Kapitel 6

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Nuri irritierte mich. Wenn es dem Mädchen doch gut ging, warum sah sie so niedergeschlagen aus? Als ich Yugyeom einen fragenden Blick zuwerfen wollte, sah ich, dass es auch ihm nicht wirklich anders erging. Was war denn los? Vorhin war doch noch alles gut...

"Jungkook... ich war es. Ich war das Mädchen, welches du gerettet hast." Ich bekam nur noch am Rande mit wie ich meine Hand lockerte und somit Nuris Hand freigab, welche sich mittlerweile weinend an ihren Bruder krallte. Perplex starrte ich die beiden Geschwister an, komplett überfordert mit der Nachricht, welche mir eben gegeben wurde.

Nuri war das kleine Mädchen, welche voller Unschuld und Niedlichkeit nur so strotzte? Sprachlos sah ich die beiden Geschwister vor mir an. Yugyeom lächelte mich vorsichtig an, während er seine weinende Schwester im Arm hielt.

"D-darum wart ihr... damals hier." Zustimmend nickte er auf meine Feststellung. "Ja, Nuri wurde damals mit dir eingeliefert." Erschrocken weiteten sich meine Augen, als ich zur Jüngsten in diesem Raum blickte. Hatte sie sich damals doch verletzt? Yugyeom, welcher meinen Blick wohl bemerkte, beruhigte mich sofort wieder.

"Ihr ist nichts passiert, du hast sie gerettet. Nuri wurde nur sicherheitshalber eingeliefert, da sie auch ziemlich unter Schock stand..." Besänftigt sah ich wieder zu Nuri, welche sich auch langsam wieder beruhigte. Yugyeom strich ihr beruhigend durch das Haar, was wahrscheinlich auch positive Auswirkungen hatte.

"A-also... geht es dir gut?", fragte ich Nuri noch einmal zögerlich, einfach damit ich zu hundert Prozent sicher sein konnte. Leicht lächelte mich die angesprochene an und wischte sich die Tränen weg. Sie war eine starke Frau, das sah man sofort...

"Alles gut. Es kann möglicherweise sein, dass ich seit dem Unfall ein paar Mal auf den Kopf gefallen bin und somit manchmal scheisse von mir gebe, aber ja sonst ist alles bestens.", kicherte sie schon wieder leicht, was auch mich schmunzeln liess. "Wir wollten uns noch bei dir bedanken Jungkook... ohne dich wäre die Kleine vielleicht nicht mehr hier.", begann mein Arzt zögerlich.

"Von diesen dreissig Menschen, welche an der Ampel warteten, hätte sich nicht einer bewegt. Niemand hätte Nuri aufgehalten und ihr geholfen. Nur du hast es gemacht und das Rechnen wir dir wirklich hoch an. Danke, dass du meine Schwester gerettet hast." Mit wieder einmal wässrigen Augen sah ich verlegen weg. Für mich zählte einfach, dass es ihr gut ging, mehr wollte ich nicht.

"Ein paar Tage nach dem Unfall waren wir wieder hier und wollten unbedingt zu dir. Als wir dann erfahren haben, dass du im Koma lagst war das ein ziemlich grosser Schock für uns, da wir uns sofort bei dir bedanken wollten."

Schmerzhaft verzog er sein Gesicht bei dieser Erinnerung. "Wenige Jahre später, als ich auch hier zu arbeiten begann, wurde dieses Zimmer schon fast unser zweites Zuhause und als wir dann auch noch bemerkten, dass dich niemand besuchen kam, verbrachten wir fast unsere gesamte Freizeit hier."

Zustimmend nickte Nuri der Aussage ihres Bruders zu. "Wir wollten dich nicht alleine lassen, da du mich ja damals an der Kreuzung auch nicht alleine gelassen hast. Das waren wir, oder mindestens ich dir Schuldig." Berührt sah ich die beiden an, bevor ich meinen Blick auf meine Hände richtete.

Jahrelang gehörten die beiden Stimmen zu den Menschen vor mir. Sie waren die Menschen, welche mir täglich Hoffnung gaben. Es waren nicht meine Hyungs...

