Spiel ohne Grenzen

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„Ich möchte dir ein kleines Spiel vorschlagen." Donn führte sie auf die Lichtung, inmitten der Felsblöcke, auf denen sie nun fremde Symbole im silbernen Schein des Mondes erkannte. „Ein Spiel ohne Grenzen, sozusagen." Er stellte sich hinter Lissa, schlang beide Arme um sie und zog sie an seine Brust. „Finde heute Nacht heraus, wer ich wirklich bin. Dann lasse ich dich gehen."

„Und was, wenn ich es nicht herausfinde?" Es gab einen Haken an der Sache, nur welchen? Sie knabberte an ihrer Lippe.

„Das erfährst du, wenn du versagt hast", hauchte er ihr ins Ohr. Die Wärme, die von ihm ausging, verschwand. Es raschelte, dann das Schlagen von großen Schwingen.

„Na toll, jetzt hat der Idiot einen Uhu aufgeschreckt." Sie drehte sich um, schaute in die Richtung, in die Donn aller Wahrscheinlichkeit nach verschwunden war. Gähnende Leere, ein verlassener Pfad. „Wer soll er schon sein? Er ist der Sohn Hadals. Adoptiert ist er nicht, denn dafür sieht er ihm zu ähnlich." Lissa zuckte mit den Schultern. Der Typ verarschte sie nur wieder. Sie wandte sich den Steinen zu. Ein wenig erinnerten diese sie an die aufrechten Menhire der Druiden. War dies hier eine Art Stonehenge? Hexen oder die in weiße Gewänder gekleideten alten Männer mit langen ergrauten Haaren und ebensolchen Bärten. Wer war für diesen Ort verantwortlich? Was hatte er mit Donn zu tun? Es gab einen Zusammenhang, sonst hätte er sie nicht hierhergeführt.

Ihr Blick fiel auf den Boden. Schmale Pflastersteine waren in ihn eingelassen, schienen ein Muster zu bilden. Neugierig folgte sie der geschwungenen Strecke. Ein Kreis! Rechte Linien führten in zur Kreismitte, nein, an ihr vorbei. Ein Stern mit fünf Zacken. Lissas Augen weiteten sich. Weiße Magie oder schwarze? Ihr Puls schnellte empor, riet ihr zur Flucht. Sie schloss die Lider. Sollte sie abhauen? Doch wie kam sie nach Hause? Auf der Fahrt hierher waren ihnen kaum Fahrzeuge begegnet. Dafür war die Gegend zu verlassen. Wurde sie gemieden? Wenn man davon ausging, dass hier eine Sekte ihr Unwesen trieb, würde sich zumindest kein gläubiger Mensch hier blickenlassen. Deren abenteuerlustige Kinder allerdings schon. Die liebten es zu sehr, sich über die Regeln der Eltern hinwegzusetzen und Warnungen in den Wind zu schlagen. Lissa öffnete die Augen. Nach einem Kinderparadies sah es nicht gerade aus.

Bei den Bäumen rauschte es. Kein Gewässer. Nur wieder Flügelschläge eines großen Vogels. Womöglich der Uhu, den Donn aufgeschreckt hatte. Wind kam auf, wehte vom Waldrand zu ihr hinüber. Sie zog die Lederjacke fester um ihren fröstelnden Körper. Das Spiel missfiel ihr. Gras raschelte, etwas kitzelte die Haut ihres Knöchels, wo die Socke hinuntergerutscht war. Sie bückte sich, wischte ungehalten den Fremdkörper weg. Es pikste sie in den Finger.

„Was soll das denn jetzt wieder." Sie packte das störende Teil, um es weit wegzuwerfen, doch hielt in der Bewegung inne. Eine schwarze Feder, so lang wie ihr Unterarm. Lebte hier ein genmanipulierter Uhu? Welcher Vogel verfügte über solche Monsterfedern? Kopfschüttelnd steckte sie die Vogelfeder in eine Innentasche der Lederjacke. Sie durfte später nur nicht vergessen, diese herauszuholen, wenn sie Donn die Jacke zurückgab. Ach ja, da war ja etwas. Vielleicht halfen die Zeichen ihr, herauszufinden, was dies für ein Ort war und welche Bedeutung er für ihren Kollegen hatte. Sie trat an einen der Steine heran, fuhr mit den Fingerspitzen die seltsamen Symbole nach. Striche, in die Oberfläche geritzt, die wie Buchstaben eines fremden Alphabets anmuteten. Waren das Runen? Hatten nicht die Druiden diese verwendet? Dann also doch weiße Magie.

Andererseits waren da die Ticks Hadals mit seiner Vorliebe für Rot und Schwarz. Farben, die sie mit dem Teufel und der Hölle assoziierte. Eine Kombination, die im Nobiskrug zur Entfaltung kam. Im Club, wo seine Mitarbeiter wie Dämonen geschminkt feierten oder sich unter die normalen Besucher mischten. Lissa wanderte umher, wog die Möglichkeiten sorgfältig ab. Jedes Mal, wenn sie glaubte, die Antwort gefunden zu haben, hämmerte ein Zwerg in ihrem Kopf herum und verwarf sie die Idee wieder. Endlich sackte sie müde ins Gras, zog die Beine an, schlang die Arme um ihre Knie und berührte diese mit ihrer Stirn.

„Hallo Lissa." Die dunkle Stimme Hadals weckte sie. Verwirrt schaute sie zu ihm hoch. Hinter ihm färbte sich der Himmel hell. „Ich habe gehört, dass mein Sohn dich zu einem Spiel ohne Grenzen eingeladen hat. Hast du die Antwort gefunden?" Sein lauernder Blick verursachte ihr Unbehagen. Die Härchen in ihrem Nacken stellten sich auf. Vorsichtig rutschte sie auf dem Hintern von ihm weg. Hinter ihr raschelte etwas, Schritte näherten sich.

„Da bin ich auch gespannt." Donn gesellte sich neben seinen Vater, das gleiche Lauern in seinen Augen.

„Du betest den Teufel an", sprudelte es aus ihr heraus. Sie schlug die Hand vor den Mund. Was für eine dämliche Antwort in der Gegenwart des mächtigsten Mannes ihrer Stadt.

„Das wüsste ich aber", lachte der Ältere. „Du hast verloren Lissa. Bist du bereit für das, was auf dich wartet?" Stumm starrte sie ihn an. Ihre Brust hob sich unregelmäßig. Was hatte dies alles zu bedeuten?

Dem Tode zu naheWo Geschichten leben. Entdecke jetzt