Es klirrte neben ihr. Verwirrt sah Lissa vom Bildschirm, auf den sie seit gefühlten Stunden starrte, auf. Zu ihrer linken stand eine Flasche aus schimmerndem roten Glas, an deren Hals kondensierendes Wasser in winzigen Perlen entlanglief. Das firmeneigene Mineralwasser. Niemand sonst wäre so verrückt, diese Farbe zu verwenden. Was bezweckte Hadal damit? Liebte er die Assoziationen mit Teufel und Hölle so sehr, dass er jeglichen Anstand vergaß?
„Du siehst scheiße aus. Eine Pause wäre mal angebracht", brummte Donn ihr mit einer rauchigen Stimme ins Ohr. Sie musterte ihn eindringlich.
„Musst du gerade sagen. Du siehst aus, wie der leibhaftige Tod." Seine Haut stach hell gegen das Schwarz der Tätowierung hervor. Die Augen lagen tief in ihren Höhlen und seine Lippen wirkten blutleer.
„Danke für das Kompliment." Der Sohn ihres Bosses lächelte müde. Er schloss seine Finger um ihren Arm, zog sie sanft von ihrem Stuhl. „Komm, ich meinte es ernst mit der Pause. Vergiss dein Wasser nicht." Er lief vor zur Tür, drehte sich dort zu ihr um. „Na los, ich habe nicht vor, dich umzubringen." Zögernd packte sie die Wasserflasche, deren Oberfläche sich seltsam warm in ihrer Hand anfühlte. Wie war das möglich? Stirnrunzelnd betrachtete sie das Glas, das von der Kondensation nass war. Der Inhalt musste demnach kühler sein als die Umgebung, sodass sich die Wassermoleküle in der Luft abkühlten und auf dem Material absetzten. Dementsprechend kalt hätte die Flasche sein müssen. Sie schüttelte den Kopf. In der Firma erschien vieles anders als in der Welt außerhalb des Gebäudes.
„Wo gehen wir hin?", fragte sie, ohne auf eine ehrliche Antwort zu hoffen. Zu oft hatte Donn auf ihre Neugierde mit Spott reagiert.
„Mein Penthouse", erwiderte er mit einer Gelassenheit, die ihresgleichen suchte. Lissa hielt in der Bewegung inne. Erwartete er von ihr, dass sie freiwillig in die Hölle spazierte? Dass sie sich ihr eigenes Grab schaufelte? Erneut musterte sie ihn. Kein hinterhältiges Glitzern in seinen Augen. Seine leicht vorgebeugte Haltung verriet, wie müde er war. So als ob er seit Tagen nicht geschlafen hatte. Er führte nichts im Schilde, sprach sie sich Mut zu. Schweigend liefen sie zu seiner Wohnung. Dort angekommen überraschte er sie. Statt einen Schlüssel aus der Tasche zu ziehen, berührte Donn einen Sensor an der Wand. Die Zimmertür sprang mit einem leisen Klick auf. Voller Neugierde starrte sie in die Räumlichkeiten. Entgegen ihrer Erwartung war das Penthouse nicht in der üblichen Farbkombination, an die sie sich in den vergangenen Wochen gezwungenermaßen gewöhnt hatte. Sie gab dem sanften Druck an ihrem unteren Rücken nach und trat ein.
„Sieh dich ruhig um. Ich ziehe erst einmal etwas Bequemeres an." Worte, die sie normalerweise in Fluchtbereitschaft versetzt hätten, nahm sie nur am Rande wahr. Ihr Blick war auf die Fensterfront gerichtet, die eine atemberaubende Aussicht über die Skyline der Stadt ermöglichte. In der Ferne entdeckte sie die Wälder, die sich gegen das Grau der Zivilisation wie stumme Warnungen gegen ein weiteres Ausbreiten des Betons abzeichneten.
„Gefällt es dir?", hauchte Donn ihr nach einer Weile ins Ohr. Seine Hand ruhte auf ihrer Hüfte, dirigierte Lissa mit Nachdruck zu der dunkelblauen Couch vor einer cremefarbenen Wand. Ein blauer See, der dazu einlud, die Seele baumeln zu lassen. Sie nahm Platz und stellte die Wasserflasche behutsam auf dem lackierten Holztisch ab. Ihr Kollege setzte sich mit verschränkten Beinen ihr gegenüber auf das Parkett. Er nickte zum roten Glas. „Probier mal." Sie führte die Flasche wie in Trance an ihre Lippen, nahm vorsichtig einen kleinen Schluck. Die Flüssigkeit rann kühl ihre Kehle hinab, prickelte dabei ihre Sinne.
„Unser hauseigenes Sprudelwasser." Donn beugte sich vor, stütze die Ellenbogen auf dem Couchtisch auf. „Weißt du, wie es erfunden wurde?" Lissa schüttelte den Kopf, sah den Mann, der ihr schon so viel Leid gebracht hatte, gebannt an. „Joseph Priestley, ein Theologe, Chemiker und Physiker leitete 1772 Schwefelsäure in eine kalkhaltige Lösung. Das entstehende Kohlenstoffdioxid löste er in einem Glas Wasser. Et voilà, die Geburtsstunde des Sprudelwassers war angebrochen." Er stand auf, nahm ihr die Flasche ab und trank ebenfalls einen Schluck, bevor er sie ihr zurückreichte und sich neben sie auf das Sofa fallen ließ. „Eine höllisch gute Erfindung für einen gläubigen Christen. Findest du nicht auch?" Donn schlang einen Arm um sie, zog das Mädchen auf seinen Schoß, das ein kleines Zittern nicht unterdrücken konnte. „Doch nichts übertrifft dich", hauchte er ihr ins Ohr. Seit Atem strich dabei über ihre Haut wie ein sanfter Windhauch.
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Dem Tode zu nahe
ParanormaleEin Mädchen - ein Job. Das Unternehmen? Rätselhaft bis skurril. Die Kollegen? Wie den Covern von Modezeitschriften entsprungen. Der Chef? Zwischen unheimlich und charmant. Der direkte Kollege ein Arsch und obendrein Sohn des Chefs. Was kann da schon...