Gebranntes Kind

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„Kommst du noch mit in das kleine französische Café in der Innenstadt?" Der junge Mann sah sie hoffnungsvoll an, die Hände in den Hosentaschen vergraben. Lissa lächelte ihn an. Jake war das komplette Gegenteil von Donn. Kurze haselnussbraune Haare und ebensolche Augen. Obwohl sie vor nicht zu langer Zeit betont hatte, dass sie keine Beziehung wünschte, hatte die verschwundene Sorge um Geld und Job dies tüchtig verändert. Womöglich taten die Kommentare sexueller Art, mit denen ihre Kollegen regelrecht um sich schmissen, ihr Übriges. Es war alles andere als hilfreich, wenn ihre Hormone die Macht über ihren Körper ergriffen. Die quälend süßen Berührungen, mit denen Donn sie im Club fast in den Wahnsinn oder zumindest zu einer törichten und vorschnellen Aktion getrieben hatte. Jetzt beherrschte er abermals ihr Denken. Lissa schüttelte den Kopf. Es wurde Zeit, dass sie ihn endgültig aus ihren Gedanken verbannte.

„Du kommst nicht mit?" Jake wandte sich enttäuscht ab, lief vor zum Ausgang, den Blick auf den Boden gerichtet. Das Mädchen eilte ihm hinterher, hakte sich bei ihm ein. Seine Haltung straffte sich sofort.

„Entschuldige bitte, ich habe nur gerade an etwas gedacht. Natürlich komme ich mit." Womöglich lenkte sie das von den Ereignissen der vergangenen Wochen ab. Den meisten ihrer Kollegen ging sie seit Tagen aus dem Weg. Seit dem Vorfall im Nobiskrug. Sie schränkte alle Kontakte ein, nahm sich etwas zu essen ins Büro mit oder aß in einem der kleinen Imbisse in der näheren Umgebung. Mit Cassandra hatte sie seit Samstag kein Wort gewechselt. Dafür suchte Andhaka sie auf, sowie Donn den Raum verließ. Ausgerechnet der Mann, den sie zu Anfang für unnahbar und an seinen Mitmenschen völlig uninteressiert gehalten hatte, versuchte sie zum Umdenken zu bewegen. Ein Lächeln schlich sich auf Lissas Gesicht. Donn versteifte grundsätzlich, wenn er danach zurück ins Büro kam, obwohl Andha jedes Mal rechtzeitig verschwand. Ihr Kollege schien Gefallen daran zu haben, den Sohn vom Chef an der Nase herum zu führen. Womöglich im Auftrag Cassandras, die ihren Rachefeldzug noch nicht aufgegeben hatte. Eine nicht erwiderte Liebe als Auslöser, vermutete Lissa. Wenigstens brauchte sie sich nicht mehr damit herumzuärgern.

„Du bist oft mit den Gedanken woanders. Das ist mir in den vergangenen Wochen schon öfters aufgefallen." Jake stoppte, legte seine Hand über ihre. „Wenn dich etwas bedrückt und du darüber reden möchtest, ich bin für dich da." Seine Wangen röteten sich leicht und er wandte schnell den Blick ab. Er führte Lissa zu seinem Auto, einem winzigen Toyota, und öffnete ihr wie ein Gentleman die Beifahrertür.

„Gehst du oft in dieses Café?", fragte sie ihren Begleiter, nachdem er den Wagen gestartet hatte. Er nickte nur, schluckte sichtbar. Sie betrachtete ihn von der Seite. Er war nicht perfekt, in keiner Hinsicht. Der Unterkiefer war etwas zu wenig ausgeprägt, die Lippen dünn. Ein kleiner Buckel thronte auf seinem Nasenrücken. Ihr Blick wanderte zu seinen Händen, die das Steuer fest umklammerten. Nicht so feingliedrig wie die von jemand anders. Vom Aussehen her nahm er es bei weitem nicht mit Donn auf, der sich unbarmherzig in ihre Gedanken stahl, doch der Sohn ihres Chefs war ein Arsch, im Gegensatz zu Jake, der sich ihr gegenüber ausgesprochen höflich und zuvorkommend verhielt. Was war wichtiger? Jemand, der unwiderstehlich aussah, oder jemand, der das Herz am rechten Fleck hatte? Lissa fand die Antwort schnell, lächelte zufrieden in sich hinein.

„Da wären wir." Hochkonzentriert parkte der junge Mann sein Auto. „Es ist wirklich nur ein kleines Café, doch der Kuchen hier ist fantastisch. Monique, die Besitzerin, backt ihn jeden Morgen frisch. Sie führt dieses Café seit mehr als zwanzig Jahren", sprudelten die Informationen aus ihm hervor. Er führte Lissa hinein, zu bequem aussehenden gepolsterten Stühlen an einem der mit Mosaik verzierten Tische. Das Mädchen sah sich um. Bilder vom Eiffelturm und anderen französischen Bauwerken, wie sie vermutete, schmückten die Wände. Der Tresen war nicht eines dieser modernen Edelstahlteile, sondern aus einer dunklen Holzsorte gebaut. In einer fast deckenhohen Vitrine daneben kreisten auf vier Scheiben unterschiedliche Kuchen. Sahne, Schokolade, Walnüsse bei einem von ihnen, ließen ihr das Wasser im Mund zusammenlaufen. Von solchen Leckereien hatte sie früher nicht einmal zu träumen gewagt. In Gedanken zählte sie das Geld, das sich in ihrem Portemonnaie befand. Wenn sie genug dabeihatte, brachte sie ihren Eltern zwei Stücke mit. Diese würden sich selbst über eines freuen, dieses dann gemeinsam essen, doch sie wollte ihnen eine größere Freude bereiten. Ihre Mundwinkel zuckten vor Vorfreude nach oben.

„Jake!" Eine ältere rundliche Dame trat freudestrahlend aus der kleinen versteckten Küche hervor. „Ich freue mich, dass du mich wieder einmal mit einem hübschen Mädchen besuchst." Lissa gefror das Lächeln auf den Lippen. Hatte sie das richtig gehört? Bedeutete das etwa, dass er öfters jemanden hierher ausführte? Hatte sie ihn falsch eingeschätzt und war sein schüchternes Verhalten nur eine Masche? Sie gab ihm ein Zeichen, dass sie den Waschraum aufsuchen wollte. Im winzigen Bad starrte sie in den Spiegel. Ein dunkler Schleier hatte sich über ihre Augen gelegt. Hinter ihrer Stirn hämmerte wie so oft in den vergangenen Wochen ein Zwerg auf seinem Amboss. Sie glaubte, das höhnische Lachen Donns zu hören, das von den gefliesten Wänden abprallte und tausendfach zu ihr zurückgeworfen wurde. Die Alarmsirenen in ihrem Kopf kreischten, forderten sie auf, nicht in eine Falle zu locken. Lissa atmete tief ein. Ein ähnlicher Fehltritt wie mit ihrem Kollegen würde ihr kein zweites Mal passieren. Auch er hatte sich zuerst charmant gezeigt, um sich als Arsch zu entpuppen. Sie stieß die Luft ruckartig aus, straffte ihren Rücken.

„Diesmal nicht", murmelte sie. „Ein gebranntes Kind scheut das Feuer."

Dem Tode zu naheWo Geschichten leben. Entdecke jetzt