Plastikblume

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„Dann mal auf in den Kampf!" Die Frau schob Lissa vorwärts, bis diese mit der Nasenspitze fast die Bürotür berührte. „Na los, rein mit dir. Normalerweise beißt er nicht. Sollte er doch frech werden, sagst du mir Bescheid. Und denke an unsere Absprache." Das Mädchen drehte sich zu ihrer Begleiterin um, die ihr verschwörerisch zuzwinkerte.

„Ich habe gar kein gutes Gefühl", murmelte sie, wandte sich der Tür zu und starrte misstrauisch auf die Türklinke, als ob diese nur darauf wartete, sich in eine giftige Schlange zu verwandeln und sie zu beißen. Innerlich schimpfte sie mit sich selbst. Ein Hasenfuß war sie. Mit etwas Glück übertrieb Cassandra und war der Sohn Hadals weitaus harmloser, als die Frau ihn darstellte. Sie atmete tief ein, drückte vorsichtig die Klinke runter. Ohne ein Geräusch zu verursachen, öffnete sie die Tür, linste ins Büro. Ein Mann mit tiefschwarzen Haaren, die ihm bis zu den Schultern reichten, saß mit dem Rücken zu ihr vor einem Bildschirm. Sie spähte weiter hinein. Der Raum war ähnlich eingerichtet wie das Geschäftszimmer Hadals. Ein pechschwarzer Teppich, ebenso düstre Schreibtische und an einer Wand ein blutrotes Sofa.

„Geh' endlich." Cassandra verpasste ihr einen Stoß, sodass sie vorwärts stolperte. Die Tür fiel hinter ihr mit einem lauten Klicken ins Schloss. So viel zum Thema, sie wollte nicht auffallen.

„Bist du die Kleine, die mein Vater mir vor die Nase setzen will?" Die warme tiefe Stimme des Mannes hörte sich vertraut an, doch Lissa erinnerte sich nicht, woher sie diese kannte. „Wenn ja, du kannst dich direkt wieder verziehen. Ich brauche deine Hilfe nicht. Jemand wie du kann mir eh nichts Neues beibringen." In Lissas Adern brodelte es. Der aufgeblasene Mistkerl hielt es nicht einmal für nötig, sich zu ihr umzudrehen. Ihr Trotz erwachte. Er wollte sie loswerden? Das würde ihm nicht gelingen.

„Ich habe den Arbeitsvertrag bereits unterschrieben, also werde ich auch hier arbeiten", knurrte sie ihn an. Energisch lief sie auf die Schreibtische zu, umrundete beide und stellte sich vor ihrem Rechner hin, um den Mann finster anzustarren.

„Du kannst jederzeit kündigen." Er hob den Blick, schenkte ihr ein spöttisches Grinsen. Mit geöffnetem Mund gaffte sie ihn an. Aber, das war doch nicht möglich! Verwirrt betrachtete sie die feinen Gesichtszüge, die sanft geschwungenen Lippen. Die linke Seite ansehnlich, wie sie es im Licht des Mondes gesehen hatte. Die Rechte von breiten geschwungenen schwarzen Tätowierungen überzogen. Linien, Bögen, Kreise, die ineinander fassten, ein abstraktes Ganzes bildeten. Im Ohr mehrere Ringe, die Augenbraue gepierct, in der Nase ein schwarzes Nasenpiercing mit einem blutroten Stein. Links ein himmlischer Engel, rechts ein bis aufs Mark verdorbener Dämon. Sie schielte zu seiner Stirn, prüfte, ob er Teufelshörner besaß.

„Bist du bald mal fertig?" Er richtete sich auf, stützte sich auf der Schreibtischoberfläche ab und starrte ihr über die Bildschirme hinweg tief in die Augen. Lissa ließ sich auf ihren Stuhl fallen. Ihre Finger umkrallten die Stuhllehnen wie ein Schiffbrüchiger ein Stück Treibholz.

„Du?" Sie benetzte ihre Lippen, räusperte sich kurz. „Dich habe ich nicht hier erwartet." Wie sehr hatte sie sich auf ein Wiedersehen gefreut, doch nun verabscheute sie den jungen Mann und seinen abwertenden Blick, mit dem er sie aus dem Büro zu scheuchen trachtete.

„Und? Nur weil wir uns am Wochenende nett unterhalten haben, heißt das nicht, dass ich dich hier haben will." Er rümpfte abfällig die Nase, setzte sich zurück auf seinen Platz. Ihr Herz verkrampfte sich. Wieso war er jetzt so widerwärtig? Verschwunden war der angenehme Gesprächspartner, bei dem sie sich sicher und beschützt gefühlt hatte. Cassandra hatte recht. Er war ein mieses Schwein. Sie verstand die Abneigung der jungen Frau ihm gegenüber und schwor sich, sie in ihrem Vorhaben, ihm eins auszuwischen, zu unterstützen. Sämtliche Vorbehalte verflüchtigten sich, wie Nebel unter der aufgehenden Sonne.

„Das ist nicht deine Entscheidung, sondern die deines Vaters." Sie bemühte sich um eine feste Stimme, erwiderte kalt seinen Blick.

„Wie du meinst." Ein hinterhältiges Lächeln schlich sich auf seine Lippen. Er wandte sich ab, kramte in einer Schublade seines Schreibtisches. „Hier, für dich. Mein Vater meinte, ich solle dich angemessen begrüßen." Er warf Lissa eine schwarze Rose auf die Tastatur. Eine aus Plastik, mit abgeknickten Blättern.

„Und was soll ich damit?" Sie packte die Plastikblume mit Daumen und Zeigefinger, wedelte mit ihr in der Luft.

„Ganz einfach. Sie verbildlicht deine Stelle hier. Nicht sonderlich hübsch, künstlich und absolut überflüssig. Wenn du mich jetzt bitte nicht mehr stören würdest. Ich habe auch so schon genug Arbeit. Da benötige ich nicht noch eine vorlaute Göre, die mich davon abhält." Er richtete seine Aufmerksamkeit auf seinen Bildschirm, ignorierte sie ab dem Moment völlig.

Wenn sie etwas noch mehr als echte Rosen verabscheute, dann waren es Plastikblumen. Lissa presste die Kiefer aufeinander, warf das Plastikteil achtlos in eine Schublade. Er würde seine Worte bereuen, dafür sorgte sie schon.

Dem Tode zu naheWo Geschichten leben. Entdecke jetzt