Feuerteufel

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Schweigend saß sie neben Donn in dessen Wagen, den er sicher zurück in die Stadt lenkte. Weder er noch sein Vater hatten ihr gesagt, was das Spiel ohne Grenzen bedeutete, welchen Sinn es erfüllte. Denn ein wirkliches Spiel war es nicht einmal. Eher ein Rätselraten inmitten einiger uralter Steine mit wirren Symbolen. Der Sohn ihres Chefs hatte sie einfach mutterseelenallein auf der Lichtung zurückgelassen. Doch hatte sie sich allein gefühlt? Eher beobachtet. Die Flügelschläge und die seltsame Feder kamen ihr wieder in den Sinn. Ob Andhaka vielleicht wusste, zu welchem Vogel sie gehörte? Sie beschloss, ihn am Montag danach zu fragen.

„Das gefällt mir nicht", murmelte ihr Begleiter. Verwirrt schaute sie zu ihm, bemerkte, wie er stirnrunzelnd aus der Frontscheibe auf einen hellen Schein starrte. Was hatte er gegen den Sonnenaufgang? Lissa öffnete den Mund zu einem spöttischen Kommentar, als ihr etwas auffiel. Seit wann ging die Sonne im Westen auf? Sie fuhren in die Richtung, kamen gerade aus dem Osten.

Das Mädchen krallte die Finger in den Sitz, ihr Atem flachte ab. Eine üble Ahnung beschlich sie. Seit einigen Wochen brannte es mal hier, mal dort in der Stadt. Müllcontainer. Sperrmüll. Ein leerstehendes altes Geschäft. Kleine Brände, aller Wahrscheinlichkeit nach von Jugendlichen angezündet. Doch dies sah nach einem weitaus größeren Brandherd aus.

„Dad, kannst du bitte Lissa übernehmen." Sie riss den Kopf herum. Donn sprach in ein Funkgerät. Die Muskeln spannten über seinen Kieferknochen.

„Alles klar", erklang es aus dem Lautsprecher. „Parkplatz Walmart. Von dort ist es nicht weit zum Krankenhaus." Wieso? Es brannte doch nicht etwa? Sie unterbrach ihre Gedanken. Das durfte nicht wahr sein. Nicht ein Krankenhaus. Sie sah wieder zum hell leuchtenden Gebilde, das wild flackerte. Schwarzer Rauch vermischte sich mit dem Dunkel der Nacht, die im Westen noch nicht dem anbrechenden Tag gewichen war. Sirenen heulten nicht weit entfernt.

„Was hast du vor?" Sie packte Donn am Handgelenk. Seine Armmuskeln ungewöhnlich hart unter ihren Fingern. Steif von seinem klammernden Griff um das Lenkrad. Sie warf einen Blick auf den Tacho. Er fuhr viel zu schnell, genau auf die Feuerhölle zu, die sich vor ihnen auftürmte wie ein lavaspuckender Vulkan.

„Ich habe etwas zu erledigen. Vater wird sich deiner annehmen, dich nach Hause bringen." Mit quietschenden Reifen bog der Wagen in eine Straße ein. Der blaue Schriftzug mit der gelben Sonne strahlte ihnen von einer beleuchteten Reklametafel entgegen. Neben ihnen hielt das Auto Hadals. Dieser sprang heraus, riss die Beifahrertür auf. Seine warme Hand umschloss ihren zitternden Arm.

„Komm Lissa, hier ist es nicht sicher für dich. Ich bringe dich zu deinen Eltern." Wie hypnotisiert folgte sie seiner tiefen samtenen Stimme. Der Geruch nach verbranntem Holz und anderen Materialien lag schwer in der Luft. Sie hustete, glaubte, den Gestank von faulen Eiern wahrzunehmen. „Setz dich doch bitte." Hadal schob sie auf die Rückbank, schloss behutsam hinter ihr die Tür. Lissa sah zum Seitenfenster hinaus. Ihr Arbeitgeber redete eindringlich auf seinen Sohn ein, der vehement nickte. Seine Gesichtszüge wirkten hart im Feuerschein. Entschlossen. Was hatte er vor? Sie packte den Griff, versuchte, die Tür von innen zu öffnen. Vergeblich. Wollte er etwa zum Krankenhaus, um Menschen aus der brennenden Hölle zu befreien? Das wäre Wahnsinn. Sie schlug gegen die Scheibe, wollte raus, um ihn anzuschreien, dass er die Arbeit den Feuerwehrleuten überlassen sollte. Die Männer ignorierten ihr Klopfen. Hadal drückte nur die Schulter seines Sohnes, dann stieg er in den Wagen.

„Mach dir keine Sorgen, Lissa. Es wird ihm nichts geschehen." Sie riss die Augen auf, starrte fassungslos auf den Mann, der ungerührt den Motor startete. Wieso war er sich dessen so sicher? Das war doch hirnrissig. „Dieses Mal ist der Feuerteufel zu weit gegangen. Aber er wird seiner gerechten Strafe nicht entgehen, sei unbesorgt." Wie konnte er so überzeugt sein? Ein dunkler Schatten fiel auf die Motorhaube, glitt zum brennenden Gebäude. Ein länglicher schwarzer Gegenstand landete am Scheibenwischer. Sie kniff die Augen zusammen. Eine weitere Vogelfeder. Sie zog ihre aus der Innentasche von Donns Lederjacke, drehte sie zwischen den Fingerspitzen. Die Feder verströmte den Geruch eines ihr wohlbekannten Aftershaves. Das ihres Kollegen, der sich in Gefahr begab. Sie presste sie gegen ihre Brust, atmete konzentriert ein, um ihren rasenden Herzschlag zu beruhigen.

„Hebe sie gut auf, Lissa. Sie wird dir den Weg weisen, dem du schon bald folgen wirst. Der dir vorbestimmt ist." Hadal suchte über den Rückspiegel Blickkontakt zu ihr. „Jeder hat ein bestimmtes Schicksal. So wie der Feuerteufel seines gewählt hat, so wurde dir ein anderes in die Wiege gelegt." Kurz schien etwas rot in seinen Augen aufzuleuchten. Ein kalter Schauer lief über Lissas Rücken. Sie presste sich instinktiv gegen die Rückwand. Dann rief sie sich zur Vernunft. Licht hatte sich gespiegelt, nichts weiter.

Dem Tode zu naheWo Geschichten leben. Entdecke jetzt