Lissa wachte früh am Morgen auf. Das Licht schien durch die riesige Fensterfläche, weckte sie sanft. Gähnend streckte sie sich aus, berührte das Kopfteil des Bettes und erstarrte. Wo zur Hölle war sie? Nicht in ihrem eigenen Apartment. Sie schloss die Augen, atmete tief durch. Wenn der Männerarm, der sich wie eine Würgeschlange um ihren Körper wand, nicht als Hinweis ausreichte, dann die Erinnerung an den vergangenen Abend.
Donn.
Hatte er es doch schamlos ausgenutzt, dass sie auf seinem Schoß sitzend eingeschlafen war. Wieso überraschte es sie nicht? Schnell tastete sie ihren Körper unter der Decke ab und atmete erleichtert auf. Ihr Kollege hatte sie nicht entkleidet. Eine Tat, die für ihn sprach. Lissa ließ ihre Gedanken zum ersten Clubabend ein seiner Gesellschaft schweifen. Wie er sie fast schon wie Freiwild behandelt hatte, das nur darauf wartete, mit ihm in die Kiste zu springen. Doch seitdem hatte er sich verändert. Fürsorglicher, zuvorkommender. Wenn es darum ging, führte sie den Auftrag Hadals im vollen Umfang aus. Auch Donns Arbeitsmoral schien sich verbessert zu haben, wie Cassandra ihr gern erzählte. Die junge Frau redete schon lange nicht mehr abfällig über den Sohn ihres Chefs, so wie in der Anfangszeit. Nur Andhaka war noch genau wie früher. Brummig, wenn er jemanden nicht leiden konnte, höflich und zuvorkommend zu seinen Lieblingen, zu denen Lissa gehörte.
„Guten Morgen, Engel." Donn zog sie noch näher an seine Brust, hauchte ihr einen Kuss auf den Nacken. Eine Gänsehaut breitete sich sofort auf ihrem Körper aus. „Ich habe nicht übel Lust, meinen Vater anzurufen und ihm mitzuteilen, dass wir uns heute freinehmen."
„Das können wir doch nicht schon wieder machen!" Entrüstet schnaubte Lissa. Hadal zeigte sich, seit er von der Erkrankung ihres Vaters wusste, sehr verständnisvoll. Etwas, das Donn zu gern ausnutzte. „Komm, lass mich los. Dann kann ich in meiner Wohnung duschen und mich für die Arbeit fertigmachen."
„Du könntest auch hier duschen", brummte er ihr ins Ohr, erntete dafür einen Ellenbogen in seinen Bauch. Statt dass er zusammenzuckte, lachte er nur. „Wusste ich es doch. Wie gut, dass ich meine Bauchmuskeln rechtzeitig angespannt habe. Willst du sie mal anpassen? Ich kann dir gern mein Sixpack zeigen." Jetzt fing der damit wieder an. Lissa schüttelte seinen Arm ab und sprang aus dem Bett. Wo waren nur ihre verflixten Schuhe? Da! Beim Sofa. Sie packte sie und lief zur Tür.
„Wirklich schade, dass du es jedes Mal kaputtmachen musst." Schnell verließ sie das Penthouse, ohne Donns Antwort abzuwarten. In ihrem eigenen Apartment angekommen, stieg sie noch immer kopfschüttelnd unter die Dusche. Wieso zerstörte er jeden schönen Moment? Ihre Mutter würde jetzt sagen, dass er Angst davor hat, sich seine Gefühle einzugestehen. „Dafür muss er erst einmal Gefühle haben, dieser Eisklotz", brummte Lissa. Sie war sich bewusst, dass sie ihm womöglich Unrecht tat. Zu anders war sein Verhalten, wobei sie wieder am Anfang ankam.
Nach der Dusche lief sie nur mit einem Badetuch bekleidet zu ihrem Kleiderschrank, um sich bürotaugliche Kleidung herauszusuchen. Das Badelaken ließ sie achtlos auf den Boden fallen. Hinter ihrem Rücken vernahm sie ein Räuspern. Blitzartig drehte sie sich um, entdeckte Donn, der sich mit dem Gesicht zur gegenüberliegenden Wand wandte. Seine Ohren röteten sich, verrieten ihr, dass er mehr gesehen hatte, als ihr lieb war. Sich schluckte, kämpfte gegen den Kloß im Hals an. Das hatte ihr gerade noch gefehlt!
„Ich gehe dann mal in den Wohnbereich." Donn fand als Erster seine Stimme wieder. „Wenn du möchtest, ich würde dich gern zum Frühstück begleiten." Er räusperte sich kurz, verließ dann fast fluchtartig ihr Schlafzimmer, eine verwirrte Lissa zurücklassend. Wenig später suchten sie sich beim reichhaltigen Frühstücksbuffet einige Leckereien aus. Ihr Kollege schnappte sich das letzte Schokocroissant und sie unterdrückte nur mit Mühe ein Seufzen. Er aß diese noch lieber als sie selbst. Enttäuscht nahm sie sich zum Ausgleich ein süßes Brötchen, das zwar fluffig war und einen unwiderstehlichen Geruch verströmte, es dennoch nicht mit dem Croissant aufnahm. An ihrem Stammtisch angekommen hielt sie Ausschau nach Andha und Cassandra. Von beiden fehlte jede Spur. Das bedeutete wohl zu allem Überfluss, dass sie mit Donn allein frühstückte. Missmutig halbierte sie das Brötchen, um es mit Butter zu beschmieren.
„Gib das mal mir." Ihr Kollege zog ihr den Teller weg, schob dafür seinen mit dem Schokocroissant vor sie. „Nimm es ruhig an. Ich weiß doch, wie gern du es isst." Ungläubig sah sie zu ihm auf. Was war nur in ihn gefahren? Er teilte doch sonst nicht. Geschweige denn, dass er jemandem sein Lieblingsfrühstück freiwillig überließ.
Taten oder Worte.
Was hatte ihre Großmutter immer darüber gesagt? Erzählen konnte man viel, doch einzig die Taten zeigten, wie ehrlich es jemand meinte.
War das seine Art der Wiedergutmachung? Wenn ja, damit konnte sie leben. Sie biss genüsslich vom Croissant ab, beobachtete, wie Donn sich fast schon widerwillig das Brötchen bestrich. Sie nahm ihm das Messer ab, teilte das Schokocroissant in zwei Hälften und gab ihm eine davon. Ihre Blicke trafen sich, ein Lächeln huschte über Donns Gesicht. Er beugte sich zu ihr rüber, hauchte ihr einen Kuss auf die Wange.
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Dem Tode zu nahe
ParanormalEin Mädchen - ein Job. Das Unternehmen? Rätselhaft bis skurril. Die Kollegen? Wie den Covern von Modezeitschriften entsprungen. Der Chef? Zwischen unheimlich und charmant. Der direkte Kollege ein Arsch und obendrein Sohn des Chefs. Was kann da schon...