Ritual

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Cassandra zupfte das Kleid zurecht, das Lissa trug. Blutrot, aus schwerem Samt gefertigt, ging es ihr bis zu den Knöcheln. Lilith fummelte an ihren Haaren herum, die die Dämonin für die Zeremonie hochgesteckt hatte. „Du siehst umwerfend aus", versicherten ihr beide Frauen wie aus einem Munde.

„Ich glaube, es ist heute nicht so wichtig, wie ich aussehe. Eher, dass bei der Beschwörung nichts schiefgeht." Lissa drehte sich einmal vor dem gusseisernen Spiegel, von dessen Rand die schwarze Farbe abblätterte. Es war ihr ein Rätsel, wie die Dämonen dieses überdimensionale Teil durch die kleine Tür der halb verfallenen Friedhofskapelle nach drinnen geschafft hatten.

„Es wird alles nach Plan verlaufen. Du erhältst heute deine Unsterblichkeit, nimmst damit endgültig den dir vorgesehenen Platz an Donns Seite ein." Lilith zog eine Strähne aus der hochgesteckten Frisur, sodass die Haare vor dem Ohr hingen.

„Perfekt." Cassandra nickte zustimmend. „Jetzt sollten wir aber zu ihnen gehen. Wenn der Mond den höchsten Punkt erreicht, sind die Beschwörungen am effektivsten. So steht es in den Aufzeichnungen meiner Mutter beschrieben."

„Eine mächtige Hexe, die vielen unserer Errungenschaften den Weg bereitet hat." Lilith drückte die Schulter der Freundin. „Sie wäre sehr stolz, wenn sie erfuhr, dass du den Sohn einer anderen Hexe heiratest. Ich freu mich schon auf eure Hochzeit. Lissa und ich dürfen doch deine Brautjungfern sein, oder?", bettelte sie.

„Nur, wenn Lissa und ich bei deiner Hochzeit die Brautjungfern sind."

„Aswa hat mich noch nicht gefragt." Die schlanke Blondine senkte errötend den Blick. „Aber ich glaube, er hat Andhaka nach Tipps gefragt."

Das hatte er tatsächlich. Lissa unterdrückte ein Grinsen. Durch Zufall hatte sie das Gespräch zwischen den zwei Dämonen angehört. Es würde nicht mehr lange dauern und die zweite ihrer Freundinnen trug einen Ring am Finger. Da die zwei Frauen weiter über einen baldigen Antrag philosophierten, schritt sie allein auf die Tür zu. Wie von Geisterhand schwang sie vor ihr auf, enthüllte den Platz, auf dem einige Männer und Frauen in schwarzen Kutten gekleidet auf sie warteten. Alle trugen sie Fackeln. Die beiden größten Dämonen wiesen Lissa mit einer Handbewegung an, in die Mitte der Wartenden zu treten. Kaum hatte sie ihren Platz eingenommen, kam Bewegung in die Gruppe. Ein leises Lied erklang. In einer fremden Sprache von rauen, heiseren Stimmen gesungen. Ein Kribbeln zog über ihre Haut. Nicht unangenehm, wie sie erwartet hatte. Voller Vorfreude ließ sie sich zum Hain führen, auf dem Hadal inmitten der aufrecht stehenden Felsblöcke wartete.

Er schlug die Kutte zurück. Statt seiner dunklen Haare erblickte sie eine haarlose blutrote Kopfhaut. Zwei Hörner wuchsen ihm seitlich an der Stirn. Je näher sie zu ihm gebracht wurde, desto mehr Details erkannte sie. Die goldgelben Iriden mit ihren schlitzförmigen Pupillen. Filigrane Symbole, die jeden Millimeter seiner sichtbaren Haut bedeckten. Der Zug aus Dämonen hielt vor ihm, trat ehrfurchtsvoll zur Seite. Sie schluckte ihre Nervosität runter. Jetzt gab es keinen Weg mehr zurück.

„Lissa, bist du bereit, deinen Platz auf der dunklen Seite einzunehmen?" Seine tiefe Stimme hallte über die Lichtung. Auf ihr nicken hin fuhr er fort. „Dann sei es so." Mehrstimmiger Gesang erhob sich hinter ihnen. Weitere Diener des Höllenfürsten traten aus den Schatten der Bäume und stellten sich im Kreis um sie herum auf.

Hadal holte ein Buch unter seinem Umhang hervor. Fremde Worte drangen an ihre Ohren, durchdrangen ihren Körper. Das Kribbeln wuchs stetig mit der Lautstärke des Lieds und der Beschwörungen an, bis sie das Gefühl hatte, dass Flammen auf ihrer Haut tanzten. Die Konturen verschwammen vor ihren Augen, das Blut rauschte in ihren Ohren. Auf ein Winken Hadals hin stürmten einige Dämoninnen vor, schnitten und rissen Lissa die Kleidung vom Leib. Der Boden schien unter ihren Füßen zu beben.

Immer lauter, immer schneller wurde der Gesang. Sie schwankte im Takt dazu auf ihren Beinen, von unsichtbaren Fäden aufrecht gehalten. Wärme hüllte sie ein, ließ keinen Windhauch an ihre glühende Haut. Lissa schaute an sich runter. Mit Mühe erkannte sie, wie Linien und Kreise auf ihren Armen und ihrer Brust aufleuchteten, wie Schlangen darüber fuhren oder sich immer schneller drehten. Hadal trat vor, küsste sie auf die Stirn. Sie roch den Schwefel, der ihn umgab, doch zum ersten Mal in ihrem Leben erschien ihr der Geruch fast lieblich. Sie atmete tief ein.

Auf einen Schlag verstummten sämtliche Geräusche um sie herum. Lissas Augenlider wurden schwer, alle Kraft strömte aus ihrem Körper und sie sackte ins kühle Gras, das sanft ihre erhitzte Haut streichelte, bevor Dunkelheit sie verschluckte.

Dem Tode zu naheWo Geschichten leben. Entdecke jetzt