnung aufgeben. Hast du sonst noch eine Frage?" Ich runzelte meine Stirn an und sah überlegend auf die Bettdecke. Zu meinen Hyungs nicht mehr, wahrscheinlich wusste die beiden auch nicht mehr. Mit grossen Augen sah ich zu den beiden als mir noch etwas einfiel.
"Das M-mädchen... beim Unfall. G-geht es ihr... gut?" Kurz schluckte Yugyeom unwohl und schüttelte seinen Kopf als wollte er etwas aus seiner Erinnerung vertreiben. Dies verunsicherte mich ein wenig. Ging es der Kleinen nicht gut? Konnte ich sie nicht mehr retten? Obwohl so klein war sie wahrscheinlich auch nicht mehr...
"Ja es geht ihr gut... Sie ist glücklich.", hauchte Nuri mit Tränen in den Augen, worauf mir ein Stein vom Herzen fiel. Wenigstens etwas... Nur Nuris Blick verängstigte mich ein wenig. Gerade als ich sie darauf ansprechen wollte, hob sie ihren Kopf an und sah mir traurig lächelnd in die Augen.
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My Time / Taekook
FanfictionWas geschieht, wenn man nach zehn Jahren aus dem Koma erwacht? Wenn man dachte, dass man nur ein paar Tage weg war und alles noch beim Alten wäre. Doch dann schlägt einem die bittere Wahrheit ins Gesicht, welche einem in diesem Moment den Atem raub...