Augenweide

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Lissa fluchte leise. Ihr Chef hatte sie darum gebeten, bei einem Geschäftsessen anwesend zu sein. Von wegen Bitte. Es hatte wie ein Befehl geklungen, bei dem Widerstand zwecklos war. Wieder stand sie im Raum, in dem sie bereits einige Male übernachtet hatte. Wenn das so weiterging, wäre es sinnvoller, hier gleich einzuziehen. Ersparte sie dem alten Chauffeur die Fahrten zu ihrem Zuhause.

„Wenn ich das anziehe, habe ich doch gleich wieder Donn an mir kleben, der mich überall betatschen will", murrte sie. Helles Lachen erklang hinter ihr. Sie drehte sich mürrisch um, starrte Cassandra mit zusammengezogenen Augenbrauen an.

„Ach komm schon Lissa. So schlimm wird es schon nicht." Die schlanke Frau stand auf, lief zu ihr. Schmunzelnd warf sie einen Blick auf das weinrote Kleid, dass auf dem Bett lag. „Heißer Fummel, den der Chef ausgesucht hat. Teuflisch gut, muss ich schon zugeben." Sie leckte sich spielerisch über die Lippen und zwinkerte der Freundin verschmitzt zu. „Damit kannst du Donn richtig schön die Hölle heiß machen."

„Darauf kann ich verzichten." Lissa raufte sich die Haare. „Warum findest du das eigentlich so witzig? Ich dachte, wir wären uns einig, dass ich möglichst wenig Zeit mit der Nervensäge verbringe. Wieso der Sinneswandel?"

„Früher musste ich immer mitkommen und brav neben Donn sitzen." Cassandra verdrehte die Augen gen Himmel. „Hast du eine Ahnung, wie schwer es mir gefallen ist, ohne ihm ein paar Takte zu erzählen? Du bist da weitaus friedlicher veranlagt. Du schaffst das schon. Außerdem ist der große Meister mit dabei. Dann wird unser lieber Kollege dir nicht direkt die Kleider vom Leib reißen und dich auf dem Tisch ordentlich..."

„Cassandra!" Lissa unterbrach die Freundin wutschnaubend. Hatte die Frau völlig den Verstand verloren? „Ich verstehe ja, dass du dich darüber freust, dass du nicht zum Geschäftsessen musst. Aber ein wenig mehr Mitgefühl hätte ich mir schon von dir gewünscht."

„Reg dich ab. Wie gesagt, du schaffst das." Cassandra tätschelte Lissa die Schulter, wandte sich dann zur Tür. „Kommst du danach noch in den Nobiskrug?"

„Wenn ich es nicht verhindern kann, dann ja", murmelte diese. Sie sah der Freundin stirnrunzelnd hinterher, als diese die Zimmertür hinter sich ins Schloss zog. „Danke aber auch." Sie lief ins Bad, um sich aufzufrischen.

„Miss, ich soll sie zum Herrn und seinen Sohn fahren. Sie sind vorgefahren, um eine dringende Angelegenheit zu besprechen." Der alte Mann hielt ihr die Wagentür auf und neigte den Kopf respektvoll, als sie einstieg. Obwohl er sie fast täglich fuhr, hatte er ihr noch nicht seinen Namen genannt oder sich dazu überreden lassen, sie zu duzen. Stattdessen behandelte er sie zuvorkommend, wie es nur einer wichtigen Persönlichkeit zustand. Lissa starrte aus dem Seitenfenster. Zu irreal kamen ihr Tage wie diese vor. Wie lange war es her, dass sie nur aufs College gegangen war, als ein Mädchen unter vielen? Sie schloss die Augen, lehnte die Stirn an die kühle Scheibe.

„Wir sind da." Verwirrt riss sie den Kopf hoch, sah aus dem Fenster auf den Schriftzug, den Namen des Restaurants, in dem das Treffen stattfand. Wenigstens war es nicht der Nobiskrug, dachte sie. Selbst wenn der Chef sie heute Abend fragen sollte, nach dem Essen noch mit in die Absteige des Teufels zu fahren, sie würde dieses Mal vehement ablehnen. Die Autotür wurde geöffnet, ein kühler Windhauch strich um ihre Arme. Lissa stieg aus, zupfte ihr Kleid zurecht.

„Hallo Süße, ich soll dich reinbringen." Sie hielt in der Bewegung inne. Wieso war ausgerechnet er hier?

„Ich möchte mal wissen, welche Gottheit ich verärgert habe, dass ich mich ständig mit einem von euch herumschlagen muss." Lissa schaute hoch. Chil betrachtete sie nur mit einer hochgezogenen Augenbraue, begleitet von einem dämonischen Grinsen.

„Komm meine Hübsche. Nicht, dass du mir zu einem Eisklotz gefrierst. Obwohl," er leckte sich über die Lippen, „mir fiele da schon etwas ein, um dich wieder aufzuwärmen." Sie boxte ihm in den Bauch, schüttelte gleich darauf die schmerzende Hand. Wieso waren all diese Mistkerle nur so durchtrainiert? Chil packte ihren Arm, zog sie an seine Seite. „Du bist heute eine richtige Augenweide. Nur schade, dass du den Abend mit Donn verbringen wirst. Wie wäre es, wollen wir uns nicht einfach absetzen und uns irgendwo anders amüsieren?"

„Du sollst sie nur reinbringen", knurrte jemand dicht bei ihnen wie Zerberus, der Höllenhund, persönlich. „Du sollst sie nur reinbringen, für den Rest bin ich zuständig." Der Sohn des Chefs schlang seinen Arm um ihre Taille, entriss sie dem Kollegen. „Verzieh dich Chil, bevor ich meine guten Manieren vergesse."

„Wie du meinst." Der Mann verbeugte sich galant, zwinkerte ihr noch einmal zu. „Wenn du doch lieber etwas mit mir unternehmen möchtest, du hast meine Nummer."

„Idiot", zischte Donn, als er Lissa ins Restaurant führte. „Doch in einer Sache gebe ich ihm recht. Du bist eine wahre Augenweide."

Dem Tode zu naheWo Geschichten leben. Entdecke jetzt