Heldentaten

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Lissa blätterte in einem Buch herum, das Andhaka ihr mitgebracht hatte, nachdem sie sich am Vortag den Fuß verstaucht hatte. Irgendwer hatte ein paar kleine Buntstifte im Gang verstreut und sie hatte diese in ihrer Eile übersehen.

Etwas nagte an ihr. Die Stifte hatten nicht zufällig auf dem Boden gelegen. Genau vor ihrer Bürotür. Sie ballte die Fäuste. Da steckte doch wieder Kasdeya oder eines ihrer Schoßhündchen dahinter. Obwohl, so wie die sich immer alle räkelten, waren es eher Kätzchen. Mit ungemein scharfen Krallen, die sie zu jeder Gelegenheit einsetzten. Wieso hatte Hadal sie nur hergeholt? Die Gruppe verursachte nichts als Ärger und ihre Kollegen stritten sich immer häufiger mit ihnen. Wenn der Boss sie nicht bald wegschickte, kam es zur Meuterei seiner eigenen Mitarbeiter.

Lissa seufzte leise und starrte auf die aufgeschlagene Buchseite. Das Buch handelte von Dämonen und dem Teufel, wie sie das Gleichgewicht auf der Erde hielten, damit die Engel den Planeten nicht ins Chaos stürzten. Amüsante Kurzgeschichten, die sie immer öfter Partei ergreifen ließen. Für die eigentlichen Bösen, wenn man der Bibel Glauben schenkte. Doch sie brachten der Schabernack und das verrückte Auftreten der Wesen aus der Hölle zum Schmunzeln. Der Unfug, den sie trieben, erinnerte sie stark an ihre Freunde und Kollegen. Selbst Donn erkannte sie in einem wieder. Der Tod, der dafür Sorge trug, dass es nicht zu einer Überbevölkerung und einem vermehrten Ausbruch von ansteckenden Krankheiten kam, was die Gegenpartei gerne mal heraufbeschwor.

Es klopfte an der Tür. „Lissa?" Deutlich erkannte sie die Stimme Andhakas. Ein Lächeln schlich sich auf ihre Lippen. Er kümmerte sich rührend um sie, brachte ihr die Mahlzeiten oder kochte zwischendurch Tee. Sein Job ließ ihm dafür mehr Zeit. Donn dagegen war im Büro eingespannt. Ein Auftrag seines Vaters, den er schnell zu erledigen hatte. Doch am Abend, so hatte er es versprochen, wollte er ihr Gesellschaft leisten. Falls nicht wieder etwas dazwischenkam.

Sie seufzte abermals. „Kannst reinkommen. Ich faulenze auf dem Sofa."

Andhaka stieß die Tür auf. Elegant balancierte er auf einer seiner riesigen Pranken ein Tablett, das einen köstlichen Geruch verströmte. „Ein großes Stück Lasagne und ein ofenwarmer Pustekuchen. Hat Flaga mir für dich mitgegeben. Manchmal glaube ich, sie mag dich lieber als uns." Er stellte das Essen vor ihr auf dem Couchtisch ab und schmunzelte, als sie sich wie eine ausgehungerte Löwin auf das Nudelgericht stürzte.

„Sie mag mich auch lieber", stieß Lissa zwischen zwei Bissen hervor. „Ich stänkere nie rum, so wie ihr."

„Autsch, du verletzt meine Gefühle." Gespielt leidend fasste er sich an die Brust. „Als ob ich jemals herumstänkern würde."

„Och, du nimmst dir nichts mit den Dämonen aus dem Buch, das du mir ausgeliehen hast." Sie hob es hoch und wedelte damit vor Andhakas Nase herum.

Der Mann grinste nur breit. „Vielleicht basieren die Geschichten ja auf den Leuten, die in der Firma arbeiten", raunte er. Seine Augen glitzerten schelmisch. „Ob du es glaubst oder nicht, es berichtet von unseren Heldentaten im Kampf gegen die verflixten Luftgestalten und ihrem Methusalem, der mit langem Bart auf einer Wolke sitzt und dank seines fortgeschrittenen Alzheimers nur Mist auf der Erde anrichtet."

„Man könnte fast glauben, du meinst es ernst." Lissa schüttelte schmunzelnd den Kopf und richtete dann ihre Aufmerksamkeit dem Essen zu. „Flaga und ihr Team sind Gold wert." Sie stopfte sich einen neuen Bissen in den Mund, verdrehte dankbar die Augen zum Himmel.

„Wenn du jetzt sagst, es schmeckt himmlisch, dann nehme ich es dir wieder weg." Der Mann verschränkte die Arme und schob wie ein kleines Kind die Unterlippe vor.

„Keine Angst, es schmeckt höllisch gut", zog sie ihn auf.

Er nickte nur wohlwollend und wies auf das Buch. „Unsere Heldentaten gefallen dir also. Bist schon ziemlich weit. Hatte ich nicht erwartet. Manche Namen und Begriffe können einen beim Lesen ziemlich ins Straucheln bringen."

„Das geht eigentlich. Bin seltsame Namen ja von euch gewöhnt. Hier heißt doch kaum jemand wie die gewöhnlichen Sterblichen, die durch die Stadt irren, immer auf der Suche nach ein wenig Glück. Wie macht sich Donn eigentlich, so ganz allein im Büro?"

„Vermisst du ihn etwa? Ist meine Anwesenheit dir nicht genug?" Erneut zog er einen Flunsch, doch grinste gleich darauf wieder. „Er ist ohne dich ziemlich aufgeschmissen. Cassandra hat mittlerweile seinem Flehen nachgegeben und unterstützt ihn. Sie kennt sich ja ebenfalls mit Grafikdesign aus." Andhaka seufzte. „Dann muss ich ihr nachher wohl wieder die verspannten Schultern und den schmerzenden Rücken massieren."

„Als ob dich das stören würde." Lissa schmunzelte. Seitdem Andha und Cassandra ein Paar waren, verbrachten die zwei einen Großteil der Nächte zusammen. Ausnahmen nur, wenn einer von ihnen eine Nachtschicht einlegen musste oder die Freundin mal bei ihr übernachtete, wenn sie bis tief in die Nacht über Kasdeya und ihre Spießgesellen geschimpft hatten. „Du könntest ja mal eine ganz besondere Heldentat vollbringen." Sie tippte sich nachdenklich ans Kinn.

„Und die wäre?" Erwartungsvoll sah er sie an.

„Kasdeya und die anderen Idioten zu verscheuchen. Wenn du das schaffst, glaube ich dir sofort, dass du ein Dämon bist."

In seinen Augen blitzte es kurz rot auf. „Dein Wunsch sei mir Befehl."

Dem Tode zu naheWo Geschichten leben. Entdecke jetzt