Künstlerische Freiheit

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„Was treibst du da?" Cassandra ließ ihre Freundin stehen und lief zu Andhaka, der mitten im Gewächshaus halb verdeckt hinter einer Staffelei mit Leinwand stand.

„Ich male ein wenig", erwiderte er trocken, da es offensichtlich war. So mit Kittel, Pinsel und Farbpalette. „Irgendwie musste ich mir ja die Zeit vertreiben, da mich jemand hier so lange hat warten lassen." Sein Tonfall war monoton, doch Lissa bemerkte das Glitzern in seinen Augen. Er zog Cassandra für ihre Trödelei nur auf.

„Wusste gar nicht, dass du künstlerisch begabt bist." Die Dämonin gab ihrem Gefährten einen flüchtigen Kuss und warf dann einen Blick auf seine Malerei. „Andererseits hätte ich es mir denken können, bei deinen geschickten Fingern."

„Meinst du nicht, dass es ein Thema für nachher wäre? Ich glaube nicht, dass Lissa sich für unsere Eskapaden interessiert." Er zwinkerte ihr verschmitzt zu.

„Bin schon dankbar, dass ihr mir nicht ausgebreitet von eurem Sexleben erzählt. Lilith hat mir letztens einen Einblick in ihre Nacht mit dem Typen gegeben, den sie im Nobiskrug kennengelernt hat. Für einen Menschen soll er recht begabt sein, meinte sie." Lissa verzog das Gesicht zu einer Grimasse. „Danach kam dann Chil an und berichtete mir von seiner letzten Eroberung. Hätte Donn mich nicht gerettet, würden mir vermutlich jetzt noch die Ohren glühen."

„Du bist halt nichts gewöhnt. Nach einigen Jahrhunderten verliert man jegliche Hemmungen." Cassandra versuchte, Andhaka seinen Pinsel abzuluchsen. „Ach komm schon, ich kann das bestimmt auch."

„Nimm dir erst einmal ein Blatt Papier und einen Bleistift. Zeichne das, was du malen möchtest. Danach können wir darüber reden, ob ich eine meiner Leinwände für deine Malversuche opfere. Wenn das so endet, wie dein Backversuch vor zwei Wochen, dann gute Nacht", brummte der Mann.

„Ich habe halt andere Vorzüge", maulte die Dämonin. „Soweit ich mich erinnere, gefallen dir die sonst sehr gut."

„Cassy!" Er schob sie zur Seite und reichte ihr Zeichenmaterial. „Such dir ein Motiv und sei friedlich. Dann kann ich Lissa etwas in Ruhe über Heilpflanzen erklären. Hadal hat ihr den Auftrag gegeben, eine Broschüre zusammenzustellen. Da muss sie erst einmal wissen, was die Besonderheiten der betreffenden Pflanzen sind."

„Olle Spaßbremse." Hüftschwingend lief Cassandra zum anderen Ende des Gewächshauses und ließ sich in einer Ecke auf einem Klappstuhl nieder. Ihr Blick schweifte zwischen einigen Gewächsen umher, die in ihrer Nähe wuchsen.

„So, die ist vorläufig versorgt." Andha schob Lissa zu einem Hochbeet, das wenige Meter entfernt stand. „Soweit ich weiß, geht es dem Boss um diese Heilpflanzen. Ich habe in meiner Wohnung ein Buch, das ich dir ausleihen kann, dann brauchst du jetzt nichts zu notieren. Aber ich denke, dass du ein paar Fotos benötigst. Vorausgesetzt, du möchtest sie nicht bis ins kleinste Detail zeichnen."

„Genau das habe ich vor." Lissa lächelte entspannt. „Doch ein paar Bilder zu machen, kann nicht schaden. Vor allem, da Donn mir dieses Schätzchen mitgegeben hat." Sie tätschelte die klobige schwarze Tasche an ihrer Hüfte.

Andhaka stieß einen Pfiff aus. „Er hat dir seine Kamera mitgegeben? Die darf sonst niemand anfassen. Darf ich?"

Sie verpasste ihm einen Tick auf die Finger. „Nein, du darfst nicht. Donn hat mich ausdrücklich darauf hingewiesen, sie weder dir noch Cassandra für einen Moment zu überlassen. Er erzählte irgendwas von Nacktfotos, die Lilith ihm mal hinterlassen hat, als er ihr die Kamera für ein Projekt ausgeliehen hatte."

„Oh ja, daran erinnere ich mich. Dummerweise wurden die Fotos auf eine große Leinwand projiziert. Ein Großteil der Belegschaft war dabei anwesend." Andhaka kratzte sich am Nacken. „Donn hat danach eine ziemliche Standpauke von seinem Vater erhalten. Lilith konnte sich dagegen eine Weile nicht vor Verehrern retten."

„Apropros Verehrer. Aswa scheint an ihr interessiert zu sein." Lissa schoss nebenher ein paar Bilder von den Heilpflanzen, während sie mit Andha den aktuellsten Tratsch aus der Firma durchging.

„Der Eisklotz? Dürfte eine ziemlich prickelnde Erfahrung für sie werden, sollte sie sich mit ihm einlassen. Aber komm, lass uns mal nachschauen, was Cassandra aufs Papier gebracht hat." Zusammen liefen sie zu der Dämonin, die gerade etwas wegradierte, als sie bei ihr ankamen.

Die Stirn in Falten gelegt hielt sie das Blatt mit ausgestreckten Armen vor sich. „Also ich finde, es ist mir hervorragend gelungen."

Lissa stellte sich hinter die Freundin. „Findest du? Ich erkenne nicht einmal, welche Pflanze das sein soll.

„Na die natürlich." Cassandra wies auf eine Orchidee mit kleinen zarten Blättchen. Eine kleinwüchsige Epidendrum-Orchidee, wie Lissa dem Namensschild entnahm.

„Ich will ja nicht meckern, aber die Zeichnung erinnert mich mehr an einen Pracht-Storchschnabel." Andhaka verschränkte die Arme und betrachtete kopfschüttelnd das Blatt. „Nein, keine Ähnlichkeit zu deinem Motiv."

Cassandra stand ungerührt auf und hielt die Zeichnung vor ihre Brust wie einen Schatz. „Das, mein Lieber, nennt sich künstlerische Freiheit. Der Begriff sollte selbst dir bekannt sein." Hüftschwingend stolzierte sie aus dem Gewächshaus.

„Künstlerische Freiheit", brummte er. „Sag mal Lissa, kannst du heute Nacht bei Donn in der Wohnung übernachten? Dann könnte ich mich in deine flüchten. So wie Cassy drauf ist, kriege sich sonst nicht mal eine halbe Stunde Schlaf."

Dem Tode zu naheWo Geschichten leben. Entdecke jetzt