Mit einem Ruck fuhr Lissa hoch. Wo war sie und was war passiert? Das Herz klopfte ihr bis zum Hals. Hart und schnell. Kühles Leder unter ihren Fingerspitzen, eine samtweiche schwarze Decke auf dem Schoß. Ihr Brustkorb hob und senkte sich rapide, wie nach einem Wettrennen. Sie sah sich sorgfältig um. Ihr Blick fiel auf einen roten Umschlag, der neben ihr auf dem Couchtisch lag, auf sie wartend, lauernd wie eine giftige Schlange auf die arglose Beute.
„Der Job", flüsterte sie in den Raum. Außer dem Ticken der Wanduhr und ihrer Atmung war nichts zu hören. Sie war alleine. Weder Cassandra noch Herr Hadal leisteten ihr Gesellschaft. Wie peinlich, dass sie in seiner Anwesenheit umgekippt war. Damit hatte sich das Jobangebot mit Sicherheit erledigt. Geld, das ihre Familie dringend benötigte. Doch wieso hatte es sich angefühlt, als ob sie ihre Seele dafür verkaufte? Was könnte sie dem Sohn des erfolgreichsten Unternehmers der Stadt schon beibringen? Ein hartnäckiges Klopfen drang von der Tür zu ihr, ließ sie zusammenzucken.
„Na Schlafmütze. Endlich aufgewacht?" Cassandra stolzierte ungeniert in den Raum, die Abwesenheit ihres Arbeitgebers genießend, wie es schien. Sie setzte sich ihr gegenüber hin, schob den Briefumschlag mit der Karte näher an Lissa heran. „Ich habe gehört, du wirst der Nervensäge bald Manieren beibringen? Freut mich, dass du zugesagt hast. Habe ich wenigstens jemanden, mit dem ich die Mittagspausen verbringen und über Donn lästern kann."
„Äh, das gehört sich doch sicher nicht." Lissa fand endlich ihre Sprache wieder. „Er ist der Sohn deines Bosses."
„Mache dir da mal keine Gedanken. Was er nicht weiß, macht ihn auch nicht heiß." Die junge Frau zuckte mit den Schultern. „Hauptsache du verknallst dich nicht in die Trantüte und verbündest dich mit ihm gegen mich." Sie hielt inne, zog die Nase kraus. „Obwohl, nee, wer sich in den verliebt, dem ist eh nicht mehr zu helfen." Das waren ja großartige Aussichten! Moment, was hatte sie gesagt?
„I-ich habe doch gar nichts unterschrieben." Zumindest erinnerte Lissa sich nicht an etwas in dieser Art. Hatte sie es etwa vergessen? Nein, die Unterschrift unter einen Arbeitsvertrag zu setzen, das vergaß man nicht.
„Der Vertrag wird gerade aufgesetzt. Allerdings hast du zugesagt, bevor du umgekippt bist." Hatte sie das? Sie durchlief das Gespräch in Gedanken, fand keinen Hinweis, der Cassandras Aussage unterstützte. Log die Frau? Doch wozu? Was versprach sie sich davon? „Er ist gleich fertig. Dann kannst du in Ruhe unterschreiben. Einer unser Fahrer bringt dich danach nach Hause. War wohl etwas viel für dich, die Party gestern und das Gespräch heute."
„Das kannst du laut sagen", brummte das Mädchen. Wieso freute sie sich nicht über die Aussicht, ihren Vater zu entlasten, indem sie eigenes Geld verdiente? Hinter ihrer Stirn pochte es wieder, zwang sie, mit den Grübeleien aufzuhören. Cassandras Smartphone spielte eine Melodie, die Lissa vage bekannt vorkam. Das langgezogene Klagen einer Mundharmonika in das sich Klänge anderer Instrumente mischten. „Bin gleich wieder da. Lauf mir nicht weg." Die Frau stürmte aus dem Büro.
„Worauf habe ich mich da nur eingelassen?" Das Mädchen nahm den blutroten Umschlag mit der Karte an sich, las erneute den Betrag, der sie umgehauen hatte. Die Geldprobleme ihrer Familie erledigten sich mit ihrer neuen Arbeit schlagartig. Den Job nicht anzunehmen, wäre ein Affront, eine Kränkung ihrer Eltern, die sich selbst nie etwas gönnten, um ihr alles zu ermöglichen. Dennoch nagte es an ihr, dass ein Geschäftsmann wie Hadal einer Anfängerin wie ihr so ein Angebot unterbreitete. Das stank zum Himmel wie der Geruch faulender Eier. Was, wenn sie sich nicht mit dem Sohn des Mannes verstand? Ihr dieser das Leben zur Hölle machte?
„Hier, du musst auf jeder Seite unten unterschreiben." Cassandra war zurück und wedelte ihr mit einem Stapel Blätter vor der Nase herum. Dazu drückte sie ihr einen hochwertigen blutroten Füllfederhalter in die Hand.
„Lass mich raten, der schreibt mit schwarzer Tinte." Lissa seufzte, nahm der Frau den Arbeitsvertrag ab. Hatte sie eine Wahl? Das Bild ihres nach einem langen Arbeitstag erschöpften Vaters kroch vor ihr inneres Auge. Die besorgten Blicke der Mutter mischten sich darunter. Das Mädchen unterschrieb kopfschüttelnd die Seiten. Mit jeder Unterschrift wuchs das mulmige Gefühl in ihrem Bauch an.
Du verkaufst deine Seele an den Teufel.
Sie zuckte zusammen, sah sich verwirrt um. Woher kam die Stimme? Sie linste zu Cassandra, die seelenruhig die Papiere ordnete, ein Lächeln auf den Lippen. Lissa atmete tief durch. Alles nur eine Einbildung, wirre Gedanken in ihrem Kopf.
„Da wir das jetzt geregelt haben, bringe ich dich runter zum Wagen." Die Frau half ihr vom Sofa hoch, führte sie zum Fahrstuhl. Schweigend fuhren sie nach unten. „Dann sehen wir uns Montag. Ich freue mich schon darauf, wie du Donn das Leben zur Hölle machst." Cassandras melodisches Lachen füllte die Eingangshalle. Mehr denn je kam sie Lissa wie eine Dämonin vor oder wie eine Rachegöttin. Was, wenn diese sie für die eigenen Zwecke einspannte? Sie murmelte einen Abschiedsgruß, stolperte über die Schwelle nach draußen zum wartenden Fahrzeug, dessen Fahrer ihr die Tür geöffnet hielt. Der ältere Herr, der sie zum Club gefahren hatte, neigte zum Gruß den Kopf. Lissa hechtete ins Wageninnere, froh, keinen Schritt weiter laufen zu müssen. Ihre Beine zitterten, die Knie waren butterweich. Worauf ließ sie sich nur ein?
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Dem Tode zu nahe
ParanormalEin Mädchen - ein Job. Das Unternehmen? Rätselhaft bis skurril. Die Kollegen? Wie den Covern von Modezeitschriften entsprungen. Der Chef? Zwischen unheimlich und charmant. Der direkte Kollege ein Arsch und obendrein Sohn des Chefs. Was kann da schon...