Chatroom

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Seine Oma war eine Hexe? Der nahm sie doch auf den Arm! Andererseits kannte sie den Begriff auch für Frauen, die sich mit Pflanzen und spezifisch mit Heilpflanzen auskannten. Von daher ergab es wieder Sinn. Sie genoss die Ungezwungenheit des Gesprächs, seiner Anwesenheit viel zu sehr, um seine Aussagen in Frage zu stellen.

„Was machst du heute Abend noch?", fragte er sie unverwandt.

„Ich muss noch für das College lernen", erwiderte sie achselzuckend. Die übliche Vorgehensweise, seitdem sie für Hadal arbeitete. Entweder war sie im Büro oder studierte sie brav auf ihrem Zimmer. Hatte sie früher schon relativ zurückgezogen gelebt, beschränkten sich ihre sozialen Kontakte nun völlig auf die Arbeit.

„Schade." Er setzte sich neben sie auf die Bank, verschränkte die Hände im Nacken. Eine Weile schwieg er. „Du machst das alles für deine Eltern, habe ich gehört." Lissa schluckte schwer. Sie hatte einzig Cassandra davon erzählt, mit der Bitte, mit niemandem über die Angelegenheit zu sprechen. Es störte sie weniger, dass Andha es wusste. Eher, dass ihre Freundin überhaupt mit jemand darüber gesprochen hatte.

„Ja", erwiderte sie leise. Sie zog die Knie an, stellte die Füße auf das verwitterte Holz.

„Ich habe meine Eltern nie gekannt", entgegnete er genauso leise. Traurigkeit schwang in seiner Stimme mit. Abrupt wandte sie sich ihm zu, legte eine Hand an seine Wange. Glatt, warm, fast schon heiß.

„Hast du Fieber?" Sie tastete hastig seine Stirn ab, die ebenso glühte.

„Nein", lachte er. „Das ist nur das Feuer, das in mir brennt. Mir geht es gut, wirklich." Er strich Lissa schmunzelnd eine Strähne hinter das Ohr. „So wie du für deine Familie und Freunde brennst. Ich finde es toll, wie du dich um sie sorgst. Dein aufopferungsvolles Verhalten ist selten und bewundernswert." Sie errötete, ließ die Haare ins Gesicht fallen.

„Danke. Das ist lieb von dir." Sie biss sich auf die Lippe. Sollte sie ihn fragen, was mit seinen Eltern passiert war? Nein, das war zu unhöflich. So eine Aktion würde eher der Sohn ihres Chefs bringen, dachte sie bitter. „Ich würde viel lieber mit dir zusammenarbeiten als mit Donn."

„Das kann ich mir vorstellen. Mit ihm hast du es sicher nicht leicht." Es raschelte hinter ihnen. Andhaka drehte sich ruckartig um. Die Augenbrauen zusammengezogen starrte er hinauf in die Baumkronen, die sich in bunten Herbstfarben zeigten. Der Himmel färbte sich ebenfalls langsam dunkel. „Komm, lass uns zurückgehen. Ich halte dich schon zu lange vom Lernen ab. Das ist nicht nett von mir."

„Schon okay. Ich bin eh eine der Besten." Ein Rauschen, wie von kräftigen Flügelschlägen, ließ sie zusammenfahren. Dann schüttelte sie den Kopf. Vielleicht ein Uhu, der in einem der Bäume hauste und zu früh aufgewacht war. „Allerdings bekomme ich Hunger und meine Mutter macht sich bestimmt Sorgen, wenn ich erst spät zu Hause auftauche." Sie rieb sich über die Arme. „Abgesehen davon wird es ein wenig frisch."

„Dann lass uns mal von hier verschwinden." Der Mann warf einen Blick auf eine Rotbuche, dann legte er sanft seinen Arm um Lissa und dirigierte sie zurück zum belebteren Parkbereich, ein spitzbübisches Lächeln auf den Lippen. Das Mädchen verstand, weshalb Cassandra sich zu ihm hingezogen fühlte. Er sah ansprechend aus und war immer höflich und zuvorkommend, im Gegensatz zu jemand anders.

„Weshalb hast du mich vorhin gefragt, was ich heute noch vorhabe?" Sie stoppte, lehnte sich vertrauensvoll bei ihm an.

„Weil ich mich gewundert habe, dass ich dich noch nie abends in der Teufelshöhle gesehen habe." Er sah über seine Schulter, betrachtete mit harter Miene die Richtung, aus der sie kamen.

„Teufelshöhle? Bei euch hat alles irgendwie mit Dämonen und dem Teufel zu tun, oder?" Lissa fing an zu kichern. Zu lächerlich war der Tick Hadals, mit dem er seine Angestellten konfrontierte.

„Der Chef will es so." Andha wandte sich ihr wieder zu, die Gesichtszüge weicher als zuvor. „Ich würde mich jedenfalls freuen, wenn du uns dort mal Gesellschaft leistest. Das ist unser Chatroom, zu dem nur Mitarbeiter Zugang haben." Er beugte sich zu ihr vor, sein Atem streifte ihr Ohr. „Ich würde dir auch erklären, wie du gewisse Nervensägen blockieren kannst", wisperte er ihr zu.

„Hört sich gut an." Sie sog den herben Geruch seines Aftershaves ein, schloss einen Moment die Augen und genoss seine beruhigende Nähe. Ein tiefer Schrei, voller Empörung, zerriss die Stille. Verwirrt schaute sie sich um, wie die übrigen Parkbesucher. „Wenn ich Zeit habe, schaue ich bestimmt mal vorbei. Aber nicht heute." Schaudernd dachte sie an die Unterlagen, die auf ihrem Schreibtisch auf sie warteten. Doch im Chatroom abzuhängen, statt zu lernen, kam für sie nicht in Frage. Das College ging vor, wollte sie später einmal vernünftig für ihre Eltern sorgen und ihnen alle Ausgaben zurückzahlen.

Dem Tode zu naheWo Geschichten leben. Entdecke jetzt