„Sie hat tatsächlich ja gesagt?" Lilith zog die Augenbrauen hoch. „Das hätte ich jetzt nicht erwartet. Zumindest vorläufig noch nicht. Bekommt der Boss wohl doch eher einen Enkel als erwartet." Die Dämonin schnappte sich ein weiteres Brötchen und beschmierte es mit Butter und Honig. Genüsslich biss sie ab. „Damit bekommen du und dein Liebster noch einen netten kleinen Aufschub."
„Den hatten wir eh schon erhalten." Lissa gähnte leise. Sie hatte in der Nacht noch lange mit Donn über die Vorkommnisse geredet. Der Antrag, den Andhaka seiner Freundin gemacht hatte, in dem Moment, als sie das Schlimmste befürchtete, hatte sie völlig überrascht.
„Na wenn du meinst. Ich kenne deinen zukünftigen Schwiegervater und seine Taktiken schon länger. Wenn er etwas will, bekommt er es auch. Er kennt Wege, kleine Manipulationen, die dich zum Schluss denken lassen, dass es deine eigene Idee war. Aber bis zum Ritual solltest du tatsächlich Ruhe haben."
Lissa legte das Croissant, von dem sie gerade abbeißen wollte, zurück auf den Teller. „Was weißt du über das Ritual?" Erwartungsvoll schaute sie zur Freundin, die erneut quälend langsam von ihrem Honigbrötchen abbiss und grinsend kaute. „Na los, spuck es schon aus."
„Ich spuck doch nicht mein Frühstück wieder aus." Lilith kicherte, als Lissa demonstrativ die Arme vor der Brust verschränkte. „Schon klar, ich weiß was du meintest, aber es passte gerade so schön." Die Dämonin überlegte einen Moment. „Die Beschwörungsformeln sollen dich nicht nur in unsere Ränge aufnehmen, sondern dir das ewige Leben schenken. Das heißt, du wirst unsterblich werden, wie Hadal und sein Sohn. Wir dagegen," sie wies mit einer lockeren Armbewegung auf die im Frühstückssaal Anwesenden, „wir leben nur ewig, wenn wir uns nicht töten lassen. Der Boss kann uns zwar wieder zum Leben erwecken, aber dafür ist ein anderes Ritual notwendig. Und wenn er jemanden nicht leiden kann, bleibt der halt ein wenig länger tot." Sie zuckte mit den Schultern, trank ihr Glas Orangensaft in einem Zug leer und schielte auf Lissas Croissant. „Wenn du das nicht mehr willst, nehme ich es dir gerne ab."
„Was ist nur mit dir los? Du bist doch sonst nicht so verfressen."
„Habe halt Hunger. Kann ich auch nichts dafür." Lilith wandte sich ab, ließ ihren Blick sehnsüchtig zur Tür schweifen.
„Wartest du auf jemanden?"
„Womöglich." Ein Lächeln umspielte den Mund der Dämonin, die sich den letzten Tropfen Honig von den Lippen leckte. Sie stand auf, lief Richtung Büffettisch, als die Lichter ausgingen und eine tiefe Dunkelheit sich im Saal ausbreitete.
Lissa hörte einen erstickten Schrei, dann ein Kichern. Lilith! Sie krallte die Finger in die Stuhllehne. Wenn sie jetzt aufstand, um der Freundin zu helfen, stolperte sie nur ständig und fiel auf die Nase.
„Holt mal jemand Andhaka? Wir haben einen Kurzschluss im Verteilerkasten", rief einer der Frühstücksgäste.
„Das könnte ein wenig dauern. Nach den Geräuschen zu urteilen, die ich heute Nacht aus seinem Zimmer kommen gehört habe, hat Cassandra dafür gesorgt, dass er vorläufig nicht laufen kann." Die Worte des zweiten Dämons hatten ein schallendes Gelächter zur Folge.
„Dann muss der Kurzschluss wohl warten", meinte ein weiterer zwischen einigen Glucksern. „Haben wir noch Fackeln? Die haben wir schon lange nicht mehr genutzt."
„Ja, seit der Erfindung der Elektrizität. Weniger Rauch im Speisesaal", warf eine der Frauen ein.
„Aber auch ein langweiligeres Ambiente", konterte einer der Männer. „Dir hat es doch besonders gut gefallen, im Schein des Feuers vor mir auf einem Tisch zu liegen und..."
„Könntet ihr mir bitte die Möglichkeit geben, zu Ende zu frühstücken und den Saal zu verlassen, bevor ihr hier mit Frühsport anfangt?" Lissa tastete nach ihrem Croissant und biss ein Stück davon ab. Die erste Fackel erhellte den Eingang zum Frühstückssaal. Weitere wurden entzündet und im Raum verteilt. Sehr gut. Dann konnte sie sich gleich Lilith schnappen und mit ihr abhauen, bevor es hier ausartete. Sie schaute sich nach der Freundin um und runzelte die Stirn. Wo steckte die aschblonde Dämonin nur? Ein leiser Verdacht beschlich sie. Jemand hatte die Dunkelheit genutzt, um die Frau aus dem Saal zu schaffen. Und genau dieser jemand hatte auch den Kurzschluss verursacht.
Aswa. Er hatte sich seine Spielgefährtin der vergangenen Nacht zurückgeholt. Lilith war bei ihm gewesen, deshalb kam sie von der Etage, wo seine Wohnung lag. Was gleichzeitig erklärte, weshalb die Freundin so verfressen war. Lissa seufzte und lief zum aufgebauten Büffet. Sie packte besser ein zweites Frühstück für die beiden zusammen. Ein ausgehungerter Dämon war schon schwer zu ertragen, aber zwei waren tödlich.
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Dem Tode zu nahe
ParanormalEin Mädchen - ein Job. Das Unternehmen? Rätselhaft bis skurril. Die Kollegen? Wie den Covern von Modezeitschriften entsprungen. Der Chef? Zwischen unheimlich und charmant. Der direkte Kollege ein Arsch und obendrein Sohn des Chefs. Was kann da schon...