Eine ungewohnte Geschäftigkeit herrschte im Unternehmen. Keiner lungerte mehr herum oder traf sich zu ausufernden Schwätzchen. Die normale Arbeit wurde in einem rasanten Tempo erledigt. Danach stürmten die Kollegen in den Trainingsbereich. Wenn sie nicht an den Geräten oder auf dem Parkour trainierten, betätigten sich die meisten im Zweikampf. Selbst Lissa wurde bei Letzterem mehr und mehr hinzugezogen. Aswa schien es zu seiner persönlichen Aufgabe erkoren zu haben, sie auf einen eventuell bevorstehenden Krieg vorzubereiten.
„So gewinnst du keinen Kampf", bellte er durch die Halle, als sie sich eine Verschnaufpause gönnte. „Ich an deiner Stelle hätte Cassandra schon längst auf die Bretter geschickt."
„Du bist auch doppelt so groß und dreimal so breit wie ich", keuchte Lissa. „Außerdem hast du ein paar hundert Jahre mehr Kampferfahrung als ich." Einige umstehende Dämonen schüttelten ungläubig den Kopf. Keiner von ihnen würde es je wagen, in diesem Tonfall mit Aswa zu sprechen.
„Nichts als Ausreden", wischte er ihre Bemerkung barsch weg. „Nochmal."
Seufzend nahm sie gegenüber ihrer Freundin Haltung an. Cassandra schmunzelte. Im Gegensatz zu Lissa, der die Haare von der Anstrengung am Kopf klebten und die Kleidung schweißgebadet war, sah sie wie frisch aus dem Ei gepellt aus. „Keine Sorge, du kämpfst schon besser als bei deiner ersten Unterrichtsstunde", versicherte diese.
„Aber bei weitem nicht gut genug", brüllte Aswa von seinem Platz. Sein Tonfall ließ einige jüngere Dämonen zurückweichen. Eiligst nahmen sie ihr eigenes Training wieder auf, um sich nicht den Zorn des Hünen auf sich zu ziehen. Er knurrte die restlichen Jungspunde an, die ihm im Weg standen.
„Wenn du so weitermachst, will bald keiner für den Boss mehr arbeiten." Lissa wischte sich den Schweiß von der Stirn, an der hartnäckig eine Haarsträhne klebte. „Du scheuchst mich seit drei Stunden umher. Ich schlaf jetzt schon fast im Stehen ein. Wenn du so weitermachst, schaffe ich es nicht einmal zurück ins Büro, weil ich nur noch wie eine Raupe kriechen kann."
„Sicher?" Ein ungewohnt hinterlistiges Lächeln schlich sich auf seine Lippen. „Ich kann gerne einen der Höllenhunde zur Motivation holen. Mal schauen, ob du dann noch müde bist."
„Untersteh dich", zischte sie. „Ich rufe dann einfach Donn, damit er mich in Sicherheit fliegt." Mehrfach hatte ihr Freund ihr in den vergangenen Nächten die Stadt von oben gezeigt. Ein weiterer Grund für ihre Müdigkeit, obwohl sie seit ihrem ungeplanten Besuch in der Hölle weitaus weniger Schlaf benötigte.
„Vielleicht motiviert es dich auch, wenn ich eine deiner Freundinnen als Geisel nehme." Aswa schnellte vor. Lilith, die gerade vorbeikam, um Lissa eine Flasche Wasser zu reichen, prallte gegen seine muskulöse Brust und quiekte wie eine kleine Maus. Er nahm ihr die Flasche ab und warf sie Lissa zu. „Dann trink mal einen Schluck. Danach versuchen du und Cassandra meine Hübsche hier zu befreien." Der Dämon legte die sich sträubende Frau über seine Schulter und lief mit ihr ans Ende der Trainingshalle.
„Arme Lilith, die hat noch immer Angst vor ihm." Lissa schraubte den Verschluss ab und nahm einige tiefe Züge der gekühlten Köstlichkeit.
„Nicht nur sie. Alle haben Schiss vor ihm. Du scheinst eher die Ausnahme zu sein." Cassandra schüttelte zweifelnd den Kopf. „Ohne Hilfe schaffen wir das nie."
„Sag das nicht. Es gibt bestimmt einen Weg, ihn zu überlisten." Lissas Blick fiel auf ihre Trainingstasche, die auf einer Holzbank an der Wand stand. „Ich habe da eine Idee." Sie vergewisserte sich, dass Aswa abgelenkt war, und holte einen kleinen zylindrischen Gegenstand aus der Tasche. Das sollte selbst einen Eisklotz wie den Riesen umhauen. „So, dann lass uns mal rübergehen."
„Wenn das mal gutgeht", murmelte die Freundin, den Blick auf Lilith geheftet, die mit den Fäusten auf Aswas Rücken trommelte.
„Jetzt lass mich schon los, du Bestie, ich soll Lissa und Cassandra abholen, damit sie sich die neuste Kollektion anschauen können."
„Ihr und euer Klamottenfimmel." Der Mann tätschelte der Dämonin den Hintern, was ihr ein entrüstetes Schnauben entlockte. „Ich wüsste, wie ich dich auf andere Gedanken bringen könnte."
Lissa zog eine Augenbraue hoch. Ihr kam eine Idee. „Lilith, was hältst du davon, wenn du etwas netter zu Aswa wärst?"
„Kann ich gerne machen, wenn er uns zur Waffenschmiede begleitet. Dann führe ich ihm gern einen Dolch aus der neusten Kollektion vor." Sie gab den Kampf auf und seufzte überschwänglich. „Kann mich mal bitte jemand befreien?"
„Hilfe kommt sofort", flötete Cassandra, die einen Scheinangriff durchführte. Aswa wandte sich ihr zu.
Lissa nutzte den Augenblick und jagte dem Dämon die Spritze in den Oberschenkel. „Schlaf gut", rief sie ihm fröhlich zu, als sie ihm das Schlafmittel injizierte.
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Dem Tode zu nahe
ParanormalEin Mädchen - ein Job. Das Unternehmen? Rätselhaft bis skurril. Die Kollegen? Wie den Covern von Modezeitschriften entsprungen. Der Chef? Zwischen unheimlich und charmant. Der direkte Kollege ein Arsch und obendrein Sohn des Chefs. Was kann da schon...