„Vater, bitte, lass mich sie halten." Nur undeutlich drang die Stimme zu ihr durch. Lissa drehte ächzend den Kopf. Wo war er?
„Blieb liegen. Ich kümmere mich um dich." Donn beugte sich über sie, hob sie vorsichtig auf seinen Schoß. Erschöpft lehnte sie sich an seine Schulter. Jede Faser ihres Körpers schmerzte, brannte, schien sich von innen heraus zu zersetzen.
„So hätte sie nicht reagieren sollen", murmelte Hadal. „Cassandra, hast du deine Mutter jemals etwas über Probleme bei Beschwörungen sagen hören?"
„Nein, Vater. Warte, doch." Die Dämonin überlegte einen Moment. „Wenn jemand ein Kreuz trug oder mit Weihwasser gekennzeichnet war, gab es Abwehrreaktionen."
„Das erklärt einiges. Gib mir mein Pentagramm." Der Teufel legte Lissa einen kühlenden Gegenstand auf die Stirn. „Gleich wird es besser, Kleines. Da haben die Mistkerle ganze Arbeit geleistet."
„Was meinst du, Vater?" Donn streichelte ihr über die Wange.
„Es scheint so, dass unsere speziellen Freunde aus dem Wolkenreich Lissa für sich reserviert hatten. Das würde auch erklären, wieso sie dir damals schon anders als andere Menschenkinder vorgekommen ist." Hadal schnaubte entnervt. „Sie wollten Lissa damals vermutlich schon zu sich holen und du solltest ihre Seele für den alten Trottel da oben ernten. Wer weiß, was er mit ihr vorhatte."
Lissa hörte dem Gespräch mit geschlossenen Augen zu. War etwa die gute Seite dafür verantwortlich, dass sie als Baby fast am Dreitagefieber gestorben war? Nur wegen ihrer Seele? Ein schrecklicher Gedanke kam ihr. Hatte Ana aus einem ähnlichen Grund in Lebensgefahr geschwebt? Sie stöhnte, versuchte, sich aufzurichten.
„Bleib liegen", brummte Donn erneut. Ein kalter Tropfen fiel auf ihr Gesicht, rollte ihre Wange hinunter.
„Warum weinst du?", flüsterte sie. „Mir geht es gut."
„Ich weine nicht", erwiderte ihr Freund. „Es fängt an zu regnen. Wir schaffen dich besser nach Hause, damit du dich im Warmen ausruhen kannst."
„Das ist kein Regen", rief Hadal heiser. „Kehrt sofort in eure Wohnungen zurück. Das sind Himmelstränen." Kurz erfüllte ein Rauschen die Luft. Der Boden bebte und der Geruch von Schwefel schwappte wie eine Flutwelle über sie. Der Teufel hatte eine Abkürzung nach Hause genommen. Ein allgemeiner Aufruhr brach unter seiner Dienerschar aus. Die Dämonen riefen einander laut Warnungen zu, entfernten sich dann hastig von der Lichtung.
Lissa spürte einen Lufthauch. Kräftige Flügelschläge brachten die Luft zum Singen. Weitere Tropfen fielen auf ihre Haut, hinterließen ein brennendes Gefühl. Doch nicht von Hitze, sondern von Eiseskälte. „Wieso tut der Regen so weh?"
„Das ist kein gewöhnlicher Regen. Es sind Himmelstränen. Die da oben scheinen kapiert zu haben, dass du endgültig für sie verloren bist." Donn flog schneller, schirmte Lissa mit seinem Körper von den Tropfen ab. „Zum Glück können sie diesen Mist nicht gezielt gegen uns einsetzen. Wie Weihwasser brennt es auf unserer Haut, lähmt uns, wenn wir der Nässe zu lange ausgesetzt sind. Verdammt." Ruckartig sackten sie einige Meter ab. „Das wird so nichts", keuchte Donn, seine Stimme klang schmerzverzerrt. „Wir müssen einen Umweg nehmen." Im Sturzflug raste er nach unten. Gleich darauf verschluckte Dunkelheit sie.
Lissa schlug die Augen auf. Wie erwartet begrüßten Hitze und Schwefel sie. „Ein Umweg über die Hölle also." Sie wandte sich zu ihrem Freund um und erschrak. Donn kniete auf dem schroffen Boden. Sein Körper krampfte unkontrollierbar. Seine sonst dichten samtigen Federn zerzaust wie nach einem Wirbelsturm. Ein leises Stöhnen kam über seine Lippen. Er litt, ihretwegen. Sie presste die Kiefer aufeinander. Wenn sie den verflixten Greis mit seinem Heiligenschein erwischte, würde sie ihn mit dem Dreizack ihres Schwiegervaters in die Weichteile piksen.
Die eigenen Schmerzen ignorierend half sie ihrem Freund dabei, sich aufzurichten. Aus einem Seitengang stürmte Andhaka zu ihr. Er schlang einen Arm um Donn und führte ihn Richtung Thronsaal.
„Dein Verlust muss schwer für sie sein", murmelte Aswa hinter ihr. Sie drehte sich stirnrunzelnd zu ihm um. Er bemerkte ihren fragenden Blick und teilte ihr seine Überlegungen mit. „Himmelstränen werden nur für besonders reine Seelen vergossen, die sich uns reinen Herzens anschließen. Sie haben dich endgültig verloren, doch werden sie es nicht akzeptieren. Sie werden glauben, dass sie dich zu einem Umdenken überreden können. Dass du dich von uns abwendest und in ihre Reihen aufsteigst. Sie werden versuchen, dich zu holen, doch wir werden es verhindern. Wir müssen uns auf einen Kampf gefasst machen, so wie unser Herr es vorhergesehen hat."
DU LIEST GERADE
Dem Tode zu nahe
ParanormalEin Mädchen - ein Job. Das Unternehmen? Rätselhaft bis skurril. Die Kollegen? Wie den Covern von Modezeitschriften entsprungen. Der Chef? Zwischen unheimlich und charmant. Der direkte Kollege ein Arsch und obendrein Sohn des Chefs. Was kann da schon...