Lissa schaute sich kopfschüttelnd um. Donn und seine idiotischen Ideen. Wenn er von ihr erwartete, dass sie das hier überlebte, dann täuschte er sich. Sie warf ihm einen Blick zu, der selbst Steine erweichen konnte, doch sein eisiges Herz erwärmte sie anscheinend nicht, denn er grinste nur spöttisch.
„Willkommen auf dem Spielplatz." Er drehte sich einmal im Kreis. „Ist es nicht wundervoll hier?"
Lissa knurrte leise. „Willst du mich auf den Arm nehmen?" Sie wies auf die Trainingsgeräte, die aus Kung Fu Panda zu stammen schienen. Rollen, über die man laufen musste. Pendel zum Ausweichen. Hölzerne Kung-Fu-Dummies, die einem den Schädel einschlugen, wenn man nicht schnell genug reagierte, nachdem man ihnen einen Schlag versetzt hatte. Dazu noch einige andere Aufbauten, bei denen man entweder Gefahr lief, ein Körperteil zu verlieren oder sich zumindest etwas brach. Kurz gesagt, allesamt Foltergeräte. „Ich bin raus hier." Sie wandte sich dem Ausgang zu.
„Oh nein, meine Liebe. Meinetwegen schaust du heute nur zu, wie Cassandra und ich die Hindernisse bewältigen. Doch bald wirst du den Parkour ebenfalls überqueren. Du lernst hier, Geschwindigkeit richtig einzuschätzen, geschickt einem Angriff auszuweichen und unter schwierigen Umständen dein Gleichgewicht zu halten."
„Du hast einen Vogel. Selbst mit Jahren an Training überlebe ich diese Hölle nicht." Sie stiefelte zur großen Flügeltür, um den sogenannten Spielplatz ein für alle Mal hinter sich zu lassen. Mitten im Lauf wurde sie gestoppt, als sie gegen einen riesigen Eisklotz prallte.
„Die Kleine wollte wohl abhauen." Selbst Aswas Stimme war eisig. Mühelos warf er Lissa über seine Schulter und lief mit ihr zurück zu Donn. „Du solltest ihr diese Sperenzchen nicht durchgehen lassen. Sie mag zwar langlebiger als Menschen sein, doch bedeutet das nicht, dass sie unsterblich ist."
„Dessen bin ich mir bewusst, nur bringt es nichts, sie zu zwingen, wenn sie sich der Aufgabe noch nicht stellen mag." Der Sohn des Chefs zog sein Shirt aus und dehnte seinen Oberkörper. Muskeln, Schlangenlinien, doch keine Schwingen.
Lissa runzelte die Stirn. Es verwunderte sie, dass man seine Flügel nicht immer sah. Wo versteckten sie sich, wenn er sie nicht ausbreitete?
„Wie ist die Aussicht da oben?" Cassandra lief grinsend an ihr vorbei. „Das selbst Aswa dich jetzt auf Händen trägt ist schon eine Leistung."
Der Riese brummte nur und stellte Lissa zurück auf den Fußboden. Sie warf einen Blick nach hinten zur Tür, doch eine Pranke drückte fest auf ihre Schulter. „Vergiss es, Kleines, du bleibst hier. Du siehst es dir zumindest an und falls du noch einmal versuchst, abzuhauen, jage ich dich persönlich über den Spielplatz. Habe ich mich klar und deutlich ausgedrückt?" Er drehte sie zu sich um und ließ sie los.
„Ja, Herr General." Lissa salutierte, richtete dann ihre Aufmerksamkeit auf Donn und Cassandra, die mit dem Aufwärmen anfingen. Runde um Runde liefen sie um die Folterinstrumente herum, dehnten dann ihre Muskeln. Die Geschwister warfen einander einen Blick zu. Gleichzeitig stürmten sie vor, sprangen gelenkig auf die Rollen und balancierten auf diesen weiter zu den Pendeln, denen sie geschickt auswichen. Die Dummies meisterten sie ebenfalls, ohne getroffen zu werden. Immer weiter sprinteten sie über den Parkour, stellten sich den unterschiedlichen Herausforderungen. Nach Abschluss der Runde joggten sie gemütlich zurück zu Lissa und Aswa, der unbeweglich wie ein Fels hinter ihr stand.
„Siehst du, gar nicht so schlimm", flötete Cassandra, deren Atmung völlig gleichmäßig ging und nichts von der Anstrengung verriet, die hinter ihr lag.
„Du hast gut reden", murrte Lissa. „Seit wie vielen Jahrhunderten machst du das schon?"
„Nicht so lange wie mein Bruder", wich sie der Frage geschickt aus. „Mit etwas Übung wirst du das auch bald hinbekommen. Davon bin ich überzeugt."
„Notfallsscheuchen wir sie über den Parkour." Aswa trat vor, ließ seinen Blick über dieTrainingsgeräte schweifen. Wie Donn zog er sein Shirt aus und warf es achtlosauf den Boden. Ein Muster aus silbernen Linien bedeckten seine Arme und seinenOberkörper. Sie wirkten auf Lissa wie zugefrorene Flüsse. Neugierig sah sie zu,wie er mühelos von einer Trainingsstation zur nächsten schnellte. Wie ein etwasälteres Kind, für das die Spielgeräte auf dem Spielplatz keine Herausforderungmehr bedeuteten.
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Dem Tode zu nahe
ParanormalEin Mädchen - ein Job. Das Unternehmen? Rätselhaft bis skurril. Die Kollegen? Wie den Covern von Modezeitschriften entsprungen. Der Chef? Zwischen unheimlich und charmant. Der direkte Kollege ein Arsch und obendrein Sohn des Chefs. Was kann da schon...