„Übrigens," ihre Mutter war ihr ins Wohnzimmer gefolgt, „der Mann hat dazu noch ein größeres Paket abgegeben, dass ich in dein Zimmer bringen sollte. Durfte es dir erst sagen, nachdem du die Karte gelesen hattest." Lissa starrte stirnrunzelnd aus dem Fenster. Die Sache gefiel ihr nicht. Wieso erwartete jemand von ihr, dass sie bei diesem kranken Spielchen mitmachte?
„Hat er dir auch gesagt, wofür es ist?" Sie hielt der älteren Frau die blutrote Karte hin.
„Sehr geehrte Lissa. Ich erwarte dich heute Abend um zwanzig Uhr im Nobiskrug. Nenne dem Sicherheitspersonal deinen Namen, zeige diese Karte vor, dann wirst du in den VIP-Bereich gebracht. Ich freue mich auf dein Erscheinen. Gezeichnet, U.H. PS: Ein passendes Kleid habe ich dir zukommen lassen." Die Mutter sah auf. „U.H., ist das Urian Hadal? Der Geschäftsmann, dem die halbe Stadt gehört?"
„Keine Ahnung, aber wie du siehst, erlaubt sich jemand mit mir einen üblen Scherz. Wer lädt mich in diesen Edelclub ein, vor allem am Tag der Eröffnung? Wir gehören nicht in solche Kreise." Das Mädchen schüttelte schnaubend den Kopf. Auf gar keinen Fall würde sie sich dort lächerlich machen.
„Der ältere Herr erwähnte, dass er dich um neunzehn Uhr abholt", gab die Mutter zu bedenken. „Sieh dir wenigstens das Kleid an." Bettelnd schaute sie ihre Tochter an, die schulterzuckend hoch in ihr kleines Zimmer stieg. Auf dem Bett ruhte eine große schwarze Schachtel, die das Mädchen an einen Sarg erinnerte. Ein kalter Schauer lief über ihren Rücken. Sie biss die Zähne aufeinander, hob den Deckel an. Ein Seufzer entfloh ihr. Ungläubig starrte sie auf den seidenen blutroten Stoff. Das war niemals für sie bestimmt. Eine Verwechslung, nichts weiter. Eine zweite Karte fiel auf den Boden, als sie das Kleid vorsichtig aus der Schachtel zog.
„Es ist wirklich für dich, Lissa, ziehe es an und sei heute mein Gast", las sie leise vor. Sie warf einen Blick auf die Uhr. In einer Stunde wurde sie abgeholt. Kopfschüttelnd lief sie hinüber ins Bad, um zu duschen.
„Wie sieht es denn aus?", löcherte die Mutter sie durch die geschlossene Zimmertür fünfzig Minuten später. Das Mädchen öffnete die Tür. Das Kleid umschmeichelte ihren schlanken Körper. An ihre Stirn schmiegte sich ein silbernes Diadem, das der Unbekannte mitgeschickt hatte.
„Wartet heute Abend nicht auf mich", hörte sie sich selbst sagen. „Für eine Übernachtung ist ebenfalls gesorgt." Nie hatte sie in Erwägung gezogen, woanders zu schlafen, doch seitdem sie die fremde Kleidung und das Schmuckstück trug, schienen sämtliche Bedenken verschwunden zu sein. Nur wenig später setzte sie sich ohne Widerworte in die Limousine, die an der Straße wartete. Beim Club zeigte sie die Karte vor, ließ widerstandslos zu, dass sie tief in den Nobiskrug hineingeführt wurde.
Der VIP-Bereich befand sich auf der untersten Ebene. Schwüle Hitze schlug ihr entgegen, hüllte sie ein. Fehlte nur der Höllenfürst persönlich. Voller Neugierde sah sie sich um. Verkleidete Menschen, die sie an Dämonen aus Filmen erinnerten, manche mit täuschend echt aussehenden Masken. Die Hörner schienen direkt aus ihren Köpfen zu wachsen. Die Maskenbildner hatten ganze Arbeit geleistet, stellte sie überrascht fest. Andererseits gehörte der Club dem reichsten Mann der Stadt. Womöglich hatte er Make-up-Spezialisten angeheuert, damit die Party es in die Schlagzeilen jeglicher Boulevardzeitung schaffte. Die Kinder der Wohlhabenden prügelten sich fast um die Eintrittskarten, um hier zu feiern. Doch was suchte sie hier unter ihnen?
„Ein Begrüßungsgetränk, im Namen unseres Herrn." Eine leicht bekleidete Teufelin, auf deren nackter Haut sich Tätowierungen wie schwarze Schlangen dahin schlängelten, reichte ihr ein Cocktailglas, gefüllt mit einem fruchtig riechenden Getränk. Sie verneigte sich leicht, bevor sie im Rauch einer Nebelmaschine verschwand. Die Hitze wurde unerträglich. Schweiß rann ihr den Nacken entlang. Vorsichtig nippte Lissa an ihrem Cocktail, entdeckte nicht die Spur von Alkohol. Erleichtert atmete sie auf, dennoch nagte etwas an ihr. Wer hatte sie hierher eingeladen und was hatte dieser Mummenschanz zu bedeuten?
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Dem Tode zu nahe
ParanormalEin Mädchen - ein Job. Das Unternehmen? Rätselhaft bis skurril. Die Kollegen? Wie den Covern von Modezeitschriften entsprungen. Der Chef? Zwischen unheimlich und charmant. Der direkte Kollege ein Arsch und obendrein Sohn des Chefs. Was kann da schon...