Freudentaumel

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Lissa hörte seinen Atem dicht hinter ihr. Fast erreichte er ihren Nacken. Donns Schritte hallten dumpf auf dem Boden, als er sie eine zusätzliche Runde umher scheuchte. Ihre Fußsohlen brannten, ihre Beine fühlten sich wie mit Blei beschwert an. Die Kleidung haftete wie mit Leim festgeklebt an ihrer Haut, von der hohen Luftfeuchtigkeit im Raum. Ihr Körper war zu ausgetrocknet, um nur einen weiteren Tropfen Schweiß zu produzieren. Die Zunge klebte ihr am Gaumen, beim Luftholen rasselte es in ihrer Brust. Die einzigen Töne, zu denen sie noch in der Lage war.

„Ich gebe auf", keuchte sie, die Worte kaum mehr als ein Hauch. Stolpernd hielt sie an, die Knie knickten unter ihr ein. Seufzend sank sie zu Boden, stützte sich mit den Händen ab.

„Du hast länger durchgehalten, als ich dir zugetraut hatte." Lissa hob müde den Kopf, sah zu ihrem Kollegen hoch. Sein Brustkorb hob sich kaum merklich. Die Hitze und das stundenlange Rennen hinterließen an ihm keine einzige Spur.

„Wie lange?", japste sie. Jegliches Zeitgefühl war ihr nach spätestens der vierten Runde abhandengekommen. Nach der Neunten hatte sie aufgehört, mitzuzählen.

„Fast fünfzehn Kilometer in knapp anderthalb Stunden." Er hockte sich vor sie, strich ihr eine klebrige Haarsträhne aus dem nassen Gesicht. „Nicht schlecht, obwohl du behauptet hattest, dass du nicht trainierst. Dürfte dir dennoch eine Lehre sein, dich nicht mit mir anzulegen, habe ich recht?" Seine Mundwinkel zogen sich nach oben, zu einem anziehenden Lächeln. Lissa ließ sich fallen, rollte auf ihren Rücken und starrte Donn an. Seine schlanken Muskeln zeichneten sich deutlich unter seinem hautengen schwarzen Shirt ab. Seine Beine wirkten ellenlang in der kurzen Laufhose. Lang und glatt. Kein Härchen schien sich auf sie zu verirren. Rasierte er sich etwa überall? Ihr Blick glitt wieder hoch zu seinem Gesicht.

„Gefällt dir meine Tätowierung?", raunte er. Ohne ihre Antwort abzuwarten, zog er sein Shirt aus, warf es neben Lissa auf den Boden. Sie sog die Luft tief ein. Erneut traf sie der unwiderstehliche Duft seines Deos, flüsterte ihr Verheißungen zu. Stumm sah sie zu, wie Donn aufstand, den Blick auf seinen durchtrainierten Oberkörper freigab. Sie versuchte zu schlucken, doch scheiterte an ihrer ausgedörrten Kehle. Die rechte Hälfte seiner Brust war wie sein Gesicht von den schwarzen Linien und Kreisen überzogen. Das Muster zog sich weiter, verschwand unter dem Rand seiner Shorts. Lissa biss sich auf die Lippe. Hatte Cassandra sie nicht davor gewarnt, dem Mistkerl zu verfallen? Jetzt sabberte sie fast wegen seines Anblicks. Sie seufzte, drückte sich vom Boden hoch.

„Ich könnte etwas Wasser gebrauchen." Sie richtete sich auf, sah sich suchend in der Trainingshalle um.

„Dann komm mal mit, Engelchen. Sonst killt mein Vater mich, wenn ich seinen kleinen Liebling verdursten lasse." Er legte seinen Arm um sie, führte das keuchende Mädchen zu einem Nebenraum, in dem einige Tische und Stühle standen. Lissa ließ sich auf einen Holzstuhl sinken. Ihr Rücken ächzte, schrie nach einer Massage oder einer bequemen Matratze. „Hier", Donn hielt ihr eine gekühlte Wasserflasche an die Lippen. „Aber trinke nicht zu schnell." Das Wasser rann ihre ausgedörrte Kehle hinab, weckte ihre Lebensgeister.

„Darf ich jetzt duschen und zurück ins Büro? Sonst bekomme ich meine Arbeit nie fertig. Du kannst allerdings deinen Kram allein erledigen. Immerhin hast du mich vom Arbeiten abgehalten." Lissa starrte auf die Tischplatte. Tief in ihrem Innern wusste sie, dass sie lieber nach Hause ins Bett wollte als auch nur eine weitere Minute am Rechner zu sitzen. Andererseits wäre es unverschämt.

„Nein, ich habe eine bessere Idee. Deine Muskeln schmerzen von der ungewohnten Anstrengung, oder?" In seinen Augen flackerte erneut etwas auf, das sie nicht entziffern konnte. Der Sohn ihres Chefs war ein wandelndes Rätsel. Sie hatte für ihre Aktion Ärger erwartet, dass er sich bei seinem Vater über sie beschwerte. Stattdessen hatte er sie in den Trainingskeller gezerrt, um mit ihr zusammen zu trainieren. Gescheucht war zutreffender, doch wirkte er hier unten in der Abgeschiedenheit wieder mehr wie ihr nächtlicher Gesprächspartner unter dem Mond im Park.

„Du hast mich gefragt, was meine Leidenschaft ist", spielte sie auf die Nacht an. Seine Pupillen weiteten sich. Seine Iriden glichen ruhigem Wasser, luden zum Verweilen ein. Er rückte näher, starrte auf ihre Lippen. „Laufen ist es jedenfalls nicht", durchbrach sie den Bann.

„Unsere Sauna könnte dir dann vielleicht besser gefallen." Donn ergriff ihre Hände, zog Lissa mit sich hoch. Sie stolperte vorwärts, dem Mann in die Arme. „So begeistert von meiner Idee, dass du einen Freudentaumel vollführst?", lachte er leise.

„Ach, halt deine Klappe", murrte sie, stachelte sein Lachen weiter an. „Als ob ich jemals deinetwegen einen Freudentaumel vollführen würde."

„Warte es nur ab, warte nur ab." Er hob sie hoch, trug sie aus dem kleinen Aufenthaltsraum, einem unbekannten Ziel entgegen.

Dem Tode zu naheWo Geschichten leben. Entdecke jetzt