Tiefer Schmerz

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Lissa nippte an einem alkoholfreien Cocktail. Ihre Haare klebten an ihrem Nacken. Die brütende Hitze lag drückend auf ihr wie drei aufeinandergestapelte Winterbettdecken am heißesten Tag des Jahres. Dieser Club war eine sprichwörtliche Hölle. Ihre Gedanken wanderten zurück, zu ihrer selten dämlichen Idee in der Eingangshalle ihres Arbeitgebers. Entsetztes Aufstöhnen, neugierige Blicke, wissendes Grinsen waren die Folge des kopflos dahingesagten Satzes gewesen.

Lilith. Statt wütend oder enttäuscht zu reagieren, hatte sie sich direkt an Zagan gekuschelt und ihn zum Ausgang gezerrt, nachdem sie Lissa aufmunternd zugenickt hatte. Donn hatte Chil überheblich mit einer hochgezogenen Augenbraue angestarrt, bis dieser sich knurrend davongeschlichen hatte. Statt dass sie danach nach Hause verschwinden konnte, hatte ihr Kollege sie gefahren und vor ihrem Elternhaus auf sie gewartet, um sie zum Nobiskrug mitzunehmen. Wenigstens war er nicht ins Wohnzimmer gelatscht und hatte ihrem Vater keinen Schock verpasst.

Wo trieb sich der Mistkerl in diesem Moment herum? Lissa reckte den Hals, starrte in die dichten Nebelschwaden hinein. Wie bei ihrem ersten Besuch in dem Nobelclub tanzten Dämonen auf der Tanzfläche. Angestrahlt von roten und orangenen Lichtern warfen sie groteske Schatten an die Wände. Ein Kribbeln im Nacken, wie von einer besonders dicken Spinne, ließ sie zusammenzucken.

„Hast du mich schon vermisst?" Donn beugte sich über sie. Sein Atem roch nach Pfefferminz, genau wie die Flüssigkeit in dem Longdrinkglas, das er in der Hand hielt. Die schwarze Kleidung, ein Shirt und eine Stoffhose, klebten an ihm wie eine zweite Haut, betonten alles, verhüllten nichts.

„Nein, war ganz angenehm ohne dich", log sie und starrte weiter in den Raum. Wo waren nur Cassandra und Andhaka? „Ich überlegte gerade, ob ich nicht besser nach Hause gehe, damit ich morgen fit bin."

„Du bleibst schön hier." Es klimperte leise, als er das Glas auf dem Glastisch abstellte. Seine Arme wanden sich wie Würgeschlangen um ihren Leib. Mühelos zog er Lissa auf seinen Schoss, wo sie völlig überrascht regungslos verharrte. „Da du mir das Date für den Abend ruiniert hast, wirst du Liliths Platz einnehmen." Ihren was? Es kam wieder Leben in ihren Körper. Sie versuchte, aufzuspringen, doch Donn hielt sie eisern fest. Der Trick, ihm den kleinen Finger hochzubiegen, misslang. Er fixierte ihre Arme mit seinen, presste Lissa eng an seine Brust. „Nun hab dich nicht so. Meinst du, ich bekomme nicht mit, wie du mich ansiehst? Jeder im Unternehmen weiß es." Er küsste ihren Hals entlang. Beim Übergang zur Schulter stoppte er. „Perfekt", raunte er ihr mit heiserer Stimme ins Ohr. Seine Lippen berührten quälend sanft den Halsansatz. Lissa begann, unruhig auf seinem Schoss hin und her zu rutschten. Jede seiner Berührungen jagte etwas, das sich wie kleine Stromschläge anfühlte, mitten in ihren Unterleib. Sein Griff wurde fester, er fing an, an ihrer Haut zu saugen. Ein Knutschfleck von Donn? Das hatte ihr gerade noch gefehlt!

„Lass mich los, du verdammter Mistkerl. Das ist sexuelle Belästigung." Sie kämpfte vergeblich gegen seine Umklammerung an. Ein tiefes, fast tierisches Knurren war die einzige Antwort, die sie von ihm erhielt. Wenn sein Vater sie beide so sah! Nicht auszudenken, was dann geschah. Sie hatte sich an den Job, die Extraeinkünfte für ihre Familie gewöhnt. Dies alles zu verlieren wegen Donn? Das durfte sie nicht zulassen.

Die Luft um sie herum schien wie elektrisiert. Der dichte Nebel lockerte sich, gab die Sicht auf die Lounge Hadals frei. Ein Glas mit einer blutroten Flüssigkeit in der Hand haltend, sah er zu ihnen hinüber. Neben ihm auf der Bank räkelten sich als Teufelinnen verkleidete Frauen. Ebenso zu seinen Füßen. Sein Blick war wohlwollend. Stolz lag darin. Er schien mit dem ehrlosen Verhalten seines Sohnes merkwürdig zufrieden. Lissas Atem stockte. Hatte der Mann sie deswegen angestellt? Als Spielzeug für seinen einzigen Sprössling? Übelkeit stieg ihren Hals empor. Diese Familie widerte sie an. Ihr Vater hatte recht. Das Geld, das sie für ihre Arbeit erhielt, war dies alles nicht wert. Mit einem schier unmenschlichen Schrei riss sie ihre Schulter hoch, rammte sie Donn unter das Kinn. Keuchend ließ er sie los, Verwirrung in seinem Blick.

„Ich hasse dich, du verdammter Arsch. Dich und deine beschissene Familie, die Firma und alle, die dort arbeiten." Sie wich zurück, ließ ihn keinen Moment aus den Augen. Aus dem Augenwinkel bemerkte sie, dass die Teufelinnen sich wie aufgeschreckte Schlangen aus Hadals Lounge davonmachten. Die lauten Bässe verstummten. Stille legte sich über den VIP-Bereich. Lissa schluckte schwer. Jeder würde ihre nächsten Worte hören, doch sie musste diese aussprechen. „Ich kündige. Ihr widert mich alle an."

Donn verharrte regungslos auf seinem Platz, den Blick auf sie gerichtet. Tiefer Schmerz lag darin. Enttäuschung über die Abweisung und ihre Entscheidung. Lissas Herz krampfte, sie spürte Tränen aufsteigen. Ohne eine Antwort abzuwarten, machte sie auf dem Absatz kehrt und rannte los.

Dem Tode zu naheWo Geschichten leben. Entdecke jetzt