Zähneknirschend schminkte Lissa sich vor dem Spiegel ihres Badezimmers. Cassandra hatte ihr trotz Protestes Make-up gebracht. Lilith hatte ihr erklärt, wie sie es aufzutragen hatte. Die beiden Frauen hatten es sich scheinbar zur Aufgabe gemacht, sie zumindest äußerlich in eine Dämonin zu verwandeln. Dazu passten die hautengen Klamotten, die sie etwas weniger widerwillig trug. Ungern gab sie zu, dass die Hose ihre Rundungen genau richtig betonte. Das enge Shirt war weder zu kurz, noch zu lang und umschmeichelte ihre Oberweite. Dennoch verspürte sie kaum Lust, die Kollegen in den Nobiskrug zu begleiten.
„Verflixter Gruppenzwang", murrte sie und hörte, wie die Tür zu ihrer Wohnung geöffnet wurde. „Ich bin gleich fertig. Kommt gar nicht erst auf die Idee, mich zu hetzen."
„Das habe ich auch nicht vor." Die tiefe Stimme ihres Kollegen verursachte ihr ein angenehmes Kribbeln auf der Haut. „So lebensmüde bin ich nicht. Bist du angezogen?"
„Klar, kannst reinkommen." Lissa schmunzelte. Vor gar nicht so langer Zeit wäre er, ohne zu fragen, schnurstracks zu ihr ins Badezimmer gelatscht. Er hatte sich in vielerlei Hinsicht geändert, seitdem sie ihn kennengelernt hatte.
„Schade, wieder den richtigen Moment verpasst." Breit grinsend trat er in den Raum und lehnte sich an den Türpfosten. Er musterte sie von oben nach unten, sein Grinsen verschwand. Etwas störte ihn.
Lissa seufzte und wandte sich ihm zu. „Was ist los? Gefällt es dir nicht?" Angespannt wartete sie seine Antwort ab. „Ich weiß, dass ich es nicht mit Lilith und den anderen Frauen aufnehmen kann", fügte sie mit zitternder Stimme hinzu, als er weiterhin stumm blieb.
„Du Dummerchen." Er schüttelte den Kopf. „Wann begreifst du endlich, dass du es locker mit jeder Dämonin aufnehmen kannst? Du bist etwas ganz Besonderes, Lissa. Und damit meine ich nicht deine Fähigkeiten, an denen ich nicht ganz unschuldig bin." Behutsam ergriff er ihre Hände und zog sie zu sich. „Deswegen hasst Kasdeya dich auch so. Weil sie begreift, dass sie dir niemals das Wasser reichen kann."
„Ich bin so froh, dass sie weg ist." Sie lehnte sich an ihren Kollegen, der den Augenblick nutzte und seine Arme um sie schlang.
„Nicht nur du", murmelte er und hauchte ihr einen Kuss auf die Wange. „Du bist viel entspannter, seit die Zicken weg sind."
„Du doch auch. Wer wollte mich denn ständig einsperren oder begleiten, wenn ich irgendwohin wollte?" Lissa zwickte Donn in die Seite, doch der Mann brummte nur etwas Unverständliches. Er streichelte ihr sanft über den Rücken, sodass sie sich noch enger an in schmiegte.
„Wollen wir lieber in mein Penthouse gehen? Ich habe heute keine Lust auf den Trubel im Nobiskrug. Einfach mit dir zusammen auf dem Sofa hängen und einen Film gucken." Er ließ sie los und schaute sie mit einem entzückenden Dackelblick an. Der Tod, der um solch eine Kleinigkeit bettelte.
Lissa kicherte. Die Aussicht auf einen entspannten Abend fernab des Clubs ihres Arbeitgebers gefiel ihr ausgesprochen gut. Doch sie wusste genauso gut wie Donn, wie das enden würde. Sie schüttelte daher den Kopf. „Du weißt, dass sie uns dann suchen und uns vermutlich an den Ohren aus der Wohnung schleifen werden, wenn sie uns finden, oder?"
„Auch wieder wahr. Dann sollten wir wohl mal langsam losfahren. Ich such schon mal deine Tasche." Grummelnd verschwand er in ihrem Wohnzimmer, während sie etwas Lipgloss auftrug.
Denn blutroten Lippenstift, den Cassandra ihr zugesteckt hatte, ließ sie in einer Schublade verschwinden. Sie hatte keine Lust, wie der Joker auszusehen, falls das Make-up im Laufe des Abends verschmierte. „Na dann wollen wir mal", wisperte sie ihrem Spiegelbild zu. „Vermaledeiter Gruppenzwang." Die Freunde würden sie aufsuchen, blieben sie dem Club fern. Doch wenn alle Stricke rissen, blieb ihnen noch das Büro Hadals im Nobiskrug als Zufluchtsort. Ein Lächeln umspielte ihre Lippen. Das war gar nicht mal eine so schlechte Idee. Sie würde Donn während der Autofahrt davon erzählen und seine Reaktion abwarten. Es wäre doch gelacht, wenn sie der lautstarken Musik und den angetrunkenen Personen nicht entkamen.
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Dem Tode zu nahe
ParanormalEin Mädchen - ein Job. Das Unternehmen? Rätselhaft bis skurril. Die Kollegen? Wie den Covern von Modezeitschriften entsprungen. Der Chef? Zwischen unheimlich und charmant. Der direkte Kollege ein Arsch und obendrein Sohn des Chefs. Was kann da schon...