Schachmatt

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Am frühen Montagmorgen trat sie fröstelnd auf den Bürgersteig. Es war weniger die kühle Morgenluft, die sie in eine kalte Umarmung zog, sondern mehr die Ungewissheit, der sie wie der Kapitän einer Nussschale in einem tosenden Sturm entgegen schipperte. Abermals hielt sie sich vor Augen, für wen sie dieses Abenteuer in die Unterwelt auf sich nahm – ihre Eltern.

„Guten Morgen Miss." Der Chauffeur neigte den Kopf, öffnete ihr die Tür und wies auf den Innenraum des Wagens, dessen Interieur sündhaft teuer aussah. Dennoch schmunzelte Lissa wegen der für den Eigentümer so typischen Farben. Ein schwarzes Fahrzeug mit roten Ledersitzen. Sie stieg ein, hielt den Fahrer nicht weiter auf. Ob sein Boss die Farbgestaltung in seinem Privatleben genauso durchzog? Zuzutrauen war es ihm. Während der Fahrt zum Büro grübelte das Mädchen nach. Laut einer Nachbarin munkelte man in der christlichen Gemeinde, dass Hadal mit dem Teufel im Bunde war. Eine Übertreibung, ohne Zweifel. Dennoch mutete es zuweilen seltsam an, dass nie ein Geschäft von ihm schieflief. Egal, was er anfasste, es war von Erfolg gekrönt. Seine Konkurrenten, die sich abfällig in der Öffentlichkeit über ihn äußerten, starben oftmals kurz darauf eines natürlichen Todes. Zumindest laut dem Gerichtsmediziner, der die Leichen untersuchte. In den Zusammenhang wunderte es sie dann nicht, dass gläubige Menschen ihn mit Argwohn betrachteten.

„Ich wünsche einen angenehmen Tag, Miss." Erschrocken schaute sie hoch, sah den Chauffeur, der ihr abermals die Tür öffnete. Sie spähte an ihm vorbei auf den Eingang des Bürogebäudes, das sie am Wochenende in ihren Träumen verfolgt hatte.

„Danke. Mein Name ist übrigens Lissa. Ich bin nur eine einfache Mitarbeiterin." Lächelnd streckte sie dem älteren Mann die Hand hin, doch er neigte nur den Kopf. Sie seufzte leise. War Hadal so ein Sklaventreiber, dass er seine Mitarbeiter erst auf Menschen losließ, wenn sie wie Roboter keine menschlichen Regungen zeigten? Kurz überlegte sie, umzukehren, den Job einfach zu vergessen und sich auf das College zu konzentrieren. In ihrem Kopf pochte, hämmerte es. Mechanisch lief sie auf den Eingang zu. Ihre Eltern brauchten das Geld. Diese Chance nicht zu ergreifen wäre ein Affront.

„Guten Morgen Lissa." Cassandra hakte sich in der Eingangshalle bei ihr unter, führte sie zum Aufzug, den sie von ihrem vorherigen Besuch zu detailliert in Erinnerung hatte. In einem Traum war sie mit ihm abgestürzt, er mit ihr in die Tiefe gerauscht, dem Höllenfeuer entgegen. „Ich bringe dich dann mal zu der Nervensäge. Mein Herr ist in einer Besprechung, sonst hätte er dich in Empfang genommen."

„Danke." Das Mädchen atmete auf. Wenigstens der Höllenfürst persönlich war verhindert. Sie nestelte nervös am Kragen ihrer Hemdbluse, der ihr die Kehle zuzuschnüren schien.

„Ich hoffe, du hast dich nicht für Donn so hübsch gemacht." Die Frau schüttelte schmunzelnd den Kopf. „Andererseits könntest du dich in mehr als einer Hinsicht als praktisch erweisen." Sie drückte den Stoppknopf, der Lift ruckelte einmal kurz, kam dann zum Stillstand. Das Mädchen warf einen Blick auf den gläsernen Boden, schloss die Augen und schickte ein Stoßgebet zum Himmel. Götter, Engel, das waren alles Hirngespinste. Dennoch schien ihr in diesem Moment jedes Mittel recht, um ihre Chancen auf ein Überleben zu erhöhen. „Was hältst du davon, wenn wir ein kleines Spielchen mit ihm spielen? Es wird Zeit, dass ihn jemand zur Besinnung bringt, und, da gebe ich dem Herrn recht, du bist dafür die perfekte Person."

„Ich glaube nicht, dass Herr Hadal es gutheißt, wenn ich mich an seinen Sohn heranmache", wehrte Lissa ab. Kalter Schweiß brach ihr aus. Sie wünschte sich, den Aufzug, der in diesem Augenblick in der Luft zu schweben schien, schnellstmöglich zu verlassen. Sie öffnete die Augen, sah die Frau vor ihr bettelnd an. „Wenn es dir nichts ausmacht, können wir bitte weiterfahren?"

„Höhenangst? Dann nehmen wir das nächste Mal einen anderen Lift." Cassandra musterte das Mädchen mit hochgezogenen Brauen, nickte und drückte auf einen weiteren Knopf. Ruckelnd setzte der Aufzug sich in Bewegung. Lissa atmete auf, als sie wieder normalen Boden unter den Füßen verspürte.

„Noch mal zurück auf unser Gespräch. Du sollst nicht mit Donn flirten, sondern das genaue Gegenteil. Sei unerreichbar für ihn. Er glaubt, dass alle Mädchen sich bei seinem Anblick in hirnlose Zombies verwandeln, die ihm jeden Wunsch von den Augen ablesen. Doch du wirst nicht auf seine Maschen hereinfallen und ihn damit besiegen." Cassandra führte Lissa zu einer Tür am Ende des Ganges, zupfte ihr die Kleidung zurecht. „Dann, wenn er sich nicht zu helfen weiß, wenn er dir zu Füßen liegt, habe ich ihn endlich in der Position, wo ich ihn seit langem haben will." Das Mädchen sah sie fragend an, ignorierte das Kribbeln in ihrem Bauch, das Gefahr andeutete.

„Schachmatt", wisperte die Frau, ein teuflisches Grinsen auf den sinnlichen Lippen.

Dem Tode zu naheWo Geschichten leben. Entdecke jetzt