Lissa eilte mit Cassandra durch die engen Gassen. Ständig stolperte sie über das unebene Pflaster und verfluchte innerlich den Wunsch der Dämonin, ausgerechnet in dieser Stadt nach einem Brautkleid zu suchen. In einem Land, von dem sie die Sprache der Einwohner nicht verstand. „Wieso ausgerechnet Paris?", murrte sie. „Warum nicht London? Dort hätte ich zumindest die Menschen verstanden."
„Weil Paris die Welthauptstadt der Mode und des guten Geschmacks ist." Cassandra drehte sich im Nieselregen, der sie seit Stunden zu verfolgen schien, im Kreis. Die Arme weit ausgestreckt, ein glückseliges Lächeln auf den Lippen. „Die Stadt der Liebe ist der schönste Ort auf Erden. Zumindest, wenn man von den Hauptstädten ausgeht. Sonst wüsste ich noch ein paar andere nette Plätze. Apropos London. Dort ist das Wetter um diese Jahreszeit auch nicht besser. Eher noch widerlicher."
„Mailand oder Rom wären auch eine Möglichkeit gewesen. Hätten wir wenigstens ein leckeres italienisches Eis essen gehen können." Lissa stellte den Kragen ihrer Jacke hoch. Die Nässe ging ihr durch Mark und Bein. Seit der Wandlung verabscheute sie Regen und Kälte mehr als jemals zuvor in ihrem Leben. Von Hitze bekam sie dagegen nie genug.
„Von Italien sollen wir uns fernhalten, wegen dem Vatikan und so. Zu viele Trottel, die wir für die Seelensuppe mitnehmen könnten. Da würde der Shoppingtrip in Arbeit ausarten. Außerdem," Cassandra knuffte sie in die Seite, „haben sie dort keine Köstlichkeiten, wie wir sie in diesem kleinen Café finden werden." Sie packte Lissa am Arm und zog sie auf die andere Straßenseite.
Eine Stunde später traten sie, gestärkt mit Croissants und heißer Schokolade, wieder nach draußen. Die Abenddämmerung setzte langsam ein. Die Dämonin warf einen Blick auf den Himmel. „Okay, ein Laden noch, dann kehren wir zurück ins Hotel. Versprochen."
„Wir auch Zeit. Meine Füße bringen mich noch um", stöhnte Lissa. „Verflixte Stolpersteine." Sie stützte sich an einer Hauswand ab und schüttelte ein Bein.
„Als ich geboren wurde, gab es dort, wo ich aufwuchs, nicht einmal Straßen. Kopfsteinpflaster war eine Kostbarkeit. Die alten Römer haben übrigens in der Antike schon hervorragende Straßen gebaut."
„Deswegen führen wohl auch alle Straßen nach Rom." Lissa schmunzelte. „Komm, ich habe für heute die Nase voll. Schauen wir mal, ob wir noch schnell ein Kleid für dich finden. Wenn du ein normales Brautkleid benötigtest, wäre es leichter."
„Ich heirate doch nicht in Weiß", gab Cassandra entsetzt zurück. „Das gehört sich nicht für eine Frau meines Standes. Das da drüben wäre schon eher was." Sie wies auf ein Schaufenster, in dem eine elegante Puppe ein blutrotes Cocktailkleid trug, das kaum etwas verhüllte.
„Sicher, dass es dir kurz genug ist? Der Ausschnitt wird auf jeden Fall deinem Geschmack gerecht. Da dürfte es für Andha schwierig werden, dir in die Augen zu schauen und nicht den Blick auf deine Brüste gerichtet zu halten." Lissa konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. Falls ihr zukünftiger Schwiegervater gern in naher Zukunft ein Enkelkind wollte, war dieses Kleid für die Hochzeit seiner Tochter ein sicheres Mittel, seinen Wunsch bald in Erfüllung gehen zu lassen.
„Dann ist sein Blick genau da, wo er sein soll. Muss ich nur sicherstellen, dass seine Hände ebenfalls genau dort sind, wo ich sie haben will. Notfalls lassen wir das Kleid kürzen, dann erledigt sich das Problem von selbst. Hoffentlich ist am Rücken nicht zu viel Stoff. Lass uns reingehen." Cassandra zog Lissa hinter sich her. Nach einigem Anprobieren und einer weiteren halben Stunde, in der sie darauf warteten, dass eine Näherin das Kleid den Wünschen entsprechend kürzte, verließen die zwei Frauen zufrieden das Geschäft und liefen Richtung Hotel.
„Wollen wir dort etwas essen?" Lissa wies mit knurrendem Magen auf ein französisches Restaurant, das einen heimeligen Eindruck machte.
„Wenn die uns dort keine Froschschenkel oder Austern servieren, gerne." Cassandra hakte sich bei ihr unter und zog sie zu dem kleinen Schaukasten, in dem die Karte hing. „Filet Mignon mit Prinzessbohnen an Gratin, oder so." Sie zückte das Portemonnaie, das Hadal ihr prall gefüllt für die Reise mitgegeben hatte. „Wie gut, dass wir das hier haben." Sie wedelte grinsend mit der Geldbörse herum, bevor sie diese erneut in ihrer Tasche verstaute.
„Ich kann auch bezahlen. Mit dem Geld von Donn", fügte sie augenzwinkernd hinzu. Lachend betraten sie das Restaurant und verließen es leicht schwankend drei Stunden später. Der Wein, den sie zum Essen genossen hatten, war ihnen zu Kopf gestiegen. Der Nieselregen hatte endlich aufgehört, als sie ihren Weg zum Hotel kichernd fortsetzten.
Doch etwas störte die Frauen. Lissa hielt abrupt inne, zwang somit Cassandra zum Halt. Wortlos verständigten sie sich. Etwas stimmte hier rein gar nicht. Vorsichtig sahen sie sich um. Keine Anzeichen, dass ihnen jemand auflauerte, außer einem. Es herrschte absolute Windstille.
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Dem Tode zu nahe
ParanormalEin Mädchen - ein Job. Das Unternehmen? Rätselhaft bis skurril. Die Kollegen? Wie den Covern von Modezeitschriften entsprungen. Der Chef? Zwischen unheimlich und charmant. Der direkte Kollege ein Arsch und obendrein Sohn des Chefs. Was kann da schon...