Rabenschwarz

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Goldlöckchen stieß das Tor auf, schaute sich argwöhnisch um. „Hoffentlich ist uns niemand gefolgt." Er seufzte verhalten. „Ach, was mache ich mir vor. Sie werden eh wissen, dass ich dir geholfen habe. Komm, du bist frei." Er wies auf den Pfad vor dem Tor, der ins Nichts zu führen schien. So weit man sehen konnte nur fluffige Wolken und blauer Himmel.

Wie kam sie fort von hier? Lissa beäugte misstrauisch den Weg, setzte dann vorsichtig einen Fuß vor den anderen. Noch schien es, als ob sie auf fester Erde wandelte, doch bald würde sie ins Leere treten. Ein riesiger dunkler Schatten schoss von unten durch eine Wolke, verdeckte für einen Moment die Sonne. Lissa hob den Arm hoch, schützte ihre Augen und versuchte, zu erkennen, was der Schemen war.

Langsam sank er auf ihre Höhe, landete am Ende des Pfades. Tiefschwarze Schwingen, die er demonstrativ ausstreckte. Schwarze Kleidung, die seine finstere Miene betonten, als sein Blick auf den Engel fiel. Der Todesengel war gekommen, um zu holen, was ihm gehörte.

„Azrael." Goldlöckchen verneigte sich ehrfürchtig vor Donn. „Ich grüße dich, mein Freund. Ich freue mich, dass es dir den Umständen entsprechend gut geht."

„Hättest du nicht meine Freundin entführt, wäre alles in bester Ordnung", knurrte der Angesprochene und ballte die Fäuste. „Cassandra hat euch hervorragend beschrieben, als wir sie fanden. Ich wusste schon, dass du dahintersteckst, Luriel."

„Donn, er war im Gegensatz zu den anderen freundlich zu mir." Lissa schob sich halb vor den Engel, damit ihr Freund ihm nicht an die Gurgel sprang. „Es war seine Idee, mich zu diesem Tor zu bringen. Er wusste, dass du kommst." Sie breitete die Arme aus, sah ihn flehend an. „Bring mich einfach nur nach Hause, bitte."

„So soll es sein." Er atmete tief durch, löste seine angespannten Muskeln. Mühelos hob er Lissa hoch und wandte sich zum Gehen. Am Ende des Wegs hielt er inne. „Bevor ich es vergesse, Luriel, der Alte und sein General, der meine Mutter auf dem Gewissen hat, sollen es sich zweimal überlegen, bevor sie noch einmal Hand an jemanden legen, der mir wichtig ist. Ein paar Engelseelen fehlen uns noch in der Seelensuppe."

„Ich werde es ihm ausrichten, mein Freund." Luriel verbeugte sich erneut. „Pass gut auf deine zukünftige Frau auf. Sie ist es wert, den Zorn eines Gottes auf sich zu ziehen." Der Engel trat zurück durch das Tor und verschloss es. Melancholisch lächelnd winkte er Lissa zu, dann breitete er seine weißen Schwingen aus und flog Richtung Palast.

„Lass uns endlich von hier verschwinden", murmelte sie und schlang die Arme um Donns Hals. „Ich habe keine Lust, noch einmal Michael zu begegnen. Ein unangenehmer Zeitgenosse." Sie zog eine Grimasse.

„Ich würde ihn schon gern treffen", knurrte ihr Freund. „Er hat meine Mutter getötet. Einzig, weil sie meinen Vater liebte und nicht ihn. Aber weil er es seinem Herrn gebeichtet hat, ist er ohne Strafe im Amt geblieben. Ich hasse die Absolution."

Lissa strich Donn über den verspannten Kiefer. „Er verdient es, ewig in der Hölle zu schmoren, doch scheint er so von Hass und Neid zerfressen zu sein, dass sein jetziges Leben von Leid geprägt ist. Er wird nie erfahren, was Glück ist. Was es bedeutet, einen liebenden Partner zu haben." Sie beugte sich vor und küsste ihn.

„Du hast recht." Mit einigen kräftigen Flügelschlägen trug er sie beide von den Wolkenschlössern und ihren arroganten Bewohnern fort. Nur einer von ihnen hatte Lissa positiv überrascht. Während des Flugs zurück zur Erde knabberte sie an ihrer Lippe. Je länger sie darüber nachdachte, desto weniger gefiel ihr, dass Luriel zurückgeblieben war.

„Da wären wir." Sanft landete Donn auf dem Dach des Wohnhauses, trug Lissa zur Tür des Treppenhauses. „Du ruhst dich erstmal aus. Ich werde meinem Vater berichten. Es dürfte ihn interessieren, wer dir geholfen hat."

„Was wird mit ihm geschehen?" Endlich traute sie sich, die Frage, die ihr seit dem Abschied auf dem Herzen brannte, zu stellen.

„Luriel? So wie ich den von Hass und Missgunst getriebenen Alten einschätze, sieht es rabenschwarz für Luriel aus." Donn seufzte leise. „Wenn sie ihn nicht töten, wird er auf ewig verstoßen und darf nie wieder einen Fuß ins Himmelreich setzen. Allerdings glaube ich eher, dass er den Verrat nicht überleben wird. Dir zu helfen, ist einer der größten Frevel, die er begehen konnte. Der Alte hat ihn als Teenager schon mal aus dem Fenster geworfen, weil er sich schützend vor mich gestellt hatte."

„So lange kennt ihr einander schon? Willst du ihm dann nicht helfen?"

„Ich wüsste nicht wie. Nur, wenn er aus freien Stücken zu uns kommt, können wir ihn aufnehmen. Wir haben einige gefallene Engel in unseren Reihen. Auch den, der dir einen Teil seines Blutes gegeben hatte, um dich zu einer Auserkorenen zu machen. Er kam am Tag vor deinem achtzehnten Geburtstag zu uns. Der Plan vom Alten gefiel ihm nicht, deswegen verriet er ihn an meinen Vater. Nur deshalb hat er dich in den Club eingeladen und zu seiner Angestellten gemacht. Um dich vor den Engeln zu schützen."

Dem Tode zu naheWo Geschichten leben. Entdecke jetzt