Kleinod

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„Wie ich sehe, trägst du sogar das Diadem, das ich dir habe zukommen lassen." Die dunkle Stimme tauchte aus dem Rauch hinter ihr auf, verursachte ihr trotz der auf der Haut brennenden Hitze eine Gänsehaut. Das Herz schlug ihr bis zum Hals, dennoch drehte sie sich zu dem Mann um.

Ende vierzig, Anfang fünfzig. Sein genaues Alter stand nie in den Artikeln, die aufstrebende Journalisten über ihn verfassten. Auch sah man es ihm nicht an. Es war eine Schätzung ihrerseits, denn der Geschäftsmann hatte einen erwachsenen Sohn. Lissa musterte ihn frech. Eine gesunde Bräune, tiefschwarzes Haar. Nirgends ein Fältchen oder graue Strähnen. Sie trat einen Schritt zurück.

„Was ist? Jage ich dir Angst ein? Komm, setze dich doch. Ich beiße nicht." Er wies auf eine Nische, in der eine halbrunde blutrote Lederbank und ein schwarzer runder Tisch standen. Die Wand dahinter war verziert mit ihr unbekannten Symbolen, die entweder ein verrückter Maler sich ausgedacht hatte, oder die zur Beschwörung des Teufels dienten. Das Mädchen schluckte, zwirbelte eine Haarsträhne zwischen Daumen und Zeigefinger. Dabei wich sie dem Blick des Mannes aus. Wieso hatte sie nur das Kleid angezogen und war brav mitgefahren?

„Ich glaube, es ist besser, wenn ich wieder nach Hause fahre." Lissa drehte sich abrupt um. Ein stechender Schmerz schoss durch ihre Stirn, genau an der Stelle, wo das Schmuckstück auflag. Sie taumelte, verlor das Gleichgewicht. Ein starker Männerarm schlang sich um ihre Taille, manövrierte sie in die entgegengesetzte Richtung, zur Bank.

„Das denke ich nicht. Ich habe dich aus gutem Grund eingeladen. Daher werden wir uns nun ein wenig unterhalten." Der Mann drückte sie auf die Sitzfläche, nahm mit etwas Abstand zu ihr Platz. „Ich gehe davon aus, dass du weißt, wer ich bin." Er verstummte, sah sie aus seinen eisblauen Augen durchdringend an.

„Sie sind Urian Hadal. Ihnen gehört nicht nur dieser Club, sondern die halbe Stadt." Das Mädchen wandte den Blick ab, starrte auf die leichtbekleidete Bedienung, die ihnen Getränke brachte.

„Einen alkoholfreien Cocktail für die junge Dame und ein Tor zur Hölle." Geräuschlos stellte sie die Gläser auf dem aus schwarzem Glas bestehenden Tisch ab. „Wünschen sie noch etwas, Herr?" Lissa runzelte die Stirn. Die Anrede klang befremdlich in ihren Ohren. Wie aus einer anderen Zeit.

„Nein, das wäre alles. Ich wünsche in der nächsten halben Stunde nicht gestört zu werden." Der Geschäftsmann wandte sich von der Kellnerin ab, die untertänig den Kopf neigte, bevor sie abermals im dichten Rauch verschwand. „Wie du siehst, werde ich von meinen Mitarbeitern respektiert. Keiner von ihnen wird je Gegenworte äußern." Sein Blick glitt zu dem Diadem, das sich an Lissas Kopfform anschmiegte, als wäre es für sie angefertigt worden.

„Ich denke, dass sie deshalb so erfolgreich sind. Getragen von der Arbeit und dem Respekt ihrer Untertanen." Das Mädchen hielt inne. Wieso hatte sie das Wort gewählt, nicht etwas Neutraleres wie Arbeitnehmer? Sie knabberte an ihrer Lippe, nahm schnell einen Schluck von ihrem Cocktail. Das fruchtige, gleichzeitig frische Aroma beruhigte ihre angespannten Nerven. Eine halbe Stunde hatte er gesagt. Danach stand es ihr bestimmt frei, den Club zu verlassen und heimzukehren.

„Das ist wahr. Klug kombiniert." Der Mann glitt auf der Sitzfläche zu ihr, legte eine Hand auf ihren Unterarm. Hitze breitete sich von dort aus, bis sie das Gefühl hatte, ihr gesamter Körper stünde in Flammen. Ihre Atmung stockte, das Blut rauschte in ihren Ohren. Was war nur mit ihr los? Hatte die Kellnerin ihr etwas ins Getränk geschüttet? Eine Droge, im Auftrag ihres Arbeitgebers?

„Bitte lassen sie mich gehen", flehte sie, fasste sich mit einem leisen Schmerzenslaut an den Kopf. Das Schmuckstück schien zu schrumpfen, drückte auf ihre Stirn.

„Ein wahres Kleinod, nicht wahr?" Mit einem bewundernden Blick strich Urian Hadal liebevoll über das Diadem, bis sein Zeigefinger auf dem blutroten Stein in der Mitte stoppte. „Wehre dich nicht Lissa, du wurdest auserwählt. Dein Weg ist dir vorbestimmt. Wie dieser Schmuck bist du eine nicht mit Gold und Edelsteinen aufzuwiegende Kostbarkeit."

Dem Tode zu naheWo Geschichten leben. Entdecke jetzt