Unterdrückte Wut

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Klirrend zerbrach die Vase an der Wand. Blutrote Scherben verteilten sich auf den tiefschwarzen Fliesen wie Blutflecken bei einem brutalen Raubüberfall. Ein groteskes Mosaik, das Lissas aufgewühltes Inneres bildlich darstellte. Zu blöd nur, dass das Objekt ihres Hasses sich rechtzeitig geduckt hatte. Sie schnaubte genervt. Wieso ließ er sie nicht endlich in Ruhe?

Vorwurfsvoll starrte ihr Kollege sie an. Den Schnitt an seiner Wange schien er nicht zu bemerken, als er langsam auf sie zu schlich. Wie ein Raubtier, dass sie seiner ahnungslosen Beute näherte. Doch sie war weder ahnungslos, noch seine Beute.

„Vergiss es. Das mit dem Training könnt ihr euch schenken. Ich bin doch nicht euer Versuchskaninchen", zischte sie ihm zu.

„Komm schon, Lissa, du wolltest doch auch wissen, was du bist. Wie sollen wir das herausfinden, wenn du dich weigerst, am Training teilzunehmen, und wir ebenso keine Tests durchführen dürfen?" Donn schüttelte bedächtig den Kopf. „Das ergibt doch keinen Sinn. Sei bitte vernünftig."

„Ich soll vernünftig sein?", keifte sie. „Nach allem, was ihr mir verschwiegen habt? Bis zum Tod meines Vaters wusste ich nicht einmal, dass ich anders als die Menschen bin. Du hattest es nicht für notwendig gefunden, mir von deinem Fehler und seinen Auswirkungen zu erzählen. Hätte mein Vater nicht darauf bestanden, dass die Wahrheit ans Licht kommt, würde ich noch immer im Dunkeln herumkriechen wie ein Maulwurf. Herzlichen Dank aber auch!" Sie wandte sich von Donn ab, knallte im nächsten Augenblick gegen eine Wand. Eine, die sie packte und verhinderte, dass sie zu Boden stürzte. „Danke Andha", brummte sie und kämpfte sich aus seinem Griff frei.

„Ist sie noch immer wütend?" Cassandra stolzierte auf ihren langen Beinen in die Eingangshalle des Wohngebäudes. „Was das angeht, steht sie einer enttäuschten Dämonin in nichts nach." Die Frau lief auf Donn zu. „Sie hat es sogar geschafft, dich zu verletzen, Brüderchen. Nicht schlecht."

„Cassy, mach dich vom Acker. Das ist eine Sache zwischen Lissa und mir", knurrte er seine Schwester an. Seine Miene sprach Bände. Er hielt sich nur mit Mühe zurück, ballte immer wieder die Fäuste.

„Damit es zu weiterem Blutvergießen kommt?" Die Frau seufzte. „Sie ist genauso störrisch wie ich, genauso dickköpfig wie du." Sie drehte sich zu Lissa um, duckte sich blitzschnell, um einer kleineren Vase auszuweichen, die ein Stück weiter auf dem Fliesenboden zerschellte.

„Du hast mich auch belogen. Hau ab, ich will dich nie wieder sehen", schrie Lissa die Freundin an. Ihr Verrat schmerzte noch mehr. Ein Dorn, der sich tief in ihr Herz bohrte. Ihr durch den Schmerz die Luft zum Atmen nahm.

„Ach Kleines, wir durften dir doch nichts erzählen." Zwei große Pranken hielten sie fest, hinderten sie daran, ein weiteres Wurfgeschoss zu packen. „Wir hatten doch keine Chance, dir etwas außer ein paar Andeutungen zu sagen." Andha stützte sein Kinn auf ihrem Haupt ab. „Du glaubst nicht, wie oft ich davorgestanden habe, dir alles zu beichten. Doch du hättest es eh nicht geglaubt." Er seufzte tief. „Wie auch? Für Menschen ist unsere Welt zu bizarr."

„Ich bin ja nicht mal ein Mensch", murrte sie. „Das hat der Idiot versaut." Sie zeigte mit dem Fuß auf Donn, der sich gerade das Shirt über den Kopf auszog. Gleich darauf breitete er seine tiefschwarzen Schwingen aus.

„Lass sie los, Andha. Es war mein Fehler, also übernehme ich es." Seine Stimme war rau, Schmerz klang bei seinen Worten unterschwellig mit. Ein Gewissen? Das hatte er nicht.

Bevor Lissa auch nur blinzeln konnte, stand er bei ihr und schlug seine Flügel um sie. Dunkelheit hüllte sie ein, wie damals im Keller, als die Zicken sie suchten. Da hätte er es ihr schon sagen müssen, hätte sie erkennen müssen, dass etwas nicht stimmte. Enttäuscht von ihm, wütend über ihre eigene Unzulänglichkeit, fing sie an, auf ihn einzuschlagen. Er wehrte sich nicht, murmelte nur fremde Worte in einem beruhigenden Tonfall auf sie ein, doch sie kämpfte weiter verbissen gegen ihn an. Würde es immer tun. Nie wieder würde sie mit einem ihrer Kollegen scherzen. Dämonen, Untertanen des Teufels, nicht würdig ihrer Freundschaft oder dazu imstande, Gefühle zu hegen. Sie alle hatten Lissa verraten. Schluchzend holte sie erneut aus, doch Donn ergriff ihre Handgelenke und hielt sie sanft fest.

„Alles wird gut", hauchte er ihr ins Ohr. „Ich weiß, dass alles momentan etwas viel für dich ist. Aber wir werden es zusammen durchstehen." Ein Stöhnen unterbrach seine beruhigenden Worte, als Lissa ihm mit Gewalt auf den Fuß trat.

Die unterdrückte Wut der vergangenen Monate, ans Tageslicht gezerrt durch den Tod ihres Vaters und den Verrat von Donn, wütete gegen jeden, der ihr in die Quere kam. Das würde wohl noch einige Tage so weitergehen.

Dem Tode zu naheWo Geschichten leben. Entdecke jetzt