"Ich will mich auch noch bei dir bedanken und mich gleichzeitig bei dir entschuldigen." Als ich das hörte sah ich leicht verwirrt auf, worauf ich auf Nuris schuldigen Gesichtsausdruck traf. "Ich wollte damals so schnell wie möglich nachhause, da ich mich einfach unwohl unter diesen vielen Menschen fühlte... Eigentlich wusste ich, dass ich nicht bei Rot über die Strasse gehen sollte, aber dieser Mann hat es auch getan, also dachte ich es würde nichts passieren."

Fest presste sie ihre Lippen aufeinander und sah mich ein wenig verzweifelt an. "Ich wollte nicht, dass ein Mensch wegen mir verletzt wird. Wirklich nicht... und jetzt hast du auch noch wegen mir zehn Jahre deines Lebens verloren..."

Traurig sah ich sie an. Natürlich wird es schwer sein zu akzeptieren, dass ich jetzt erwachsen bin. Ich denke, dass ich immer tief in meinem Innern ein Jugendlicher bleiben werde, einfach weil ich diese Zeit nicht hatte. Man sollte doch immer das Beste, selbst aus der schlimmsten Situation machen, und dies werde ich auf jeden Fall tun.

Zögerlich breitete ich meine Arme nach der Jüngeren aus, welche mich zuerst ein wenig verdutzt ansah. Nach einem kurzen Blick zu ihrem Bruder, welcher ihr aufmunternd zunickte, kam sie auf mich zu und setzte sich an den Bettrand. Unsicher legte sie ihren Kopf auf meiner Schulter ab, bedacht mir nicht wehzutun, aber das tat sie nicht. Ich genoss einfach wieder die Nähe zu einem Menschen, die Nähe, welche mir im Koma so fehlte.

Meine Hände legte ich sanft auf ihrem Rücken ab und drückte sie fest an mich. "Ich... muss euch beiden d-danken.", gab ich leise von mir, worauf ich irritierte Blick von den Geschwistern zugeworfen bekam. Auch Nuri löste sich aus unserer Umarmung, worauf ich sie schmollend ansah. Ich habe diese körperliche Nähe vermisst...

Ein leises Kichern war von Nuri zu hören, worauf ich ihr einen strafenden Blick schenkte. Idiot... Grummelnd liess ich mich zurück in mein weiches Kissen fallen und schloss müde meine Augen. "Was hast du denn damit gemeint?", kam es neugierig von Nuri, worauf ich leise seufzend meine Augen wieder öffnete.

"Ich h-habe eure... Stimmen gehört. Ihr habt mir... H-hoffnung gemacht, dass ich irgend... wann wieder das L-licht sehe. I-ihr habt mir ge-geholfen..." Meine Stimme klang noch immer sehr leise und müde, was mich jedoch nicht mehr wirklich störte.

Leicht lächelte Yugyeom mich an, bevor er grinsend zu seiner Schwester sah, welche sich ruckartig aufrichtete. "Ich habe mir schon gedacht, dass du uns hören könntest, also lag ich da richtig.", lachte er leicht. "Yah! Du Idiot, warum hast du mir nichts gesagt?" Aufgebracht sah Nuri ihren Bruder an und schlug ihm auf die Schulter, was ihn nur zum Lachen brachte.

"Omo Jungkook bitte sag mir, dass du nicht mitbekommen hast über was ich alles geredet habe. Yugy weisst du eigentlich was ich ihm für peinliche Sachen erzählt habe, mit dem Gewissen, dass er es nicht mitbekommt. Aish...", quengelnd liess sie sich mehr in ihren Stuhl sinken, so dass sie fast in jenem lag.

Schmunzelnd betrachtete ich die ganze Situation. Jetzt hätte ich gerne gewusst, über was sie mit mir gesprochen hat. "I-ich hab euch nur gehört... aber n-nicht verstanden.", gab ich schliesslich nach ein paar Minuten zu, um sie von ihrem leid zu erlösen.

Sofort sah sie mich wieder strahlend an und setzte sich wieder richtig auf den Stuhl. "Ahh siehst du Bruderherz. Kein Grund zur Sorge, ich habe alles im Griff." Gemütlich lehnte sie sich im Stuhl zurück und überschlug lässig ihre Beine. Lachend sah ich ihr dabei zu. Sie war definitiv irgendwann auf den Kopf gefallen...

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My Time / TaekookWo Geschichten leben. Entdecke jetzt